Sechs Tage, tausend Lösungen

Eines vorweg: Der Begriff »Fassade« hat ausgedient! Zumindest dann, solange damit zweidimensionale Scheiben unter einem Dach bezeichnet werden. Intelligente Fassaden von heute, das sind multifunktionale innovative Hüllsysteme mit hochkomplexen Anforderungen. Neben dem Schutz vor Witterungseinflüssen müssen die Hüllen energetisch optimiert sein und das Gebäudeklima mithilfe von thermoaktiven Elementen ausgleichen. Oft werden sie deshalb um automatisierte Steuerungssysteme ergänzt. Weiter sollen die Hüllen eine lange Lebensdauer haben und – wenn doch einmal der Abriss droht – recyclefähig sein. Zum Gesicht der künftigen Gebäudehülle werden sicherlich Medienfassaden und neuartige Materialien gehören, die zwischen Nutzern und städtischem Raum vermitteln. Selbst von Fassaden-Leasingmodellen ist inzwischen die Rede. Mit einem der Leitthemen »Intelligente Fassade« will die BAU 2017 Architekten und allen am Bau Beteiligten zeigen, was »state of the art« ist und wohin die Reise gehen kann. Hierzu zeigen nicht nur zahlreiche Hersteller ihre jüngsten Entwicklungen in diesem Umfeld. Auch weit über den Tellerrand hinaus reichern die bewährten Sonderschauen und Vortragsreihen diese im Zwei-Jahres-Turnus international gefragte Messe an.

Digitalisierung, Vernetzung, Automation und Energieeffizienz
Schon heute erlaubt es die Digitalisierung, individuelle Gebäudeformen in Windeseile zu errechnen, darzustellen und zu realisieren. Selbst Fassadendetails und Schnittstellen können heute dank High-tec-Material und 3D-Druckern nicht nur im Computer gezeichnet, sondern direkt gedruckt werden. Diese Art ermöglicht Vorfertigungsgrade im höchsten Maß. Beim großen Thema »Energieversorgung« werden immer mehr erneuerbare Energieformen eingesetzt. Das betrifft die Geothermie sowie die passive und aktive Nutzung der Solarenergie und die Wärmespeicher, die natürlich weiterentwickelt worden sind. Energiekonzepte sehen bereits Fassadenelemente mit Latent-Wärmespeicher-Modulen und neuartigen Verfahren zur Klimatisierung des Gebäudes vor wie z.B. »PCM-Klima-Flügel« die im Übergang des Aggreatszustands (z.B. von fest auf flüssig) große Mengen Energie einspeichern können. Im Bereich der aktiven Stromerzeugung wurden gebäudeintegrierte bewegliche PV-Anlagen, sog. »PV-Tracker« entwickelt, die im automatisierten Verfahren dem Sonnenstand folgen können. Sollten sich Technologien wie die Tracker durchsetzen, wird das Know-how von Maschinenbauern oder Robotik-Ingenieuren gefragt sein.
Auch die Technologie der »Closed-cavity-Fassaden« – also die Zweite-Haut-Fassade, entwickelt sich um automatisch anzutreibende Sonnenschutzelemente weiter in Richtung Smart Home. Ein ganz spannendes Forschungsgebiet zum energieeffizienten Bauen ist die Materialforschung, im speziellen die Biomimetik. Diese Wissenschaft leitet viele Prozesse aus der Biologie ab und widmet sich der Frage, wie sich beispielsweise die Ideen der Biomimetik für thermische adaptive Fassaden ableiten lassen – konstruktiv und bauphysikalisch. Auf deutsch: Wie können Fassaden konstruiert werden, und wie sieht das Baumaterial dazu aus, um dieselben positiven Eigenschaften eines Tiers oder einer Pflanze zu nutzen?

Rahmenprogramm zur »Intelligenten Fassade« auf der BAU 2017
Über die Jahrhunderte hinweg waren Fassade, Tragwerk, Materialien und deren primäre Schutzeigenschaften nicht voneinander zu trennen. Die Fassade war ein Abbild der dahinterliegenden Gebäudestruktur. Sie nahm die Nutzung vorweg, sprach Bände über die Eigentümer des Hauses, ihren gesellschaftlichen Stand, über deren Reichtum und nicht zuletzt: ihr ästhetisches Empfinden. Dieses monochrome Bild auf die Fassade hat sich entscheidend gewandelt. Dabei wird es zunehmend wichtiger, branchenübergreifend zu denken und interdisziplinär zu agieren. Es gilt, Antworten auf komplexe Fragestellungen zu finden. Wie kann das Prinzip der Nachhaltigkeit beim Bau sowie im Gebäudebetrieb noch stärker verankert werden, um Ressourcen und Klima zu schonen? Wie lässt sich die zunehmende Digitalisierung in den Baualltag integrieren? Wie müssen Räume gestaltet werden, um Sicherheit ebenso zu gewährleisten wie flexibles und gesundes Wohnen? Zu letztgenannten Themenblock gibt es eine Sonderschau des Fraunhofer StadtLabors in Halle C2 Stand C2.538. Weiter widmen sich zahlreiche Architekten-Foren der »Intelligenten Fassade«, allen voran natürlich das Forum A4 DETAIL research – Building the future. Diese Programmreihe präsentiert praxisbezogene interdisziplinäre Forschungsprojekte für das Bauen der Zukunft. Nicht nur in Frontal-Vorträgen, sondern auch miteinander im Rahmen einer öffentlichen Gesprächsrunde im Anschluss werden u.a. die folgenden Vortragsinhalte allein zur intelligenten Gebäudehülle angesprochen und diskutiert: »Paradigmenwechsel: Neue Architektur in 2050«, »Zwischen Technologie und Technophobie«, »Integral planen: Freie Geometrien, hybride Aufbauten«, »Elementierte Holzbauten«, »Vielfalt des Modulbaus« oder »Parametrische Systematik«. Die Namen der Büros, die die Referenten stellen, sprechen für Qualität: Graft, Lava, Hausladen, Kaufmann, ATP u.v.m. In weiteren Foren bietet die Bau zu ihrem Leitthema »Intelligente Fassaden« Gesprächsstoff an: u.a im Forum C2 »Zukunft des Bauens«, A4 »Architekt und Industrie im Dialog« sowie im Forum B0 »Von der Vision in die Praxis«. Ob sechs Tage genügen, die Komplexität und Vielfalt der Lösungen zu erfassen, bleibt fraglich. Aber: Vernetzen können sich ja nicht nur Fassaden...