Pragmatismus bis ins Detail
Künstleratelier im Sitterwerk von Flury + Furrer
Stücke aus Rotterdam, Zürich und St.Gallen stecken im neuen Atelier Jim Dine. © Katalin Deér
Wie gelingt eine stimmige Architektur mit wiederverwendeten Bauteilen? Einen vorbildlichen Umgang für zirkuläres Bauen präsentieren die Architekten Christoph Flury und Lukas Furrer mit dem Künstleratelier im schweizerischen Sittertal. Es wurde 2023 für den Künstler Jim Dine im Auftrag der Kunstgiesserei St. Gallen errichtet. Durch die für den Ort entworfenen neuen Elemente und dem präzisen Umgang mit den wiederverwendeten Materialien, stecken hinter diesem Bauwerk von Anfang an zwei Geschichten. Doch entscheidend ist, wie aus Alt und Neu oder Präzision und Pragmatismus eine verständliche Architektur geschaffen wurde, sodass letztendlich beide Geschichten erkennbar und verständlich bleiben.


Ein neues Zusammenspiel aus Alt und Neu, welches sich sogar noch im sanierten Schwimmbecken erkennen lässt © Katalin Deér
Gefundene Schätze
Im Atelier von Jim Dine wird die gesamte Atmosphäre ganz klar von wiederverwendeten Bauteilen bestimmt. Die Hauptstruktur ist ein Stahlskelettbau aus Rotterdam mit den Maßen 8 x 20 m, welche die Form des Ateliers definiert. Die Perimeterdämmung konnte von einem abgebrochenen Flachdach aus einem ehemaligen Nachbargebäude des Sitterwerkes wiederverwendet werden. Das große Anlieferungstor, das die Ostfassade kennzeichnet, wurde aus einem abgebrochenen Gebäude der OLMA – Schweizer Messe für Landwirtschaft und Ernährung umfunktioniert. Aus Zürich kommen vier elegante Kippfenster, Küche und Bad sowie Stahltreppe und Brettschichtholzträger. Die Küche wurde im Zuge der Sanierung an der Hegibachstrasse, geplant von dem Zürcher Architekt Ernst Gisel, vor der Entsorgung gerettet. Die Stahltreppe, die auf die durchgehende Empore führt, sowie die Brettschichtträger aus dem Pavillon Huber, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) am Hönggerberg stand, entnommen. Die ikonischen Kippfenster kommen ursprünglich aus einem Bürogebäude. Auch sie haben nun im Atelier einen neuen Platz bekommen.
Alt und Neu vereint
Um den Ort nicht zu überformen und allen Elementen einen Kontext zu geben, entschieden sich Flury + Furrer Architekten aus Zürich dazu, eng an der Typologie der Industriehalle zu bleiben. Das Scheddach verbindet Ausdruck des Gebäudes mit der funktionalen Nutzung und gliedert sich ausgezeichnet in den Kontext ein. Zusätzlich schafft es die gewünschte Belichtung im Atelierraum. Die Fassade erhält die prägnante Rhythmisierung durch die Re-Use-Elemente des Stahlbaus und der Brettschichtholzträger. Die leichten Aluminiumbänder binden alle Elemente zusammen und stellen zusätzlich eine weitere Verbindung zum Ort her. Die Nordfassade des Ateliers wendet sich dem sanierten Badehaus zu. Diese Entscheidung führt dazu, dass die neue Badestelle gut in der Umgebung gefasst wird. Das ehemalige zugeschüttete Schwimmbecken erweitert das Ensemble zu einem neuen Ort für die Arbeitenden und Bewohnenden des Sittertals. Der Ort für Freizeit an der Sitter wird revitalisiert.


Ein neuer Ort eigefasst von Badehaus und Atelier, © Katalin Deér
Präzision und Ruhe für die Geschichte der Bauteile
Die Südfassade ist durch die vier Kippfenster sehr markant gestaltet. Zwei doppelflügige Holztüren durchbrechen die ruhige Lochfassade. Diese entwerferische Entscheidung hat zur Folge, dass die Proportionen der Südfassade deutlicher mit denen der Ostfassade übereinstimmen. Das Projekt zeigt, dass Re-Use ein starkes Werkzeug sein kann, um eine Geschichte zu erzählen. Das Atelier von Jim Dine verdeutlicht, welchen Anspruch dadurch an die Architektur gestellt wird: Einerseits wird ein architektonischer Ausdruck erzeugt, der den Ort reaktiviert, sich aber gleichzeitig dem Ort unterordnet. Andererseits wird zusätzlich genug Ruhe geschaffen, um den patinierten Bauteilen Raum für ihre Geschichte zu geben. Solche Projekte basieren auf enger Zusammenarbeit zwischen Architekturbüro und Handwerk – was im Sitterwerk bestens gelungen ist.


Die Fassaden zur Straße und die Anlieferung zeigen eine zurückhaltende und vertikale Gestaltung. © Katalin Deér


Durch die zurückhaltende Gestaltung steht das Arbeiten an der Kunst im Vordergrund. © Katalin Deér
Sitterwerk und Synergien
Die Kunstgiesserei ist unter Kunstschaffenden weltweit bekannt und geschätzt. Jim Dine war nach der Zusammenarbeit mit den Gießerinnen und Gießern so sehr von der gesamten Atmosphäre im Sitterwerk begeistert, dass er langfristig ein Teil davonbleiben wollte. Durch diesen Wunsch ist das Projekt entstanden. Die eigenen Bauprojekte setzt die Kunstgießerei im engen Kontakt mit den Architekten Flury und Furrer selbst um. Eine Form der Arbeit in der eine Synergie zwischen Entwerfen und Ausführen entsteht, die einerseits den Wissensfundus erweitert, andererseits einen neuen Pragmatismus bis ins Detail schult. Die Kombination aus entwerferischer Präzision und baulichem Pragmatismus, spiegelt sich nicht nur im neuen Schwimmbecken des Sitterwerks wider, es betont auch das Spannungsfeld, Gegensätze zu vereinen.
Architektur: Flury + Furrer Architekten
Bauherr: Kunstgiesserei St.Gallen Ag
Standort: St.Gallen (CH)
Tragwerksplanung: Stefan Bänziger, Schnetzer Puskas








