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Die Zukunft der Bauforschung
Die Initiative Zukunft Bau des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung (BBR) hat es sich zum Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit von Bauforschung und Baupraxis zu fördern. Hans-Dieter Hegner leitet und koordiniert das seit 2006 existierende Programm. Seine Meinung zu den großen Trends im Bauwesen und zur Rolle von Industrie und Bauschaffenden im Wandel zu einer verantwortungsvollen nachhaltigen Gesellschaft sind in folgendem Interview nachzulesen.
BBR: Was hat die Bauforschungsförderung geleistet?
Hans-Dieter Hegner: Die Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesministeriums für Ver-kehr, Bau und Stadtentwicklung ist ein Programm der angewandten Bauforschung, das die kleinen und mittelständischen Unternehmen der Bauwirtschaft ebenso wie Architekten und Fachplaner in die Lage versetzen soll, technische, technologische sowie organisatorische Hemmnisse im Bauwesen zu beseitigen und sich eine starke Stellung im Wettbewerb auf dem europäischen Binnenmarkt und darüber hinaus erarbeiten zu können. Dabei geht es darum, Ergebnisse und Ideen aus der Grundlagenforschung bzw. Verfahren, Materialien und Hoch-technologien aus der Industrie für die Baupraxis anwendbar zu machen. Das Bauen unterscheidet sich ganz wesentlich von allen bekannten Industrieprozessen. Gebäude und bauliche Anlagen sind und bleiben Unikate. Damit sie auf die Herausforderung der Gesellschaft reagieren können, benötigt man nicht nur Verfahren und Materialien, sondern auch Regeln, Arbeitshilfen, Rechentools, Organisation und ganzheitliche Konzepte.
Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, hat sich die Forschungsinitiative Zukunft Bau in zwei Bereiche aufgestellt: die Ressortforschung und die Antragsforschung. Die Ressortfor-schung zielt insbesondere darauf ab, die Regularien des Bauens (von den energetischen Vor-schriften über die Vergabe bis hin zur HOAI) fortzuentwickeln. Die Antragsforschung hinge-gen ist insbesondere das gemeinsame Agieren von Bauwirtschaft, Planern, Wissenschaft und öffentlichen Trägern, um neue Verfahren, Materialien und Konzepte für das Bauen zu ent-wickeln. In den Jahren 2006 bis 2009 wurden insgesamt 156 Projekte in der Antragsforschung und 135 Projekte der Auftragsforschung bearbeitet. Im aktuellen Jahr 2010 werden vsl. je 45 Projekte in der Antrags- und Auftragsforschung realisiert werden können.
BBR: Was sind die wichtigsten Zukunftsthemen im Bauwesen? Womit wird sich die Bauszene beschäftigen müssen?
Hans-Dieter Hegner: Meines Erachtens gibt es ganz klar drei Megatrends der gesellschaft-lichen Entwicklung: Das ist erstens die Energieeffizienz und die Anwendung erneuerbarer Energien. Der Energiehunger in der Welt steigt gewaltig. Die neuen Wirtschaftsmächte in der Welt wie China, Indien und Brasilien benötigen für ihre Entwicklung dramatisch viel Energie und werden damit sukzessive auch zum Hauptemittenten für Treibhausgase. Mit mehr Ener-gieeffizienz und einem höheren Anteil erneuerbarer Energien können wir einerseits die Energieversorgung für Deutschland sicherer machen und andererseits Technologien exportieren. Der zweite Megatrend ist aus meiner Sicht die Rohstoffeffizienz. Es werden nicht nur seltene Erden knapp und teuer, sondern es gibt auch eine erhöhte Nachfrage nach klassischen Baustoffen wie den Metallen. Der stärkere Einsatz einheimischer Rohstoffe, aber auch die Orga-nisation einer hohen Recyclingfähigkeit unserer Gebäude stehen an. Es gibt de facto keine Alternative zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Das Bauwesen, das ca. 50 % aller Rohstoffe verbraucht und ca. 60 % aller Abfälle produziert, ist der wichtigste Partner in diesem Prozess. Der dritte große Megatrend ist der demografische Wandel in unserem Land. Der Anteil der über 60-Jährigen beträgt heute 23 %. Bereits im Jahre 2020 werden es über 30 % sein; Tendenz steigend. Beim Bauen und Modernisieren muss dieser Trend aufgenommen werden. Barrierefreies, barrierearmes Bauen und Sanieren, die Sicherstellung von Flexibilität und Umnutzung, aber auch Hilfesysteme stehen auf der Tagesordnung.
BBR: Welche Maßnahmen sind aus Sicht des Ministeriums notwendig, um das Innovationsgeschehen im Bauwesen zu stärken?
Hans-Dieter Hegner: Für die Stärkung des Innovationsgeschehens ist ein noch stärkeres En-gagement der Bauwirtschaft notwendig. Die Bauwirtschaft ist zwar ein Umsatzriese, aber ein Forschungszwerg. Mit noch nicht einmal 0,1 % Anteil der Forschungsleistung am Gesamt-umsatz ist die Branche höchstwahrscheinlich das Schlusslicht im gesamten Wirtschaftsranking. Das ist der starken Zersplitterung der Bauwirtschaft geschuldet, darf aber auf lange Sicht so nicht bestehen bleiben. Es wird nicht nur mehr Geld seitens der Wirtschaft benötigt, sondern vor allen Dingen die Bündelung der stark zersplitterten Strukturen und Interessen in der Bauwirtschaft.
Das stärkere Zusammengehen von Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen mit der Praxis wird eine höhere Praxisgerechtigkeit und eine schnellere Transformation von neuen Ideen in den Bauprozess befördern. Die Netzwerke von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft müssen gestärkt werden. Die Innovationsfähigkeit im deutschen Bauwesen ist dabei durchaus hoch. Einerseits sagt man der Bauindustrie landläufig eine gewisse Schwerfälligkeit nach. Anderseits muss man aber auch die gesamte Wertschöpfungskette im Bausektor in den Blick nehmen. Gerade im Bereich der Bauprodukte- und Zulieferindustrien sind beachtliche Innovationsleistungen er-bracht worden. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern besitzt die deutsche Bau-industrie eine deutliche Spitzenposition bei den angemeldeten Patenten.
BBR: Welche Rolle spielt die Bauindustrie für den Klimaschutz?
Hans-Dieter Hegner: Ca. 40 % der gesamten Primärenergie in Deutschland werden für den Betrieb von Gebäuden benötigt. Gleichzeitig ist zu beachten, dass 55 % aller Investitionen im Gebäudebereich getätigt werden. Die Bauwirtschaft trägt in der gesamten Wertschöpfungs-kette mit 11 % zur Produktion in Deutschland bei und vereint dabei 12 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Die Bau-, Wohnungs- und Immobilienwirtschaft ist in Bezug auf die in Deutschland getätigten Investitionen und den Anteil an der Wertschöpfung einer der größten Volkswirtschaftssektoren. Hier werden die Schwerpunktfragen wie Klimaschutz und Energieeffizienz entschieden. Die Schlüsselfrage lautet demnach: Wie können Investoren und breite Bevölkerungsgruppen veranlasst werden, verstärkt Energieeffizienz- und Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Entscheidungen einzubeziehen?
Die Bau- und Immobilienwirtschaft muss dazu Angebote unterbreiten. Sie ist volkswirtschaftlich gesehen der entscheidende Partner zur Erreichung der Energie- und Klimaschutzziele. Dabei trägt die Bauwirtschaft auch eine hohe Verantwortung. Sie muss zwischen hohen Zielen bei der Energieeffizienz, den wirtschaftlichen Erwägungen der Investoren sowie ihren soziokulturellen und funktionalen Ansprüchen vermitteln. Das ist eine komplizierte und vielschichtige Aufgabe. Damit dies in Zukunft besser gelingt, setzt die Bundesregierung darauf, Nachhaltigkeitsbewertungssysteme stärker in den Markt einzuführen und zu etablieren. Die Bundesregierung wird dabei bei ihren eigenen Immobilien mit gutem Beispiel vorangehen. Ein wichtiger Punkt ist dabei, Energie- und Stoffbilanzen sowie die finanziellen Auswirkun-gen Lebenszyklus-bezogen zu betrachten. Nur so werden wir Zukunft gestalten.
BBR: Das energieeffiziente Bauen ist von Teilen der Planer und Nutzer wenig akzeptiert. Weshalb glauben Sie an die Zukunft des Plusenergiehauses?
Hans-Dieter Hegner: Um es klar zu sagen: Die fossilen Brennstoffe wie Öl und Gas mit ihrer dramatisch anwachsenden Nachfrage zwingen geradezu zum Reagieren. Wenn wir unseren Wohlstand nicht gefährden wollen, müssen wir tätig werden. Es liegt für mich auf der Hand, dass es nicht nur um Energieverbrauch und dessen Verringerung geht, sondern um ein besseres Energiemanagement. Wenn eine Ressource wie die Energie teurer wird, müssen wir sie besser behandeln. Dazu benötigen wir mehrdimensionale Konzepte. Das Plusenergiehaus ist der Versuch mit hoher Energieeffizienz der Gebäudehülle, der Anlagentechnik und der häuslichen Verbraucher, mit der Gewinnung erneuerbarer Energien, aber auch mit dem zielgerichteten Einsatz von erwirtschafteten Energieüberschüssen ein vernünftiges Management zu gestalten. Von den Überschüssen könnten sowohl die Mobilität, aber auch vielleicht denkmalgeschützte Gebäude, die nicht zum Nullenergiehaus saniert werden können, profitieren. Das Plusenergiehaus ist für mich ein wichtiger Baustein in einem großen Puzzle.
BBR: Komfortansprüche machen aus Häusern Maschinen, die mit Decken und Wänden hei-zen und kühlen können, adaptiv zur Umwelt reagieren und Energie produzieren. Wenn aus Häusern Kraftwerke werden, bleiben Häuser Architekturen oder werden sie zu solaren Trägersystemen degradiert?
Hans-Dieter Hegner: Wohnen, Arbeiten oder Lernen sind Nutzungen mit hohen funktionellen, kulturellen und sozialen Ansprüchen. Wenn diese Ansprüche nicht ausreichend befriedigt werden, verfehlen wir das Ziel modernen Bauens. Insofern ist es eine vornehme Aufgabe der Forschungsinitiative Zukunft Bau, gerade dieses Thema aufzugreifen. Eines der Schwerpunkte ist z.B. die sinnvolle Nutzung von Fassaden für die Energiegewinnung bei einem gleichzeitig hohen architektonischen Anspruch. Erinnern möchte ich auch an Themen zu den ther-misch aktivierten Bauteilen, die natürlich auch ästhetische und akustische Aspekte berücksichtigen müssen. Insofern werden wir weiter in Häusern wohnen, die unsere menschlichen Maßstäbe widerspiegeln, die aber viel stärker multifunktionell aufgestellt sind wie bisher.
zur Person: Dipl.-Ing. Hans-Dieter Hegner ist Ministerialrat und Leiter des Referats B 13 "Bauingenieurwesen, Nachhaltiges Bauen, Bauforschung" im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Herr Hegner führt und koordiniert die Forschungsinitiative Zukunft Bau.