26.01.2015 Bettina Sigmund

Klett statt Kleber: Innovatives Recycling-WDV-System

Foto: IAT, TU Graz

Woher kam der Impuls für die Entwicklung eines neuen Fassadensystems? Dr. Eike Messow, Leiter Nachhaltigkeit: »Wir betrachten die Megatrends, die uns begegnen werden. Zwei der aktuellen Megatrends, die relevant für die Ausgangsbasis zur Entwicklung der facade4zeroWaste waren, sind der Klimawandel und daraus resultierend der Klimaschutz, sowie die Ressourcenknappheit verbunden mit dem Ressourcenschutz. Andere aktuelle Megatrends, wie beispielsweise das Thema Gesundheit, fließen in weitere Studien und Produktentwicklungen ein. Für uns ist es wichtig, diese Megathemen auch mit unseren Produkten abbilden zu können.« Tobias Bosse, Produktmanager WDVS: »Innerhalb eines Unternehmens ist man immer sehr stark auf die eigene Produktwelt und die eigenen Systeme fokussiert. Deshalb arbeiten wir gerne mit Partnern zusammen, die einen anderen Blick auf die Dinge werfen und diese auch kritisch hinterfragen. Gemeinsam mit einem Team des Instituts für Architekturtechnologie der TU Graz um Prof. Roger Riewe und Ferdinand Oswald stellten wir uns im Jahr 2010 die Frage nach der Fassade der Zukunft. Dabei haben wir die Fassade aus verschiedenen Perspektiven betrachtet – als Wetterschale, Gestaltungselement und als funktionelle Fassade. Im Anschluss haben wir die Aspekte Nachhaltigkeit und Recycling integriert. Wir wollten völlig frei an die Themen herangehen und haben jede einzelne Komponente im Fassadensystem daraufhin überprüft, wie sich die beiden Aspekte implementieren lassen. Entstanden ist das facade4zeroWaste-System, ein WDV-System, dass ohne Kleber auskommt. Wie genau funktioniert das System facade4zeroWaste? Tobias Bosse: »Bei einem klassischen WDVS haben wir verschiedene Schichten, die Dämmplatte und die Putzschale, die mit Klebern verbunden am Wandbaustoff angebracht werden. Durch die dauerhafte Verbindung der einzelnen Systemkomponenten ist eine Rückführung der verwendeten Baustoffe derzeit sehr anspruchsvoll – sowohl technisch als auch wirtschaftlich. Hier setzt das neue System an. Bei facade4zeroWaste besteht keine feste Verbindung mehr zwischen der Wetterschale und dem Dämmstoff. Hierfür haben wir ein spezielles Befestigungselement mit Klettverbindungstechnik entwickelt, das sowohl zum Lastabtrag dient, als auch der Verbindung von Dämmstoff und Oberfläche. Alle Materialien sind frei wählbar. Als Dämmung kommen EPS- oder Mineralwolle-Platten genauso in Frage wie Hochleistungsdämmstoffe. Den Vorteil von Klettverbindungen macht man sich bereits in der Automobilbranche, aber auch in der Baubranche zur Montage von Photovoltaikanlagen zunutze. Der große Nutzen ist, dass eine Klettverbindung schnell und einfach wieder lösbar ist. Die Flexibilität im System ist sehr hoch. Wir können sowohl fugenlos oder auch fugenbetont arbeiten, mit ganz unterschiedlichen Materialien. Dadurch wäre auch ein einfaches und kostengünstiges Auswechseln der Fassadenoberfläche, beispielsweise bei einer Umnutzung der Immobilie, denkbar. Die alte Fassade wird einfach von ihren Klettverbindungen gelöst, die neuen Platten angefügt.« Kann das System auch bei Sanierungsprojekten angewendet werden? Tobias Bosse: »Bei der Sanierung von Gebäuden müssen häufig Unregelmäßigkeiten im Untergrund ausgeglichen werden. Über die Ausbildung des Dübels mit Justierbuchse ist es möglich, die üblich vorhandenen Toleranzen auszugleichen. Das Element kann durch einfaches Rein- und Rausdrehen dementsprechend justiert werden. Über dieses System ist auch die Aufdopplung bestehender Dämmsysteme möglich.« Wie werden die erwähnten Rückbau- und Recyclingprozesse funktionieren? Eike Messow: »Momentan gibt es noch keinen Recycling-Markt für gebrauchte Dämmstoffe („post-consumer“). Die anfallenden Mengen sind so gering und räumlich so weit gestreut, dass sich ein flächendeckendes Recyclingsystem noch nicht wirtschaftlich darstellen lässt. Dies gilt ebenso für die anderen Bestandteile von WDVS, so dass es für Entsorgungs- oder Verwertungsbetriebe schwierig ist in entsprechende Anlagen zu investieren und damit Geld zu verdienen. Trotzdem muss man vordenken und den Weg weiter beschreiten. Wir gehen davon aus, dass die Größenordnungen von Recyclingmaterial zunehmen werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Entwicklungen neuer Methoden und Anlagen zur Verwertung von Dämmstoffen zu sehen, wie beispielsweise das CreaSolv®-Verfahren, das sich auf die stoffliche Verwertung von WDVS mit Polystyrol konzentriert. Noch besser wäre es freilich, wenn man die Bestandteile eines Fassadendämmsystems direkt und einfach wiederverwenden könnte. Hier bietet facade4zeroWaste eine deutliche Optimierung: die Dämmplatten – die etwa 90 % des Volumens ausmachen – können einfach abgenommen und direkt wiederverwendet werden. Diese Wiederverwendung ist von der Abfallpyramide aus betrachtet der Königsweg. Auch für die Dübel gibt es bereits sehr schöne Kreisläufe, weil diese entweder direkt wieder verwendet werden können oder im geschredderten Zustand gut verwertbar sind.« Was ist der Status-quo der Studie? Welche Schritte fehlen noch bis zur Markteinführung? Tobias Bosse: »Im Moment geht es um eine wirtschaftliche Einordnung: Wären Investoren bereit, für dieses System mehr zu zahlen, wenn es während der Nutzungsdauer flexible Veränderungsmöglichkeiten bietet und nach der Nutzungsdauer einfach demontiert werden kann? Hier befinden wir uns an einem Punkt, wo wir Feedback aus dem Markt brauchen und intensive Gespräche mit Architekten, Investoren und weiteren Marktpartnern führen. Generell haben wir die Erfahrung gemacht, dass Kunden heute eher bereit sind, stärker in nachhaltige und ressourceneffiziente Systeme zu investieren – auch wenn sich diese Spanne natürlich nicht unendlich dehnen lässt.« 

Ist eine innovative Produktneuentwicklung wie die facade4zeroWaste dann nicht risikoreich für ein Unternehmen?

Till Stahlbusch, Leiter Öffentlichkeitsarbeit: »Forschung und Entwicklung haben bei Sto schon immer eine ganz besondere Rolle gespielt – es waren vor allem maßgebliche Innovationen, die das Unternehmen zu seiner heutigen Bedeutung geführt haben. So hat Sto zum Beispiel 1997 den Innovationspreis der Deutschen Wirtschaft erhalten für StoTherm Solar, ein Wärmedämm-Verbundsystem, das seiner Zeit weit voraus war und das sich deshalb im Markt nie recht durchsetzen konnte. Trotzdem haben die hohe Auszeichnung und die innovativen Ideen des Systems das positive, innovative Image von Sto weiter befördert. StoTherm Solar speist Solarenergie als Wärme in den massiven Wandbildner ein, von wo aus sie zeitversetzt in der Nacht wieder an den Innenraum abgegeben wird. Das System ist der Funktionsweise des Eisbärenfells nachgebaut. Eine nächste Stufe in der innovativen Entwicklung war StoTherm Cell, ein rein mineralisches Dämmsystem, das mit dem Gütesiegel NaturePlus zertifiziert wurde. Auch diese Innovation gestaltet sich bezüglich der Marktdurchdringung schwierig. Aber auch hier haben wir ein System für Vorreiter geschaffen, für Menschen, die hochökologisch denken und handeln wollen. Auch dieses System ist für das Unternehmen wichtig und richtig, weil man den ökologischen Gedanken tatsächlich bis zum Ende durchdekliniert hat. Um eine Innovation einzuführen, muss man viele Fäden ziehen. Der Erfolg bemisst sich nie nur an der Marktgängigkeit und Verkäuflichkeit.«

Wie würden Sie die Chancen für die facade4zeroWaste beurteilen? Sind der Markt und die Branche bereit?

Eike Messow: »Es ist uns wichtig, deutlich zu machen, dass wir mit der facade4zeroWaste keine Allzwecklösung entwickelt haben, die nun alle Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Recycling von Dämmsystemen löst. Diese Studie steht in einem größeren Zusammenhang von Forschungsprojekten, die weitere Teilaspekte einer Kreislaufwirtschaft von Fassadendämmsystemen abdeckt. Von der Auswahl der Rohstoffe und der Produktion der Bauprodukte über den Systemaufbau (z.B. WDVS, VHF) bis zu Optionen der Wiederverwendung und der stofflichen oder energetischen Verwertung ergeben sich viele Ansätze. Sto arbeitet hierfür gerne mit externen Forschungseinrichtungen und Universitäten zusammen, um den eigenen Unternehmenshorizont zu erweitern. Uns ist es wichtig, dauerhafte und hochwertige Produkte herzustellen. Dafür nehmen wir uns auch die notwendige Entwicklungszeit. Im Zusammenhang des energieeffizienten Bauens und Sanierens hoffen wir mit facade4zeroWaste einen Weg gefunden zu haben, der auch beim Rückbau und der Verwertung optimale Lösungen bietet und damit unserem Anspruch von Nachhaltigkeit noch besser gerecht wird.«
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