14.11.2025 Jakob Schoof

Fassadenplanung im Lebenszyklus: Das kalkulierbare Abenteuer

Blick in das Innere von „The Q“ in Nürnberg. Ernst Neuferts ehemalige Quelle-Zentrale soll Ende 2025 als gemischt genutztes Stadtquartier wieder eröffnet werden. © schnepp + renou

Wie baut man das Lagerhaus eines Versandhändlers zum lebendigen Stadtquartier um? Was bringt mehr – Fassadensanierung oder Heizungstausch? Und wie weit ist Deutschland eigentlich beim Urban Mining? Diese drei Fragen verdeutlichen die enorme Bandbreite der Fragen, die beim diesjährigen Architekturtag „Neubau, Umbau, Rückbau – Fassadenplanung im Lebenszyklus“ in München verhandelt wurden. Detail hatte die Veranstaltung am 6. November 2025 gemeinsam mit fünf Verbänden der Fassadenbranche - A/U/F e.V., Bundesverband Flachglas, ift Rosenheim, Rewindo, Verband Fenster und Fassade – ausgerichtet. Die fünf Referentinnen und Referenten waren zu Gast im „Servus Otto“, einer zwischengenutzten Büroetage im Münchener Nordosten.  

Von der Quelle-Verwaltung zum Quartier „The Q“ 

Den Auftakt und Abschluss des Vortragsprogramms bildeten zwei prominente Sanierungsobjekte, die beide noch vor Ende des Jahres neuen Nutzern übergeben werden sollen. In Nürnberg baut das Architekturbüro Kister Scheithauer Gross seit mehr als zehn Jahren das ehemalige Quelle-Verwaltungsgebäude um. Einst war die Zentrale von Deutschlands größtem Versandhändler mit 270 000 m² Geschossfläche das zweitgrößte Bauwerk der Bundesrepublik. Schon bald soll daraus ein belebtes Stadtquartier mit Büros und Wohnungen alle Art werden – vom Seniorenwohnen über den geförderten Wohnungsbau bis zum Hotel. Als erster Mieter wird die Stadt Nürnberg mit Teilen ihrer Stadtverwaltung dort einziehen. 

Ein erster Blick auf die neuen Balkone des ehemaligen Telekom-Hochhauses in Konstanz. Die 96 Wohnungen im ehemaligen Verwaltungsgebäude sollen demnächst ihren Käufern übergeben werden. © Sauerbruch Hutton 
Der Quelle-Turm überragt heute wie ehedem das Quelle-Areal in Nürnberg. Die Ziegelfassaden mit den markanten Bandfenstern blieben erhalten, die Fenster wurden behutsam erneuert. © schnepp + renou 

Hochhaus mit Seeblick und komplexer Bausubstanz 

Sechs Jahre lang waren Sauerbruch Hutton aus Berlin mit dem Umbau eines ehemaligen Telekom-Hochhauses in Konstanz zum Wohngebäude beschäftigt. Laut Büropartnerin Vera Hartmann lag die besondere Herausforderung in der Tatsache, dass das vorhandene Tragwerk so gut wie keine zusätzlichen Lasten aufnehmen konnte – kein Wunder bei einer Stärke der Rippendecken von gerade einmal 10 cm. Allerdings sollten die Wohnungen verkauft werden – mit allen Komfortansprüchen an Schallschutz und Balkone, die Eigentümer hochpreisiger Wohnungen üblicherweise stellen. Hinzu kam, dass Konstanz in der Erdbebenzone 2 liegt und das Hochhaus noch nicht einmal die seinerzeit gültigen Normen erfüllte. Die Balkone sind nun an einer neuen, tragenden Wand befestigt, die auf langen Pfählen im Uferschlick des Bodensees gründet. Die für Sauerbruch Hutton typische Farbe bringen Fliesen ins Spiel, die in die Balkonbrüstungen integriert wurden – Blau und Grün auf der Seeseite, gemischt mit Rosé auf der Landseite. 

Johannes Kister (links) diskutiert beim Architektentag mit Moderatorin Eva Herrmann. © Jakob Schoof 

Beim Umbau von Ernst Neuferts Quelle-Zentrale waren die Herausforderungen eher dem Denkmalschutz geschuldet. Dabei war Kompromissfähigkeit auf allen Seiten erforderlich, berichtet Johannes Kister: Schließlich waren die Bestands-Grundrisse bis zu 40 m tief – viel zu viel für vernünftig belichtete Wohn- und Büroräume. Daher schnitten Kister Scheithauer Gross rund 70 000 m² Geschossdecken aus dem Gebäude heraus, um neue Innenhöfe zu schaffen. Die originalen Ziegelfassaden mit ihren endlosen Fensterbändern blieben erhalten, die Fenster selbst wurden durch fast ansichtsgleiche Nachbauten in gleicher Teilung ersetzt. Je nach Raumnutzung müssen die Fenster ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen: An den Wintergärten vor den Wohnungen wurden Faltflügel aus Stahl installiert, in den Wohnräumen Drehflügel. 

Stephan Schlitzberger im Gespräch mit Eva Herrmann. © Jakob Schoof 

Gebäudehülle sanieren oder Heizungstausch – was bringt mehr? 

Doch wann lohnt sich ein Fenstertausch überhaupt? Und was geschieht mit dem entsorgten Altmaterial? Darauf gaben die Fachvorträge von Norbert Sack, Stephan Schlitzberger und Wolfgang Schreiber Antwort. Stephan Schlitzberger vom Ingenieurbüro Hauser gab den Zuhörerinnen zwei Botschaften auf den Weg. Erstens: Wer im Altbau nur den Gaskessel aus- und eine Wärmepumpe einbaut, senkt damit zwar den CO2-Ausstoß, spart aber keine Energiekosten – es sei denn, der Strom kommt in nennenswertem Ausmaß vom eigenen Dach. Sinnvoller wäre es laut Schlitzberger, zunächst die Gebäudehülle samt Fenstern zu sanieren. Gemeinsam mit seinem Ingenieurbüro hat Schlitzberger außerdem untersucht, wie sich große Fensterflächen in einem künftig wärmeren Klima verhalten. Hier zeigt sich: Mit Nachtlüftung und außen liegendem Sonnenschutz sind Glasfassaden auch künftig noch tragbar – ohne diese beiden Ergänzungen sollte man lieber darauf verzichten. Wer mehr darüber erfahren will: Die Studie „Die gute Gebäudehülle“, die das Ingenieurbüro Hauser im Auftrag der Repräsentanz Transparente Gebäudehülle erstellt hat, soll Ende 2025 fertiggestellt werden. 

Norbert Sack vom ift Rosenheim (links) stellte beim Architekturtag die Studie „Graue Energie und Emissionen von Fenstern im Vergleich zum Einsparpotenzial“ vor. © Jakob Schoof 

Ähnliche Fragen hat auch das ift Rosenheim in seiner Studie „Graue Energie und Emissionen von Fenstern im Vergleich zum Einsparpotenzial“ untersucht. Ergebnis: Ein Fenstertausch rentiert sich so gut wie immer, so Studienleiter Norbert Sack in seinem Vortrag. Das gilt sogar dann, wenn man eine besonders energieintensiv herzustellende Dreifachverglasung wählt. In der Regel amortisiert sich die Sanierung – bezogen auf den Treibhausgasausstoß – spätestens nach zehn Jahren. Nur wenn das Haus mit Holz beheizt wird, dauert es etwas länger, da dieser Brennstoff als CO2-neutral gilt. Ob man Holz überhaupt verheizen oder doch eher zum Bauen verwenden sollte, steht indes auf einem anderen Blatt. 

Podiumsdiskussion mit Stephan Schlitzberger, Wolfgang Schreiber, Norbert Sack und Eva Herrmann (von links). © Jakob Schoof 

Endziel: sortenreiner Rückbau 

Am Ende ihres Lebenszyklus steht allen Fenstern und Fassaden das gleiche Schicksal bevor: der – hoffentlich kontrollierte – Rückbau. Dafür zeichnet der Deutsche Abbruchverband mit seinen 850 Mitgliedsunternehmen verantwortlich. In seinem Beitrag trat Wolfgang Schreiber der landläufigen Meinung entgegen, in Deutschland würden noch immer zu viele Baustoffe auf der Deponie landen. Das Problem sieht er vielmehr in der noch immer großen Abneigung gegen Recycling-Werkstoffe unter Bauunternehmen und Endverbraucherinnen. Selbst beim Recyclingbeton stoßen Deutschlands Abbruchunternehmen offenbar immer noch auf Bedenken. Nicht nur Bauprojekte, sondern auch Abbrucharbeiten müssen geplant werden, so Wolfang Schreiber weiter – am besten von Architektinnen und Rückbauunternehmen gemeinsam. Das funktioniert umso besser, je weniger Problemstoffe in einem Gebäude stecken. Damit sind nicht nur Schadstoffe wie Asbest gemeint, sondern auch: Wärmedämmverbundsysteme, verklebte Folien und Flüssigbeschichtungen. Selbst Holz-Betondecken fallen laut Schreiber in diese Kategorie – eine spätere sortenreine Trennung ist zwar theoretisch möglich, aber unwirtschaftlich. 

Vera Hartmann vom Büro Sauerbruch Hutton berichtete über die Bauarbeiten am ehemaligen Telekom-Hochhaus in München. © Jakob Schoof 

Und es bewegt sich doch etwas 

Weniger Verbundwerkstoffe – diesem Wunsch konnten sich beim Architekturtag auch die anwesenden Architekten und Architektinnen anschließen. Weit oben auf der Wunschliste von Vera Hartmann stehen auch die Lockerung von Vorschriften beim Bauen im Bestand sowie Bauprodukte, die speziell für Sanierungsobjekte entwickelt werden. Die Architektin erkennt jedoch auch Fortschritte – selbst in den sechs Jahren, die ihr Büro am Telekom-Hochhaus in Konstanz gearbeitet hat, hat sich in der Bauwirtschaft viel getan. Bauunternehmen und Bauzulieferer seien sich heute ihrer Verantwortung für das Bauen im Bestand viel stärker bewusst als vor zehn Jahren noch, so Hartmann. Und auch Wolfgang Schreiber zog ein versöhnliches Fazit. Vor allem in der Fenster- und Fassadenbranche gibt es seiner Ansicht nach viele Vorreiter in Sachen Urban Mining – allen voran die Recycling-Initiativen Rewindo und A/U/F, die den Architekturtag in München als Kooperationspartner mit organisiert haben. 


Referentinnen und Referenten:
Vera Hartmann, sauerbruch hutton 
Johannes Kister, kister scheithauer gross architekten und stadtplaner 
Norbert Sack, ift Rosenheim 
Stephan Schlitzberger, Ingenieurbüro Prof. Dr. Hauser 
Wolfgang Schreiber, Deutscher Abbruchverband


Kooperationspartner: A/U/F e.V., Bundesverband Flachglas, ift Rosenheim, Rewindo, Verband Fenster und Fassade
Location-Sponsoring: Art-Invest Real Estate

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