12.09.2016 Tim Westphal

Gute Nachrichten zum denkmalgeschützten Pförtnerhaus

Foto: Tim Westphal

DETAIL: Professor Hanenberg, Dr. Lohmann, was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit an Ihren Lehrstühlen in Aachen und Gießen?

Hanenberg: Mein Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich Baukonstruktion und Entwerfen – vom Entwurf über das Konstruieren bis hin zur Ausführung. Darüber hinaus arbeite ich an Forschungsthemen, die mit aktuellen Tendenzen in der Architektur verknüpft sind. Mein Interesse an Mies van der Rohe ist seit dem Studium geweckt. Ich komme aus Krefeld, kenne die Häuser Esters und Lange und das Gelände der Verseidag seit Jahrzehnten. 2002 habe ich dann begonnen, die Besonderheiten des Standorts Krefeld zu fokussieren. Ich beschäftige mich mit dem Gelände der Verseidag seit 2011 und dies gemeinsam mit der regionalen Denkmalpflege.

Lohmann: Ich komme aus der historischen Bauforschung und setze mich mit konservatorischen Themen auseinander. Als Rheinländer habe auch ich großes Interesse an der regionalen Architektur. Insbesondere die Bauten von Mies van der Rohe in unserer Region verdienen besonderes Augenmerk. Wir wissen um die Wichtigkeit dieses Erbes in Krefeld und arbeiten in den Bauten der ehemaligen Verseidag mit den Methoden der historischen Bauforschung. 2009 war ich zum ersten Mal mit Studenten der Hochschule aus Aachen vor Ort. Damals stand noch die Fertigung. Es schien fast so, als wären die Maschinen eben erst ausgeschaltet worden. Und bereits damals war klar, dass es unzählige unbeantwortete Fragen bei diesem wichtigen Mies-Projekt gibt. Das ist überraschend für das sonst fast lückenlos dokumentierte Œuvre des Ausnahmearchitekten. An dieser Stelle wuchs meine Faszination für die Gebäude hier.

DETAIL: Der Investor Reiner Leendertz hat das Gelände erworben und konnte bereits zahlreiche Mieter hierher holen. Wie schätzen Sie die heutige Nutzermischung ein? Wird sie dem Ort gerecht?

Hanenberg: Ich finde es einzigartig und bewundernswert, was Reiner Leendertz hier schafft. Man darf nicht vergessen, dass dies Gelände nicht nur die Mies-Bauten umfasst. Hier stehen viele weitere und außergewöhnliche Architekturen. Krefeld steckt in einer angespannten wirtschaftlichen Situation. Umso wichtiger ist es, dass Privatpersonen mit ihrem Engagement für diesen Regionalstandort kämpfen. Und da bieten der Name Mies van der Rohe und seine Bauten in Krefeld ohne Zweifel ein bedeutendes Alleinstellungsmerkmal: hier steht der einzige realisierte Industriebau aus seiner Feder. Ich kenne jetzt nicht jeden der Nutzer, doch es sind alle bereit, Kompromisse zugunsten des Erhalts des Standorts einzugehen. Fakt bleibt, dass der Denkmalsschutz dabei klare Vorgaben macht. Wichtig ist aber auch der Nutzen und Mehrwert für die Mieter, hier an diesem besonderen Ort sein zu können. Und dieser Mehrwert ist hier meines Erachtens gegeben.

Lohmann: Wenn man denkmalpflegerisch argumentiert, ist die ideale Nutzung für das Gelände die ursprüngliche: eine Seidenfabrik. Denn dafür ist es gebaut worden. Doch ist eine solche Nutzung heute unwirtschaftlich und nicht mehr tragbar. Nach meiner Meinung ist die Nutzungsmischung in mehrfacher Weise gelungen. Zum einen, weil es Mieter aus der Textilbranche gibt oder solche, die sich im textilen Umfeld bewegen – so wie Interface beispielsweise. Zum anderen, weil es zukunftsorientierte Nutzungen, kreative Köpfe mit Business-Modellen aus dem 21. Jahrhundert gibt. Anders ist so ein großes Areal heute nicht mehr zu erhalten.

Hanenberg: Darüber hinaus könnte es für Krefeld sehr wichtig sein, hier ein Wirtschafts- und Kulturzentrum zu schaffen, einen Ort, der Raum für kreative Prozesse bietet. Daher ist eine gute Nutzermischung wichtig. Außerdem gibt es durchaus eine Vorauswahl: welcher Nutzer passt in dieses Gelände; wer möchte aktiv teilnehmen und mitgestalten an der Idee des Mies van der Rohe Business Parks.

DETAIL: Interface hat sich bewusst für das ehemalige Pförtnergebäude auf dem denkmalgeschützten Gelände entschieden – weil man sich mit Krefeld und Mies verbunden fühlt. Wie können das Unternehmen und der Mies van der Rohe Business Park voneinander profitieren?

Lohmann: Die Lage des Gebäudes bedeutet eine hohe Verantwortung für den neuen Mieter. Bedenken Sie: Interface hat sich entschieden, in das Gebäude am Eingang des Parks zu ziehen. Das ist ein Statement. Es ist die »Adresse«, der Eingang, die Repräsentanz des Geländes. Und gibt ein Stück Identität voraus, noch bevor man die Gebäude erreicht, die nachweislich aus der Feder von Mies van der Rohe stammen. Dessen muss man sich bewusst sein und es im Umgang mit dem Gebäude und der Bausubstanz berücksichtigen.

Hanenberg: Man erhofft sich auf dem Gelände mit dem neuen Mieter Interface außerdem, dass im Business Park die Idee des Bauens und Gestaltens weiter aufgegriffen wird. Interface kommt aus der Baubranche und es wäre schön, wenn andere dem Bauen verbundene Firmen diesem Hersteller folgen würden. Wir dürfen nicht vergessen: es gibt noch eine Fülle an vermietbaren Flächen. Der Bezug zum Bauen bleibt also wichtig, um auf diesem Weg Empathie für das zu entwickeln, was hier an Historie steht.

DETAIL: Das ehemalige Pförtnerhaus nimmt somit eine Sonderrolle auf dem Gelände ein. Doch zahlreiche Umbauten hatten es über die Jahrzehnte durchaus entstellt. Wie sind die aktuellen Umbaumaßnahmen seitens Interface einzuschätzen?

Hanenberg: Vorweg muss man wissen, dass es beim Pförtnerhaus einen Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg gab. In verschiedenen Nachkriegsperioden folgten dann Auf- und Umbauten, bei denen zumindest teilweise die Bausubstanz berücksichtigt wurde. Ein Grund für die Einbindung des Bestands wird sicher das Erkennen dessen Wertigkeit sein. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass allem hier eine städtebauliche Idee zu Grunde liegt, die mit der Erstellung dieses Gebäudes in ihrer eigentlichen Gestalt aufgegeben wurde. Dadurch hat das Pförtnerhaus eine besondere Bedeutung für das heutige Erscheinungsbild der Gesamtanlage, von Haupthaus, Park und Produktionshallen.

Lohmann: Es bietet durch konstruktionsbedingte Besonderheiten die Möglichkeit, leichte, reversible Trennwände zu errichten. Wenn man sich das vor Augen führt und bedenkt, wie sich Gebäude und Nutzung über die Jahrzehnte hinweg entwickelten, ist der jetzige Umbau eine verträgliche Maßnahme. Nichts anderes ist immer wieder im HE-Gebäude auf dem Areal passiert. Der Freie Grundriss und der Universale Raum erlauben solche Änderungen und Einbauten – Planungsgrundsätze, die sich im gesamten Schaffen von Mies van der Rohe wiederfinden.

Hanenberg: Wir haben einen freigestellten Körper, der erst nach der Ursprungsplanung erstellt wird und das heutige Bild der gesamten Anlage entscheidend bestimmt. 1935 wurde die wesentliche Entscheidung getroffen, hier einen singulären Baukörper zu erstellen. Erst in der Folge sind weitere Solitäre entstanden. Das ist wichtig herauszustellen, denn an dieser Besonderheit wird auch die Sorgfalt und die Qualität des Umbaus gemessen werden. Doch immer ist das Entnehmen, der Umbau, ein schmerzhafter Prozess für den Denkmalschutz und das Gebäude selbst. Die umfassende Dokumentation des Gebäudebestands hilft darüber ein wenig hinweg. Ergänzend ist es aber wichtig, mit den zukünftigen Mietern zu sprechen, gemeinsam zu entscheiden: was ist zumutbar. Einerseits im Sinne des Erhalts und andererseits in Hinblick auf die angedachte Nutzung.

Lohmann: Die Bauforschung interessiert nicht nur der Ursprungszustand sondern ebenso alle Um- und Einbauten. Ein Gebäude wie das Pförtnerhaus hat eine lange und bewegte Geschichte. Ein Grundgedanke der Denkmalpflege ist es, dass Veränderungen, die aus dem Lauf der Geschichte wachsen, Teil des Denkmals sind. Sie müssen zumindest dokumentiert und verstanden werden – bevor man sich von ihnen trennt.

DETAIL: Für die neue Nutzung durch Interface sind im Untergeschoss umfassende Umbaumaßnahmen notwendig. Sehen Sie diese aus denkmalpflegerischer Sicht kritisch?

Hanenberg: Wie ich bereits angedeutet habe: wir sehen das Umbauen immer kritisch. Die Maxime sollte stets sein, so wenig wie möglich zu verändern und trotzdem eine angemessen Nutzung zu gewährleisten. Wir kennen die geplanten Umbaumaßnahmen nicht im Einzelnen. Doch wesentlich bleibt es, Mieter zu finden die bereit sind den Prozess des Dialogs und des Kompromisses in der Nutzung eines solchen Gebäudes mitzugehen. Und ihn mit allen Beteiligten und den Behörden offen zu führen.

Lohmann: Ein Gebäude ohne Nutzung, ein leerstehendes Gebäude, ist schwer zu erhalten und zu pflegen. Eine der obersten Maxime der Denkmalpflege ist die Nutzung. Und es sind sehr gute Nachrichten, dass dieses Gebäude wieder eine durchgängige und sinnvolle Nutzung erfährt.


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