06.01.2015 Bettina Sigmund

Die Suche nach der DNA für den Putz der Zukunft

Prof. Markus Schlegel, Studiendekan und Professor für Farb- und Architekturgestaltung sowie Projektentwicklung Farbe an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim, verrät im Interview, was er mit dem Forschungsprojekt erreichen möchte. Lange Zeit galt Putz als altmodisch. Warum hat Putz noch immer ein eher schlechtes Image? 
»Sie sprechen in der Vergangenheitsform – aktuell haben wir den Eindruck, dass dieser Werkstoff immer nur die B-Variante darstellt. Das heißt, tatsächlich sind innovative Gebäudeinterpretationen vor allem im Neubau heute vorwiegend in anderen Werkstoffen geplant. Im Bestandsbau sieht es etwas anders aus. Die Frage nach dem Warum: Wahrscheinlich deshalb, weil Putzfassaden für etwas Tradiertes und Solides und nicht unbedingt für Zukunftsfähiges stehen. Die Tendenzen und Phänomene in der Architekturgestaltung wie zum Beispiel Perforation, Transparenz, virtuelle oder parametrische Ästhetik lassen sich wohl aus Sicht der Verfasser besser mit anderen Werkstoffen erreichen. Wir vermuten als Ursache also fehlende technische und gestalterische Innovationen, fehlende Materialauthentizität und als Resultat aller genannten Kriterien das Image als „billiges“ Gestaltungsmittel. Der heutige Imageverlust beruht aber nicht selten auch auf der Assoziation des Putzes mit den WDV-Systemen. Die Gestalter sehen darin die Nichtauthentizität des Materials, der Endkunde die in der Presse breitgefächerte Krisendarstellung.« Nun erlebt Putz vereinzelt eine Renaissance, vor allem im Bereich des Neubaus. Was sind die Gründe dafür?
»Der Werkstoff passt in die Zeit. Themen wie Natürlichkeit, Vertrautheit, aber auch Wünsche nach lokalen Werkstoffen und Traditionen sowie subtile Strukturen versus glatte Screens oder mediale Flächen gewinnen weiter an Bedeutung. Aber wie Sie richtig sagen – vereinzelt und hier primär im Wohnungsbau und vor allem im Innenraum. Wie kam es zu der Idee, die Verwendung von Putz zu erforschen?
»Das oben beschriebene Phänomen anders gelagerter Gestaltungspräferenzen an den Fassaden 'eher weg vom Putz' ist uns seit einiger Zeit aufgefallen. Als Institut für Zukunftsforschung in der Gestaltung (Institute international Trendscouting IIT HAWK Hildesheim) haben wir mit der Fachgruppe Putz & Dekor beschlossen, uns dem Thema zu widmen. Unser Ziel ist, das Produkt im interdisziplinären Dialog weiterzuentwickeln und somit wieder zukunftsfähig einzustellen, da dieser Werkstoff für unseren Kulturraum eine sehr wichtige Rolle spielt.« In Ihrem Projekt rendering/CODES erforschen Sie die Eigenschaften von Putz. Können Sie kurz beschreiben, wie sich Putz in den vergangenen Jahrhunderten entwickelt hat?
»Wir erforschen weniger die Eigenschaften von Putz als vielmehr seine typische Verwendung in der Architektur, an der Fassade in den letzten ca. 200 Jahren. Nach dem Prinzip 'Zukunft braucht Herkunft' arbeiten wir gemeinsam mit dem Institut für internationale Architektur-Dokumentation IIAD, DETAIL research, nach dem Methodenkanon des IIT HAWK zunächst Vergangenheit und Gegenwart bildhaft auf, um zu verstehen, wie die Entwicklung und Verwendung von Putz an der Fassade im Kontext technischer, gesellschaftlicher und gestalterischer Strömungen stattgefunden hat. Wir beginnen um 1800, da in dieser Zeit repräsentative Bauten namhafter Architekten über Putzfassaden interpretiert wurden. Die sich ab 1800 ständig ändernden gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen spiegeln sich deutlich in der Art der Gebäudetypen und in deren Gestaltung wider. Wenn ich die bisherigen Erkenntnisse in Worte fassen soll, könnte beim aktuellen Stand unserer Studie eine erste Auswertung darauf hindeuten, dass gerade durch die große Materialvielfalt, die sich in den letzten 15 Jahre ergab – und der sich parallel ändernden Erwartung der Gesellschaft und der Planer an Stadt, Form oder Außenhaut – Putze an der Fassade zunehmend verdrängt wurden. Dies auch als Folge der sich parallel ändernden Erwartungen von Gesellschaft allgemein und Planern im Spezifischen. Auch die Frage, was waren und sind heute Prestigebauten, welche Rolle spielt Markenarchitektur oder die Wohnungswirtschaft und wie sind hier jeweils Fassaden interpretiert, muss differenziert betrachtet werden und ist in dem betrachteten Zeitraum einem starken Wandel unterworfen.« Was möchten Sie mit dem Forschungsprojekt erreichen? Welche Zielgruppe möchten Sie hiermit ansprechen?
»Wir wollen zunächst einen fundierten Dialog in Gang setzen, der interdisziplinär geführt werden kann und soll. Dazu stellen wir uns folgende Fragen: Warum hat der für unseren Kulturraum typische und signifikante Werkstoff Putz als fugenlose Flächengestaltung in den letzten 20 bis 30 Jahren massiv an Flächenanteil bei Neubauten eingebüßt? Welche Veränderung erfahren durch diese Tatsache Stadtbilder und kulturelle Codierungen? Wie muss ein (fugenloser) Werkstoff – rendering/CODES – der Zukunft aussehen und was muss er als Werkstoff leisten können, damit er von Planern, Gestaltern und der Gesellschaft für die Interpretation von innovativen Neubauten und die kreative Weiterentwicklung von Bestandsbauten akzeptiert wird? Zielgruppe wäre neben den Planern, Gestaltern und Architekten auch die Rohstoffindustrie, Halbfabrikatshersteller wie Farben- und Dämmstoffindustrie, Produktmanager bis hin zu Entwicklern, aber natürlich auch das Handwerk. Ebenso wäre es von Interesse, mit diesem Thema Schnittstellen zur Politik zu aktivieren. Ein ganz besonderer Fokus liegt auf den Baufakultäten bzw. den Universitäten und Hochschulen der Architektur, deren Studierenden und Lehrenden. Hier versprechen wir uns intensive Dialoge und Impulse.« Welche Trends gibt es aktuell?
»Es existieren natürlich sehr viele und vielschichtige Tendenzen, Entwicklungen und Phänomene, die technisch, gestalterisch oder gesellschaftlich gelagert sind und die wir als kurz- bis langfristige Trends unterscheiden sollten. Blicken wir bei der Frage einmal auf das Thema Architekturinterpretation, so könnte man vermuten, dass die Zeit der großen Autorenarchitektur langsam zu Ende geht und eher sensible Integrationen in den Kontext oder das Denken in Großstrukturen Aufwind bekommt. Das könnte eine Chance für den Putz der Zukunft sein.« Was sind, Ihrer Meinung nach, die Vorteile bei der Verwendung von Putz heutzutage, beispielsweise in den Bereichen Sanierung, Raumklima, Putz als Dämmstoff oder Nachhaltigkeit?
»Ein wesentlicher Teil der Studie ist es ja auch, auf genau diese Fragen zielführende Antworten für die zukünftige Verwendung zu finden. Sicherlich hat der heutige Putz zu all diesen Punkten heute schon viele Vorteile. Diese sind weitgehend funktional gelagert und reichen anscheinend nicht alleine aus. Es zeichnet sich beim jetzigen Stand der Auseinandersetzung mit dem Thema rendering/CODES schon ab, dass Themen wie Individualisierbarkeit bei gleichzeitiger Kontextsensibilität, Materialauthentizität und Haptik Zukunftsanforderungen an den Werkstoff Putz sind. Diese wären einzustellen über zum Beispiel innovative Zuschlagsstoffe oder spezifische Applikationstechniken und Oberflächenbehandlungen. Natürlichkeit bei gleichzeitiger Erwartung von Smart Technics oder medialen Aspekten, möglicherweise auch Kriterien an Modularisierung der Fläche sind weitere Kriterien für intelligente und atmosphärisch starke Fassaden.« Inwieweit werden die Ergebnisse der Studie in die Praxis umgesetzt?
»Ziel ist, neben einer Veröffentlichung der Studie in 2016–2018, in 4 bis 6 Etappen in einem an die Studie integrierten mobilen Labor, WorkLab, im Expertenverbund zu arbeiten. Als Resultat unterschiedlicher Befragungen und Workshops werden narrative und bildhaft gelagerte Zukunftsszenarien zum Thema entstehen. Die Szenarien liefern als Ergebnis Informationen über eine mögliche 'DNA oder Zukunftscodierung – rendering/CODES' zum Putz der Zukunft, die dann mit Fachleuten aus Industrie und Handwerk weiter verdichtet werden und bestenfalls zu neuen Produktentwicklungen einen Anstoß bieten.« Erste Ergebnisse werden nun von  02. bis 05. März 2016 in München zur Messe FAF im Rahmen von WorkLabs und einer Ausstellung präsentiert. Das Gesamtprojekt wird inhaltlich und organisatorisch vom Institut für internationale Architektur-Dokumentation IIAD DETAIL research und dem Institute International Trendscouting IIT HAWK gestaltet. Dazu wird ein vom IIAD organisiertes Expertenforum, sowie eine Netzwerkveranstaltung angeboten. Das Interview führte die Presseabteilung FAF 16/GHM , Frau Melanie Diss (Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) Über Prof. Markus Schlegel
Markus Schlegel ist Studiendekan und Professor für Farb- und Architekturgestaltung sowie Projektentwicklung Farbe an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim. 2004 gründet er das Institute International Trendscouting an der Fakultät Gestaltung mit Schwerpunkt Zukunftsforschung in der Gestaltung. Neben Industriecoaching und Farbforschung konzipiert und kreiert er in diesem Zusammenhang Kollektionen, Farb- und Materialkonzepte für Innenräume und Fassaden sowie Farbmasterpläne. Er ist Kurator des Deutschen Farbenzentrums e.V. und vertritt dort das Ressort Zukunftsforschung Farbe.
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