Bucky oder die Ursuppe der Kommunikation: Designpreis der Bundesrepublik 2012

Gold in der Kategorie Produktdesign gab es für ein Zelt: The Cave heißt die aufblasbare (!) geodätische Konstruktion von Franckenpohl Poulheim / Heimplanet, bei dem sich die Gestalter an Konstruktionsprinzipien Richard Buckminster Fullers orientierten, weshalb sich die ultraleichte temporäre Behausung auch bei Windstärken von bis zu 120 Stundenkilometern nicht umpusten lässt. In der Kategorie Kommunikation erhielt Sebastian Fleitners Projekt The Electric Hotel Gold: ein umgebauter Airstream-Wohnwagen als mobile Ladestation für elektrische Geräte. Der angebotene Strom stammt ausschließlich aus ökologischen Quellen: Das Aufladen des Handyakkus kann man sich entweder selbst erstrampeln oder vom mitgebrachten Solarmast zapfen. Ebenfalls mit Gold im Bereich Kommunikationsdesign wurde das Buch decodeunicode geehrt. Es versammelt sämtliche 109.242 aktuell verfügbaren digitalen Schriftzeichen. „Die Ursuppe menschlicher Kommunikation“ nannte Jurymitglied Dirk-Mario Boltz das Mammutprojekt von Johannes Bergerhausen, Siri Poarangan und Ilka Helmig.
Zu den ausgezeichneten Projekten gehört auch das Magazin „Der Wedding“ (Silber in der Kategorie Kommunikationsdesign). Das liebevoll gemachte Heft hat seinen Namen dem Arbeiterbezirk Berlin-Wedding entlehnt und widmet sich ausschließlich dem Alltag ganz normaler Menschen – auf höchst unterhaltsame, ästhetisch anspruchsvolle und spannende Weise. Nahezu genial einfach sind zwei der prämierten Möbel: Das Tischfußsystem Tick (Nachwuchspreis Produktdesign), mit dessen Hilfe man jede alte oder neue Tisch-, Tür- oder sonstige Platte ganz simpel in einen Tisch verwandeln kann (Design Jakob Schenk) sowie das Regalsystem Konnex von Florian Gross (Hersteller Müller Möbelwerkstätten), bei dem man unterschiedlich große Kuben einfach ineinander steckt (Silber Kategorie Produktdesign). Ebenfalls auf den Gestaltungstrieb des Nutzers setzt das Badausstattungssystem Axor Bouroullec (Ronan und Erwan Bouroullec für Axor Hansgrohe).
Was die ausgezeichneten Produkte gemeinsam haben? Sie sind nicht nur „Herzensangelegenheiten“ – wie es ein Preisträger ausdrückte –, bei denen die Gestalter teils selbst zu Unternehmern oder Verlegern werden. Sie zeigen vor allem: Design ist mehr als gute Form. Denn gute Gestaltung ist hier längst selbstverständlich. Das Engagement der Designer und Hersteller geht aber weiter. Indem sie Bereiche beleuchten, die sonst wenig Beachtung finden – den Alltag gewöhnlicher Menschen beispielsweise beim Magazin Der Wedding. Indem sie mittels Gestaltung neue Betrachtungsweisen auf vermeintlich Bekanntes ermöglichen – etwa beim Messestand für Brunner von Ippolito Fleitz oder dem „Geschäftsbericht des Todes“ der Nachwuchsdesignerin Martina Morth. Indem sie vermeintlich ausgedienten Gegenständen neue Funktionen ermöglichen – wie beim Tischfußsystem Tick. Indem sie die Mitwirkung des Benutzers fordern – wie bei Konnex, The Electric Hotel oder Axor Bouroullec. Indem sie die Fülle unserer unterschiedlichen Kulturen veranschaulichen – wie bei decodeunicode.
Diesmal wird alles anders – das war bereits im Januar dieses Jahres klar, als überraschender Weise die junge Berliner Designagentur DMY vom Bundeswirtschaftsministerium mit der Auslobung des renommiertesten nationalen Designpreises beauftragt wurde. Jahrelang hatte der Rat für Formgebung in Frankfurt mit einer an Gewohnheitsrecht grenzenden Selbstverständlichkeit den „Preis der Preise“ organisiert, diesmal hatte sich das Ministerium vom Konzept der Newcomer DMY überzeugen lassen.
DMY? Der DMY ist eine Plattform für Design und ein gleichnamiges Design-Festival in Berlin, ausgerichtet von der Agentur DMY, einer Gruppe von Designern und Design-Begeisterten um den Grafiker Jörg Suermann. Die Beauftragung dieser Agentur im Januar 2012 für die Auslobung kam überraschend und die Agentur DMY selbst mit einem radikal neuen Konzept: einheitliche Preisgestaltung bei der Bewerbung, Nominierung einzig durch die Jury, Preisverleihung im Rahmen einer eigenen Gala, Teilnahme am Verfahren ausschließlich durch eigene Einreichung, nicht durch Aufforderung (bei Beibehaltung des Kriteriums, dass ein teilnehmendes Produkt vorher bereits mit einem Designpreis gewürdigt worden sein musste). Der Rat für Formgebung lobt seither einen eigenen Preis aus, der nach einigen Namensstreitigkeiten nun German Design Award heißt.
Im folgenden finden Sie eine Darstellung sämtlicher Preise beziehungsweise Preisträger des Designpreises der Bundesrepublik Deutschland 2012.
Weitere Informationen: dmy-berlin.com Auszeichnung in Gold, Kategorie Produktdesign: The Cave, Zelt, von Franckenpohl Poulheim / Heimplanet
Heimplanets The Cave ist eine aufblasbare geodätische Kuppel. Die Designer nennen sie IDG –Inflatable Diamond Grid. Der Aufbau braucht weniger als eine Minute: ausrollen, aufpumpen – fertig. Ein Zusammenbauen von Einzelteilen entfällt. Das „round ground“-Design bietet Platz für bis zu drei Schlaf- und fünf Sitzplätze. Dank der auf einem Fünfeck basierenden Konstruktionsweise ist The Cave bis zu Windstärken von 120 km/h stabil. (Heimplanet)
Das Regalsystem KONNEX richtet sich an Menschen, die Freude daran haben, ihre Umgebung ständig neu zu gestalten und zu organisieren. Durch das innovative Stecksystem ist genau dies möglich: Ein Grundset, bestehend aus drei Modulen, kann individuell zu einem Regal angeordnet werden. Zudem können unterschiedlich viele solcher Grundsets zu einer Ablagefläche addiert werden. Dazu werden die kammförmigen Einfräsungen rings um einen Kubus in die Seitenwände eines anderen Kubus gesteckt. Die Kuben haben Kantenlängen von rund 31, 41 oder 51 cm. (Müller Möbelwerkstätten)
Die Kollektion Axor Bouroullec eröffnet durch ihren modularen Charakter die freie Kombinierbarkeit von fast 90 Elementen – und damit die Möglichkeit zur individuellen Badgestaltung über alle Funktionsbereiche des Bades hinweg. Der Nutzer soll die Chance haben herauszufinden, wie er mit dem Wasser umgehen will, was seine persönlich passende Lösung ist. Kombiniert werden Waschtische, Wanne und Armaturenelemente der Kollektion. Die in die Waschtische und Wanne integrierten Ablagen können individuell gebohrt werden für persönliche Positionierungen der Armatur. Die durchgängige Formensprache unterstützt die freie Kombinierbarkeit – und fügt sich auch in bestehende Bäder ein. (Axor)
Im Zentrum des Messeauftritts steht die Produktneuheit „twin“. Für den Auftritt wurde eine Welt geschaffen, in der das Möbel nicht bloßes Ausstellungsstück ist, sondern zum lebendigen Akteur in einer Inszenierung wird, die an eine Kunstinstallation erinnert. Am Eingang erhebt sich ein Stuhl in Augenhöhe des Betrachters. Er ist der Ausgangspunkt für eine dynamische Inszenierung, die eine Wolke aus mehreren Dutzend Stühlen über dem Betrachter formuliert. Der Raum ist vollständig mit einer Schindelwand aus Polystyrolspiegeln verkleidet. Durch diesen panoramatischen Spiegeleffekt wird die Wirkung des „Stuhlschwarms“ noch verstärkt. (Ippolito Fleitz)
2009/2010 war ein Rekordjahr für den Tod. Es war das erfolgreichste seit Bestehen dieses traditionsreichen Unternehmens. Zu Verdanken ist dies unter anderem dem schweren Erdbeben in Haiti, der Hungersnot in Afrika sowie Krankheiten wie Aids, Malaria und Tuberkulose.
Der Tod gewährt in dem Geschäftsbericht Aufschwung durch Ableben einen Einblick in seine Geschäftsfelder, zeigt die Segmente die vornehmlich am sehr guten Gesamtergebnis beteiligt waren sowie das Geschäftsfeld, das eine unerwartete Umsatzeinbuße verzeichnete. Als Grund hierfür ist die mediale Fehleinschätzung im Falle der Schweinegrippe zu nennen. Zum Schluss wird aufgezeigt, wie die Gewinne maximiert und am profitablen, aber gleichzeitig auch nachhaltigem Wachstumskurs festgehalten werden kann. (Martina Morth)
Tick ist ein universelles Tischfußsystem, das an verschiedenen Platten und Materialien befestigt werden kann. Eine gebogene Metalldrahtstruktur, ähnlich einer überdimensionalen Büroklammer, heftet sich an jede Platte und verwandelt diese ohne Schrauben und Werkzeug in einen einzigartigen Tisch. Durch Drücken der Fußenden nach innen öffnet sich Tick entsprechend dem Pressdruck und kann an Platten verschiedener Dicke angebracht werden. Tick wird ausschließlich in Deutschland gefertigt. Verschiedene Höhen für jeden Anwendungsbereich sind in Arbeit. (Jakob Schenk)
Den internationalen Durchbruch erzielte Wolfgang Joop 1978, als er seine erste eigene Pelzkollektion vorstellte, die unter anderem von der New York Times mit dem Ehrentitel „Prussian Designer“ gewürdigt wurde.
Im Frühjahr 1982 stellte Joop seine erste Prêt-à-porter-Damenkollektion vor, gefolgt von der ersten Herrenkollektion 1985. Zwei Jahre später machte er seinen Namen endgültig zum Markenzeichen, „Joop!“ war nicht länger ein Designer-Label, sondern eine Lifestyle-Marke, die lediglich Entwürfe und Lizenzen vergab, aber keine eigene Produktion mehr betrieb.
1983 wurde Joop mit dem Fil d‘or geehrt. 1984 folgte die Auszeichnung mit dem „Goldenen Spinnrad“ der Stadt Krefeld und der Europäischen Seiden-Kommission. Es folgten eine Professur an der Hochschule der Künste in Berlin, weitere Auszeichnungen sowie nach der Wende die Kooperation mit der Dresdener Porzellanmanufaktur Meissen. 1998 verkaufte Joop nach Unstimmigkeiten 95 % seiner Firmenanteile an den Hamburger Wünsche-Konzern, blieb aber Chefdesigner der Marke JOOP!. Joops endgültiger Ausstieg aus dem Unternehmen Joop! erfolgten im Jahr 2001.
Bereits 1999 gründete Joop zusammen mit seinem Partner Edwin Lemberg die Wunderkind GmbH&Co KG. mit Sitz in Potsdam. Das Modelabel hatte 2004 in New York sein internationales Debüt. Die bislang letzte Wunderkind-Modenschau in Paris fand im Oktober 2010 statt. Am 10. Mai 2012 präsentierte Joop in seiner Potsdamer Villa Rumpf die Herbst/Winter-Kollektion 2012/13 von „Wunderkind“. (DMY)