16.03.2011

Farbraum 2012

Zukunftsszenarien und Trendtypologien

vonProf. Markus Schlegel, HAWK

Die Durchführung von Trendscoutings und Monitorings Raum, Material, Form und Farbe als Teilbaustein des Projekts "future research architecture" bildet beim Institute International Trendscouting (ITT) der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim (HAWK) die Grundlage für die Kreation von Zukunftsszenarien.

Unter welchen Rahmenfaktoren werden Trendscoutings und Monitorings im IIT der HAWK durchgeführt und Zukunftsszenarien entwickelt? Wie werden erfasste Bilddaten zusammengeführt, dargestellt und bewertet? Welche formalästhetischen Tendenzen sind aktuell ablesbar und wie lassen sich diese in gestalterisch-stilistische Milieus übertragen?

Ermittelt wurden drei polar angelegte Trendtypologien, die als übergreifende formalästhetische Haupttrends beschreibbar sind. Die ermittelten Trends sind auf der Parabel des Trendverlaufs zwischen der Früherkennung und der Adaption durch die Konsumenten zu verorten. Vereinzelt sind Phänomene bereits zwischen der Adaption und der Durchdringung anzusiedeln. Die ermittelten Typologien sind nicht als stilistische Trendwelten ausformuliert, sondern dienen als Basis für die Kreation von stilistischen Milieuszenarien durch Gestalter. Aufbauend auf den Ergebnissen stilistisch-epochaler Farb-, Material- und Formsignifikanzen der letzten 50 Jahre, werden methodisch Trendscoutings und Monitorings durchgeführt und darauf basierend Zukunftsprojektionen und Szenarien entwickelt.

Farb- und Materialzyklen // epochale Sequenzphänomene

Die Grundlagenforschung mit den ermittelten Farb-, Form- und Materialzyklen aus vergangenen Epochen (Trends und Nebentrends), mit der Abfolge von langsamen bis zu schnelleren epochalen Phänomenen steht in direktem Bezug zu dem kulturellen Gedächtnis. Das Wissen und Verstehen der Vergangenheit und Gegenwart, also bereits vorhandener Ausdrucksformen zu Raum/Produkt/Grafik/Farbe und Materialität sowie soziokulturellen und geospezifischen Typologien ist Bedingung für Zukunftsszenarien und Neukreationen. Ein wesentlicher Bestandteil der Zukunfts- und Trendforschung ist nach Auffassung des IIT das Verstehen und dokumentarische Abbilden der Vergangenheit und die inhaltliche Verknüpfung mit der Gegenwart.

Begriffserläuterung Trend

Entstanden sind unterschiedliche Betrachtungsmodelle und Diskurse zum Begriff Trend, die auf die diversen Einflussfaktoren, Trendtypen, Milieus oder Betrachtungsweisen und deren Interaktion hinweisen. Weiter wurden in den Modellen Trendverortung in der Gesellschaft wie auch deren Zuordnung zu Zeitverläufen dargestellt.

-Trendwellen und deren zeitlicher und thematischer Bezug, von Kondratieff über Mega-, Meta- bis zu kurzlebigen Mikro- und Modetrends.
-Exemplarische Auswirkung/Überträge von (formalästhetischen) Trendphänomenen innerhalb der jeweiligen Trendwellen auf Gesellschaft, Technik, Natur etc.
-Einflussfaktoren auf eine Trendausprägung von Kunst, soziokulturellen bis zu geospezifischen Faktoren.
-Trendverlauf von der Früherkennung bis zur Marktdurchdringung und Belanglosigkeit.
-Ausprägung der formalästhetischen Interpretation eines Megatrends, z.b. Ökologie, als milieuspezifische Trendstilistik von finanziell abhängig bis unabhängig und gestaltungsaffin bis nicht gestaltungsaffin.
- Darstellung exemplarischer formalästhetischer Trendverläufe und deren aufbauende Fortschreibung, Diversifizierung und stilistische Ausprägung.
- Darstellung exemplarischer Wiederholungen signifikanter Bilddaten über mehrere Monate/Jahre und deren Bezug und Einfluss zu Trendtypen, Stilwelten und Trendverlauf.

Vorgehensweise und Umsetzung

Der Status quo aktueller gesellschaftlich relevanter Megatrends (Ökologie, Gesundheit, Mobilität etc.), daraus entstehender möglicher Lebensmodelle sowie Beispiele der Architekturgestaltung, des Designs, der Grafik und der Mode wurden im Expertenkreis im IIT der HAWK analysiert und diskutiert.

Zielformulierung:Gescoutet wurden über festgelegte Print- und Nonprintmedien signifikante gestalterische Auffälligkeiten in Architektur, Design, Grafik und Mode, die eine deutliche Weiterentwicklung und Fortschreibung des Status quo darstellen. Entstehen sollen unterschiedliche Zukunftsszenarien Text und Bild als Fundament für neue mögliche Gestaltungsansätze und Gestaltungsrichtungen.

Festlegung der Betrachtungskriterien:Text und Bild Fokus der Betrachtung waren die Parameter Form, Materialität, Farbe (Licht), Raum, Designtechniken und Medien allgemein und mögliche Spiegelbilder unterschiedlicher Mega- bis Mikrotrends.

Festlegung der BetrachtungsmedienPrint und Nonprint:Festgelegt wurden besonders design- und zukunftsorientierte Printmedien, in denen unter anderem Dummys, Entwurfsmodelle oder allgemein "Testballons" neben aktuellen Design- und Architekturneuigkeiten vorgestellt und diskutiert werden.

Festlegung des Durchführungsmodus:Orientiert an Bild-Betrachtungsmodellen des IIT-HAWK und nach festgelegten Kriterien zu Form, Material und Raum-, bzw. Bildcharaktere allgemein, wurden die genannten Medien erstmalig gesichtet. Bei der zweiten Sichtung wurden erste Auffälligkeiten erfasst und gekennzeichnet. Dieser Prozess wurde mehrfach wiederholt.

Auswertung Scouting:Scoutingphasen begannen, in denen deutlich formulierte Parameter der Formalästhetik beschrieben wurden, um festzustellen, in welcher Häufigkeit und in welchen Anwendungsbereichen diese vorkommen. Eine parallel durchgeführte Studie wertete Onlinedatenbanken aus. Die Ergebnisse waren parallel in den laufenden Prozess der Clusterbildung und des Monitorings mit eingeflossen.

Kriterienentwicklung für die Clusterbildung erfasster Daten:Es fanden zuerst Clusterbildungen zur Farbe statt, da Farbe offensichtlich, primär ablesbar und für alle Themen wesentlich ist, wobei auffällig war, dass sich charakteristische Farbcodes in allen Themen vergleichbar wiederfinden. Die zweite Phase des Filterns und Sortierens stellt Form und Materialität/Oberfläche in den Vordergrund und führt bereits in der Andeutung zu den späteren Themenblöcken. Die dritte Phase der Clusterbildung berücksichtigt bereits Auswertungen aus der Delphibefragung und der Onlinedatenauswertung.

Abgleich von Gestaltstrukturen aus der Zyklenbetrachtung:Nach den ersten Clusterbildungen und der Integration erster Delphirückläufe werden Parallelen zu vergangenen Epochen gesucht, um auf mögliche Retroansätze, Lebenszyklen eines Trends oder andere Verhaltensmuster Hinweise zu finden.

Kreation Monitoring Phase:Faktoren der bekannten Mega- bis Mikrotrends wurden berücksichtigt und waren mit ausschlaggebend, den jeweiligen Charakter eines Trendthemas zu formulieren.

Abgleich ErgebnisseDelphibefragung IIT HAWK:Das visuell wahrnehmbare Endresultat (Monitoring) wurde abgeglichen mit den Auswertungen aus der zweiten Delphirunde, in dem wesentliche Kernaussagen nach Gestaltungsforderungen oder Gestaltverhaltensmuster.

Auswertung und Prediction Level:Die Zusammenführung aller Daten dieser Methode verdichtet gestalterische, architektonische oder materialorientierte Zukunftsparameter zu differenzierten Gesamtbildern/Szenen. Diese sind im parabelartigen Verlauf von Trend- und Tendenzphänomenen im Bereich der frühen Adaptionsphase der Experten und gestaltungsaffinen Nutzer anzusiedeln. Erst diese Zusammenführung lässt aus vielen einzelnen Vorkommnissen und Bildcharaktere eine logische und visuell fassbare sowie kontextbezogene Kontur formulieren. Die zusammenfassende Kontur bildet die Basis für eine szenarienartige Prognose, welche dann die Möglichkeit gibt, konkrete Parameter zu den jeweiligen Trendtypologien zu beschreiben.

Fazit

Ermittelt wurden drei polar angelegte Trendtypologien, die als übergreifende formalästhetische Haupttrends beschreibbar sind. Die ermittelten Trends sind auf der Parabel des Trendverlaufs zwischen der Früherkennung und der Adaption durch die Konsumenten zu verorten. Vereinzelt sind Phänomene bereits zwischen der Adaption und der Durchdringung anzusiedeln. Die von uns skizzierten Typologien sind nicht als stilistische Trendwelten ausformuliert, sondern dienen als Basis für die Kreation von stilistischen Milieuszenarien durch Gestalter. Ein formales Leitthema, dass sich für nahezu alle ermittelten Trendtypologien und formalen Charaktere beschreiben lässt, kann der Begriff "Bewegung" oder "Zeit" sein. Alle von uns abgebildeten Themen sind mit diesen Begriffen in Verbindung zu bringen. Ob die Form eines Gegenstands eine dynamisch (natürlich oder digital) geschwungene, vertikal oder horizontal geschichtete ist, oder ob sich im Sinne einer Patina Gebrauchsspuren als Zeitzeugen der Materialität ablesen lassen, oder digitale Bewegtbilder. Es handelt sich auffallend oft um rhythmische Wiederholungen, Wellen, Schichtungen oder Pattern Matching. Auch das Thema Nachhaltigkeit und Ökologie bezieht sich auf Zeit und Lebenszyklen. So ist in Recyclingprodukten natürlich der Faktor Zeit direkt sichtbar. In den übertragenen Themen der Natur auf Raum und Objekt wird über semantische Zusätze oder über Farb- und Materialcodes der Faktor Zeit integriert.

Die drei entstandenen Haupttrends haben inhaltliche Bezüge und thematische Überschneidungen und sind, wie immer bei parallel auftretenden Trends, nicht scharfkantig voneinander zu trennen.

Die Haupttrends stellen nicht selten formale Bezüge zu den 80er Jahren her, die wiederum starke Bezüge zu den 50er Jahren formulieren. Ein Phänomen, das sich bereits heute formulieren lässt, ist, dass sich zyklische Gestaltphasen in einer Sequenz 1950er-80er-2010er Jahre festschreiben lassen. "Die heutigen ersten Hinweise auf Gestaltattribute aus den 90er Jahren, die sich wiederum stark auf die 60er Jahre bezogen, lässt eine Sequenz 1960er-90er-2020er Jahre vermuten".

Copyright: Institute of International Trendscouting (IIT),HAWK

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