01.06.2015 Bettina Sigmund

Moderner Sozialbau, was ist das eigentlich?

Welchen energetischen, sozialen und demografischen Parametern muss ein moderner Sozialbau entsprechen? Die Teilnehmer der Expertenrunde waren sich darin einig, dass der Begriff Sozialbau nicht nur für einen sozial geförderten Wohnungsbau stehen dürfe, sondern auch die sozialen Belange der Bewohner berücksichtigen müsse. Neben den Haushalten, die im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung der jeweiligen Länder berechtig sind, gibt es aktuell auch Bestrebungen, zusätzlich zum sozialen auch einen preisgedämpften Wohnungsbau zu initiieren. Dieser richtet sich an eine erweiterte Einkommensgruppe, denen es ermöglicht werde soll, in attraktiven Lagen bezahlbaren Wohnraum zu erhalten. Im Folgenden richtete sich die Diskussion deshalb auch nicht nur explizit auf den geförderten Wohnungsbau und dessen Bewohner, sondern im Allgemeinen um die Schaffung von kostengünstigem und hochwertigen Wohnraum. Dabei wurde auch das Thema der sozialen Durchmischung diskutiert. Hier werden von verschiedenen Initiatoren und Protagonisten unterschiedliche Strategien verfolgt. In Kooperation mit Kommunen, Wohnungsbaugesellschaften und Investoren wird über verschiedene Finanzierungsmodelle eine soziale Mischung in den Quartieren forciert. Hierbei wurden bereits erste gute Erfahrungen gemacht. In dem Vortrag „Lokale Bündnisse für bezahlbares Wohnen und Bauen“ erläuterte Iris Ammann am Nachmittag den aktuellen Status-quo einer entsprechenden Studie des Bündnisses und schilderte die Erfolge und Bestrebungen von lokalen Handlungsansätzen. Caroline Fafflok, die sich im Rahmen eines Forschungsprojekts der TU Darmstadt mit den sozialen Faktoren von nachhaltigen Wohnbauprojekten auseinandersetzte, sah das Thema der sozialen Durchmischung nicht nur rein positiv. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Best Practice“ wurden Wohnungsbauprojekte in ganz Deutschland hinsichtlich ihrer sozialen Parameter überprüft. Dabei zeigte sich unter anderem auch, dass eine Mischung im Quartier wünschenswert ist, im einzelnen Objekt jedoch homogene Projekte reibungsloser verlaufen. „Durchmischung funktioniert eigentlich nur, wenn ein gewisser Rückzug vorhanden ist. Auf diese Konfliktpotenziale muss bereits bei der Planung durch eine räumliche Trennung – und besonders auch Schallentkopplung – geachtet werden“, erklärte sie. Bei der Evaluation zur Bestimmung der sozialen Nachhaltigkeit der analysierten Projekte wurden deshalb neben dem Planungsprozess, der Bauqualität oder den Kosten auch Aspekte wie Belegung, Gemeinschaft und Nutzungskonflikte untersucht. Zusammenfassend waren sich die Experten einig, dass funktionierende Wohnungsbauprojekte mit Gemeinschaftsangeboten und -flächen immer auch eine soziale Betreuung, Anlaufstelle oder Quartiersmanagement benötigen, die für die Nutzung der baulichen Strukturen ein Angebot schaffen. Die räumlichen Strukturen alleine haben – ohne ein angeleitetes Sozialprogramm – meist nicht den ursprünglich erwarteten positiven Effekt, auch wenn die Rahmenbedingungen gegeben wären.
„Wir müssen stärker in Betracht ziehen, dass es nicht nur die planerische Seite gibt, sondern dass wir auch gesellschaftlich in größeren Strukturen denken müssen. Das kann natürlich nicht allein die Aufgabe der Architekten sein, sondern wir sollten versuchen gemeinsam mit Soziologen, Psychologen und Sozialarbeitern aus den Stadtvierteln zu planen und die Objekte langfristig zu betreuen. Das wäre oft zielorientierter,“ ergänzt Daniela Keck vom Institut Wohnen und Entwerfen der Universität Stuttgart. Diese soziale Begleitung spielt besonders auch vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft eine wichtige Rolle. Das von Daniela Keck vorgestellte Forschungsprojekt „ready – vorbereitet für altengerechtes Wohnen“ beinhaltet einen Leitfaden, wie sich Wohnungen schrittweise den Bedürfnissen ihrer Bewohner anpassen lassen. Ziel ist es, nicht unterschiedliche Wohnungen für die verschiedenen Bewohnergruppen zu planen, sondern eine Basis zu schaffen, die es ermöglicht, ein Leben lang in einer Wohnung bleiben zu können. Oder auch, dass eine Wohnung flexibel für unterschiedlichste Nutzergruppen geeignet ist. „Menschen durchleben meist in einer Wohnung mehrere Lebensabschnitte. Wir sollten also einen Wohnungsbau gestalten, der für alle Generationen bewohnbar ist. Die Lebensabschnitte sollten fließend ineinander übergeben – vom Singleleben über das Familienleben mit Kindern bis ins hohe Alter. Dann gäbe es auch nicht den Bruch, dass Menschen gezwungen werden ihr bekanntes Umfeld zu verlassen, weil die Wohnung nicht mehr bewohnt werden kann, sobald ein Rollator benötigt wird“, stellt Daniela Keck die Problematik vor. Ein positiver Effekt wäre auch, dass diese im Sinne eines Universal Designs für alle Altersklassen und Lebensabschnitte geeigneten Wohnungen nicht mit dem Stigma der Barrierefreiheit konfrontiert wären. Prof. Georg Sahner vom Lehrstuhl für Energieeffizientes Planen und Bauen der Hochschule Augsburg nannte in diesem Zusammengang eine andere Vorgehensweise, die bereits erfolgreich von der Wohnungswirtschaft praktiziert wird. Anstelle einer lebenslang nutzbaren Wohnung wird der Umzug innerhalb eines Quartiers bevorzugt. Je nach Lebenslage wird die passende Wohnung bezogen, wodurch Fehlbelegungen vermieden werden. Roland Streng, der als Industrievertreter von BASF an der Expertenrunde teilnahm, nannte als Beispiel für mitwachsende Wohnungen die unter Denkmalschutz stehenden Hohenzollernhöfe von BASF in Ludwigshafen. Die Objekte wurden bei der Sanierung mit schaltbaren Grundrissen versehen. So ließen sich verschiedene Wohnungsgrößen für unterschiedliche Lebenssituationen schaffen. Durch extern angebaute Aufzüge wurde eine barrierefreie Erschließung geschaffen. Beim Symposium stellte Roland Streng ein weiteres Wohnungsbauprojekt von BASF vor: Das Forschungs- und Bauprojekt BuildTog (Building Together) setzt sich mit den europäischen Anforderungen an den passivhausähnlichen Wohnungsneubau auseinander. Das Ziel dieses Projekts ist es, Lösungen für eine neue Generation von Wohngebäuden in verschiedenen europäischen Ländern zu schaffen, die eine sehr gute Energiebilanz und qualitativ hochwertige Architektur bei gleichzeitiger Kosteneffizienz bieten.
Ebenfalls auf den Aspekt des energieeffizienten und kostengünstigen Wohnungsbaus ging Prof. Georg Sahner in seinem Vortrag ein. Im Rahmen von Forschungsprojekten wurden an Standorten in ganz Bayern verschiedene Neubau- und Sanierungsobjekte als Modellvorhaben betreut. Dabei vertritt Sahner die Position, dass ein kosten- und energieeffizienter Wohnungsbau zunächst durch eine kompakte Gebäudeform ohne Keller, durch einen optimierten Grundriss mit kompakter Erschließung, durch Standardisierung und Vereinheitlichung und durch den minimal notwendigen Technikeinsatz erzielt werden sollte. Als Beispiel nennt er das Modellprojekt Mehrgenerationenwohnen Westlich Albertinum in Neu-Ulm von Dietrich Schwarz. Auch den Planungsprozess und das Planungsteam sieht er als Stellschrauben, um Kosten zu minimieren. Anstelle vieler einzelner Fachplaner und ausführender Firmen schlägt Sahner gekoppelte Bauteams vor.
Grundsätzlich sind sich alle Experten einig, dass sozialer Wohnungsbau zwar kostengünstig und effizient sein soll, jedoch nicht auf Kosten der Bauqualität und Baukultur. Je stärker sich die Bewohner und Anwohner mit der Architektur und dem Umfeld identifizieren, desto erfolgreicher funktioniert das Zusammenleben. Soziale Umfeldgestaltung und Quartiersmanagement spielen dabei eine entscheidende Rolle. Die Frage nach der Qualität im sozialen Wohnungsbau wurde mit vielen Qualitäten beantwortet – vom Standort und der Infrastruktur, zum Quartier und der Nachbarschaft über Außenräume und Gemeinschaftsflächen bis zur Wohnung und den Materialien. Die Experten sehen hier besonders die Architekten in der Verantwortung die baukulturelle Qualität der Objekte trotz einem oft engen Budgetrahmen zu wahren. „Auch wenn die Planung und Vergabe im sozialen Wohnungsbau durch Normen und Richtlinien geprägt ist, ist es wichtig, dass Planer trotzdem mit Begeisterung und Kreativität an die Aufgabe herangehen. Zu viele Dinge geschehen einfach aus Gewohnheit. Vielleicht sollten alle Beteiligten einfach mal die Dinge neu denken, um auch auf neue Lösungen zu kommen“ resümiert Guido Hagel von der Forschungsinitiative Zukunft Bau. Denn gerade bei sozialen Wohnungsbauprojekten spielen Baukultur und Bauqualität eine besonders große Rolle für den Erfolg des Projekts. Weitere Informationen über die Referenten und deren Themen Über die Reihe „Die Zukunft des Bauens“
Die Veranstaltungsreihe „Die Zukunft des Bauens“ der Forschungsinitiative Zukunft Bau von BBSR und BMUB in Kooperation mit DETAIL research geht bereits in die dritte Runde. Auch in 2015 werden wieder fünf Veranstaltungen mit Expertenrunde und Symposium in fünf deutschen Städten stattfinden. Die Reihe widmet sich immer den drängendsten Fragen für das Bauen der Zukunft, präsentiert aktuelle Forschungsergebnisse und bringt Akteure und Vorreiter aus Planung, Forschung, Politik und Wirtschaft zusammen. Dabei sollen nicht nur die neuesten Ergebnisse aus den geförderten Projekten der Forschungsinitiative direkt an Architekten und Bauingenieure vermittelt werden, sondern auch immer neue Impulse für die Forschung generiert werden. Themen und Orte: • Hamburg, 21. Mai 2015: Moderner Sozialbau
Frankfurt, 18. Juni 2015: Partizipative Architektur
• München, 24. September 2015: Lebenswelten im Demographischen Wandel
• Berlin, 22. Oktober 2015: Bauen im Bestand
• Stuttgart, 19. November 2015: Recycling im Bau
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