05.02.2018 Bettina Sigmund

Codierung des Bodens der Zukunft entschlüsseln

Die Zukunftsstudie floorCODES – BODEN NEU DENKEN! präsentierte erste Ergebnisse auf der Domotex (Foto: IIT, HAWK, Werner Baum)

Im Rahmen der Domotex widmete sich die Ausstellung mit mobilem Labor am Stand des Institute International Trendscouting (IIT) der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim der kulturellen Verankerung von Böden, deren Materialien und Oberflächengestaltung. Aufbauend auf der Analyse der historischen Entwicklung von Böden gaben die Wissenschaftler einen ersten Einblick zum Status quo der zugrundeliegende Zukunftsstudie. Die Studie floorCODES – ZUKUNFT BODEN! wurde durch das IIT an der HAWK, in Kooperation mit Partnern wie der Uzin Utz AG, der MEGA eG und der Deutschen Messe AG ins Leben gerufen. Hintergrund der Studie floorCodes
»Architektur ist eine soziale Tatsache, die sich räumlich formt. Erst formen wir unsere Gebäude, dann formen sie uns. Gebäude, die wir heute planen, sind Prognosen wie wir in Zukunft leben werden. Damit architektonische Zukunftseinschätzungen den kommenden vielschichtigen Herausforderungen gewachsen sind, müssen wir uns heute mit den gesellschaftlichen und technischen Veränderungen in der Zukunft auseinandersetzen,« erläutern die Wissenschaftler den Hintergrund der Studie. »Böden tragen entscheidend zum architektonischen Gesamteindruck und durch ihre Materialität und Anmutung zur Aufenthaltsqualität bei. Gleichzeitig müssen Fußböden den enormen Anforderungen eines extrem beanspruchten Bauteils im Gebäude gerecht werden. Werden sie dieser Rolle auch in Zukunft gerecht? Ist die Bedeutung des Bodens bei den Planungsbeteiligten heute schon entsprechend im Bewusstsein verankert?« Über die Zukunftspositionierung soll eine neue Relevanz des Themas für Planer und Bauherrn geschaffen werden. Kulturelle Codierung
In der Impulsausstellung im Rahmen der Domotex in Hannover wurde die Historie des Bodens anhand von bislang erhobenen Daten in Form einer kulturellen Beweisführung als raumgestalterisches Entwicklungsmodell von 1950 bis zur Gegenwart präsentiert. Den Wissenschaftlern geht es dabei darum, Raum-, Gestaltungs- und Stilausprägungen in den kulturellen und gesellschaftlichen Zeitgeist des jeweiligen Jahrzehnts setzen. Die Ausgangsbasis kurz zusammengefasst bedeutet dies: Die 1950er-Jahre werden als ein Jahrzehnt der Widersprüchlichkeiten, zwischen Tradition und Moderne, zwischen Gelsenkirchner Barock und Funktionalismus beschrieben. Deutschland befindet sich im Aufschwung von der Trümmerwüste zur Wirtschaftsnation. Der Wunsch nach privatem Rückzug wird durch eine neu entdeckte Reiselust aufgebrochen. Diese gesellschaftlichen Gegensätze äußern sich in einem gestalterischen Mix aus Tradition und Moderne, aus beschwingten und organischen Formen als Ausdruck den Aufbruchs und einem pragmatischen Funktionalismus als Ausdruck von Enthaltung und Sparsamkeit sowie historisierenden Stilelementen einer politisch verunsicherten Kriegsgesellschaft mit Sehnsucht nach Tradition, Bestand und Rückzug. Die Bodenbeläge spiegeln diese Widersprüche mit Materialen wie Linoleum, Parkett und Holzdielen sowie Unibelägen als lang und kurzflorige Teppiche in neutralen aber auch intensiven Farbprofilen, die moderne Raum- und Farbdesigns ergänzen. Die 1960er-Jahre werden als Jahrzehnt der formalen Befreiung dargestellt, das Sitzen auf einem Stuhl wird bereits von der Jugend als Zumutung verstanden, das »bodennahe Liegen, Rasten und Lümmeln kann in der Sehnsucht zur Natur und damit zum Boden begründet sein«. In den 1970er-Jahren – dem Jahrzehnt von Krisen, Umbrüchen und Veränderungen – äußert sich die gesellschaftliche Rebellion auch in Großformatmustern am Boden und farbintensiven Fliesen. Die 1980er-Jahre werden als Risiko- und Erlebnisgesellschaft dargestellt mit einem starken Drang nach Individualisierung. Braun und Beige lösen die Knallfarben der 1970er-Jahre ab. Mediterrane Einflüsse finden ihren Weg auf die deutschen Böden. Die 1990er-Jahre sind ruhig. Sie werden als eine Zeit der Naivität beschrieben, als Jahrzehnt der Angstfreiheit. Der Landhausstil verbreitet Gemütlichkeit, ergänzt durch einen Mix aus Antiquitäten und neuem Design. Laminat und PVC verdrängen die textilen Bodenbeläge. Offene Grundrisse sprengen die bisherigen Grenzen der funktionalen Raumzuordnung und damit auch des klassischen Einsatzes von Bodenmaterialien. Die 2000er-Jahre lassen die Welt durch die Globalisierung näher zusammenrücken, das Thema der Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung. Gestalterisch werden Elemente aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren zusammengetragen. Die Farbe Weiß gepaart mit Naturholz trifft aus Plastic Pop. Das Credo des Jahrzehnts ist: Weniger ist mehr. Trotzdem prägt eine Materialvielfalt von Laminat und PVC, Parkett und Holzdielen, Hochflorteppiche und Fliesen die Gestaltung des Bodens. Aktuell befinden wir uns in einem Jahrzehnt der Vielfalt und Grenzenlosigkeit, zwischen Masse und Individualisierung, Be- und Entschleunigung. Eine Rückbesinnung auf Designklassiker und Vintage trifft auf Smart Materials und Recyclingmaterialien – auch in Gestaltungsfeld der Bodenbeläge. Blick in die Zukunft
Die aus der Analyse der letzten Jahrzehnte entstehenden Erkenntnisse sollen dazu beitragen, durch prognostizierte gesellschaftliche Entwicklungen auch Aussagen über die Bodengestaltung und -materialien der kommenden Jahrzehnte machen zu können. Ziel der Studie ist es, einen interdisziplinären Dialog mit Experten aus Architektur, Gestaltung und des Handwerks zu initiieren und über zukünftige Denkmodelle gestalterische Impulse für den Boden der Zukunft zu generieren. Erste Impulse wurden bereits durch studentische Arbeiten im Rahmen einer Zukunftswerkstatt am IIT erarbeitet und präsentiert. Darunter unter anderem spannende Ideen wie »The Tent of Textures«, ein Boden, der Wand, Decke und Boden zu einer Einheit vernetzt. Oder »FUTURE_ORIENTEDnature«, ein Bodenbelag, der die Infrastruktur für natürliches Grün bietet sowie »GROWing Floor«, ein Boden der direkt aus einem wachsenden Material besteht. Der »Pull over Floor« orientiert sich an Heimtextilien und »Soft_Wood« passt sich ergonomisch seinen Nutzern an. Mobile Workshops
Sogenannte WorkLabs stellen den Übergang der Gegenwartbetrachtung in Richtung Zukunftsgestaltung dar. Die Workshops geben weiterhin einen Einblick in die Methoden der Zukunftsforschung. Die angewandte Methode ist beispielsweise auch hilfreich, um bei Wettbewerben oder grundsätzlichen Planentwicklungen methodisch und begründbar vorzugehen. Am Ende eines WorkLabs sollen die vielen Eindrücke und Materialimpulse inspirieren und ein Erlebniss für die Sinne darstellen. Davon konnten sich die Messebesucher auch direkt vor Ort überzeugen. In mehreren floorCODES WorkLabs, hatten sie die Gelegenheit, auf Basis der Studie und der entwickelten Methode, ihre eigenen impulsgebenden Zukunftsszenarien zu erarbeiten, die nun auch in das Forschungsprojekt einfließen. Dazu konnten sich die Teilnehmer aus Hunderten von Bildtafeln mit Visualisierungen von Raum, Oberflächen, Materialien, Formen und Farben sowie einer großen Palette an Materialproben bedienen und inspirieren lassen. Im Nachgang zur Domotex sind nun weitere WorkLabs an den Standorten Ulm (Gastgeber: Uzin Utz AG), Hamburg (Gastgeber: MEGA eG) und Hannover (Gastgeber: Deutsche Messe AG) geplant, in deren Rahmen nach der DNA für den Boden der Zukunft geforscht werden soll.
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