19.11.2025 Julia Voitl

Florian Nagler über seine Bau- und Lebensweise

Florian Nagler, © Julia Voitl

Das Naturhotel Tannerhof in Bayrischzell verfolgt die Philosophie „Qualität statt Überfluss“. 2011 hat das Architekturbüro Florian Nagler Architekten zusammen mit den Bauherren Burgi von Mengershausen und Roger Brandes das ehemalige Sanatorium zu einem Gesundheits- und Rückzugsort inmitten der Natur transformiert. 2025 folgte nun ein neues Kapitel: die „Badeharpfe“. Ende September sprach Florian Nagler vor Ort über Einfachheit und den Wert des Reduzierten – Gedanken, die sich in seiner Architekturgestaltung und im Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ an der TU München widerspiegeln. 

Badeharpfe, Naturhotel Tannerhof in Bayrischzell, © Sebastian Schels

Schon zum zweiten Mal haben Sie zusammen mit den Bauherren den Tannerhof weiterentwickelt. Wie sind Sie an die Aufgabe herangegangen? 
Der Tannerhof ist anders als sonstige Bauvorhaben, weil wir uns sehr gut kennen und bereits mit dem ersten Umbau Freundschaft geschlossen haben. Wir haben hier immer die Freiheit, Vorschläge einzubringen und sie gemeinsam zu diskutieren. Dabei herrschte der Konsens, dass das neue Badehaus sich in die landschaftliche Situation einfügen und zum Tannerhof passen soll. Wir haben viele Dinge überlegt, Modelle gebaut, Visualisierungen erstellt – und am Ende etwas ganz anderes und deutlich Kleineres umgesetzt. Der Entwurf ist im gemeinsamen, konstruktiven Arbeiten Schritt für Schritt gewachsen und immer besser geworden. 

Was hatten Sie denn ursprünglich geplant? 
Das Angebot des Tannerhofs sollte mit einer Wellnesslandschaft erweitert und das Badehaus umgebaut werden. Irgendwann wurde das Projekt so groß, dass es nicht mehr wirtschaftlich darstellbar war. Ich bin sehr glücklich, dass es jetzt so klein geworden ist, aber das Programm vom Tannerhof trotzdem noch einmal gut abrundet. 

Sie bezeichnen den neuen Bau als „weltweit erste Badeharpfe“. Was verbirgt sich hinter dem Begriff? 
Die Harpfe ist die Idee und der Wunsch von Roger Brandes gewesen. Es ist im Grunde ein Holzgestell in der Landschaft mit einem großen Dach darüber – traditionell zum Trocknen von Heu. Das fand ich eine schöne Vorgabe. Der eigentliche Luxus an dieser Konstruktion ist der große, ungenutzte Luftraum, der die Konstruktion flexibel nutzbar macht. So hat sich dann allmählich das Raumprogramm entwickelt – Nasszellen, Fitnessräume, Outdoor-Naturpool, Sauna und Ruheraum. 

Was charakterisiert das Gebäude in Ihren Augen? 
Es ist im Grunde eine ganz einfache, zimmermannsmäßige Konstruktion, bei der man auf den ersten Blick versteht, wie sie funktioniert. Gleichzeitig ist sie auch räumlich interessant, denn man kann über die gesamte Länge hindurchsehen und erfährt die Struktur unmittelbar. Das ist die Art von Holzbau, die mir Spaß macht. 

Gab es auch Stellen, bei denen die Umsetzung nicht so einfach war? 
Man kann Häuser nur einfach bauen, wenn sie keine komplexen Anforderungen haben. Wenn wie hier ein Teil des Baus unter der Erde steckt, dann ist das per se nicht ganz so einfach umzusetzen. Dennoch ist es uns gelungen, die Komplexität im Rahmen zu halten, weil die Fitness- und Aufenthaltsräume natürlich belüftet werden und die Duschen und WCs ein recht übersichtliches Lüftungssystem haben. Die Mechanik der Falt-Schiebeläden im Obergeschoss ist ebenfalls nicht ganz einfach und musste präzise ausgeführt werden. Andererseits gibt es solche Fensterläden seit Jahrhunderten in jedem italienischen Palazzo – das ist auch keine weltbewegende Neuerfindung.

Innenansicht der Badeharpfe, © Sebastian Schels 
Holz charakterisiert die Innenraumgestaltung: Die Haptik und der Charakter des Materials sollen spürbar sein. © Sebastian Schels 

Welches Holz haben Sie für das Bauprojekt eingesetzt? 
Generell versuchen wir, Holzarten so einzusetzen, dass sie ihren jeweiligen Anforderungen entsprechen. Die Hauptkonstruktion und die Bauteile, die im Außenbereich sind und bewittert werden, sind aus sägerauer Lärche – vorwiegend aus Gründen der Dauerhaftigkeit. Als konstruktiven Holzschutz haben wir auch ein großes Vordach gebaut. Die Füllungen in der Dachkonstruktion sind dagegen aus Fichte. Das Holz stammt aus der Region. 

Wie auch in Ihren anderen Projekten entdeckt man in der Badeharpfe viele kleine Details: abgerundete Sitzbänke, präzise Fugen, die Aufhängung der Lampen. Sind das zufällige Ornamente? 
Ich nenne solche Dinge immer „kleine Nettigkeiten“. Ich glaube, ein Haus braucht Punkte, an denen man nicht stur dem Prinzip folgt, sondern mit einem Augenzwinkern vom klaren Konzept abweicht. Wenn man sich ein bisschen bemüht, dann lösen diese Details nicht nur das Problem, sondern sind auch noch ein wichtiger Teil der Gestaltung. 

Sie haben im Haupthaus des Tannerhofs auch an der Innenraumgestaltung mitgewirkt. Haben Sie schon öfter Möbel entworfen oder war das ein Einzelfall? 
Das machen wir nicht sehr oft. Bei unserem Gartenhaus haben wir gemeinsam mit dem österreichischen Schreiner Markus Faißt die Arbeitstische für unser Büro entwickelt. Stühle haben wir dagegen zum Beispiel noch nie entworfen, weil man davon viel verstehen muss. So tief sind wir in dieses Metier bisher nie eingestiegen. 

Für die Konstruktion kam regionales Holz zum Einsatz. © Sebastian Schels 

Der Tannerhof besteht bereits seit 120 Jahren und ist ein Ruhe- und Rückzugsort, an dem Gäste ihrem Alltag entfliehen können. Was ist Ihr Rückzugsort, an dem Sie Konzepte und Details entwickeln?
Die besten Ideen kommen mir eigentlich beim Spazierengehen mit dem Hund. Das sind zweimal am Tag jeweils eine Stunde, in der ich den Kopf frei bekomme und die meisten Überlegungen entstehen. Ich muss nicht mehr wie früher alles zeichnerisch entwickeln, inzwischen mache ich relativ viel im Kopf und zeichne es dann hinterher von Hand auf.  

In der Tannerhof-Philosophie geht es auch um „das Wahrnehmen und Fühlen.“ Wie spiegelt sich das in der Architektur wider? 
Wir versuchen, die Materialien immer so einzusetzen, dass man sie gern anfasst, dass ihre Haptik spürbar ist und ihrem Charakter entspricht. In unserer Architektur wird wenig verdeckt, versteckt oder verkleidet. Der Tannerhof war für mich in dieser Hinsicht ein guter Lehrmeister. Vor dem Hofladen gibt es eine alte Tür, auf der steht: „Mensch, werde wesentlich.“ Die Dinge, die wir machen, sind nicht nur vordergründig schön, sondern etwas Wesentliches. 

Inwiefern hat der Gedanke „Mensch, werde wesentlich“ Ihre Entscheidungen beim Umbau des Tannerhofs beeinflusst? 
Als wir 2007 mit dem Projekt begonnen haben, war unser wichtigstes Ziel, den Charakter des Tannerhofs nicht zu zerstören. Es ist etwas Schönes, so einen besonderen Ort anvertraut zu bekommen. Als Architekten sehen wir uns eher in einer unterstützenden Rolle. Natürlich haben wir den Ort mitgeprägt, aber vieles war schon da – wir haben es nur fortgeschrieben. Es ist nicht nur das Gebaute, das diesen Ort prägt, sondern vor allem die Menschen, die hier arbeiten und den Gedanken von Entschleunigung vermitteln. 

Rückzugsort in Bayrischzell: Badeharpfe, Naturhotel Tannerhof in Bayrischzell, © Sebastian Schels

Glauben Sie, dass die Gäste den Tannerhof vor allem als kurzen Rückzugsort vom Alltag nutzen – oder nehmen sie das Konzept der Einfachheit vielleicht auch mit in ihren eigenen Alltag? 
Das ist eine interessante Frage. Ich hoffe, dass die Gäste, wenn sie merken, wie gut es ihnen hier geht, zu Hause reflektieren, warum das so ist. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie hier mit wenigen Dingen konfrontiert sind. Vielleicht reagieren sie darauf und gestalten ihren eigenen Alltag auch anders – einen zufriedeneren Weg mit weniger Konsum und Dingen, die einen belasten. Ich weiß natürlich nicht, ob das funktioniert, aber es wäre ein schöner Gedanke. 

Sie haben einmal betont, dass man nur mit einem guten gebauten Beispiel Aufmerksamkeit erreichen kann. Die Badeharpfe ist ein vergleichsweise kleines Projekt. Hat es dennoch eine Bedeutung in Ihrem Gesamtwerk oder für künftige Projekte? 
Die Größe ist für die Bedeutung eines Projekts irrelevant. Entscheidend ist, ob man mit dem Gebäude etwas zu sagen hat und einen Beitrag leistet. Die Forschungshäuser in Bad Aibling haben ja auch nicht wegen ihrer Größe Aufmerksamkeit erzeugt, sondern weil die Fragestellungen, wie wir in Zukunft bauen wollen, wie wir nach wie vor bezahlbaren Wohnraum leisten können und wie wir verantwortungsvoll mit unseren Ressourcen umgehen, einfach den Nerv der Zeit getroffen haben. 

Wohin geht das Einfache Bauen in der Zukunft? Hat es sich teilweise schon durchgesetzt? 
Das kann man, glaube ich, noch nicht sagen. Der Wohnungsbau ist extrem zurückgegangen, insofern ist der Druck im Bauwesen hoch. Einfach Bauen und überhaupt Initiativen in diese Richtung, ob Gebäudetyp E oder Hamburg Standard, zielen darauf ab, von unseren hohen Ansprüchen etwas zurückzutreten. Es geht auch mit weniger. Und ich glaube, dass das einen Beitrag leisten kann und wir da auf einem guten Weg sind. 



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