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Vom Sanatorium zum Zeilenbau
Foto: bpk / Felicitas Timpe
Licht, Luft, Hygiene – die Architektur der klassischen Moderne waren von einem engen Verhältnis zur Sonne gekennzeichnet. Teil 4 unserer Jubiläumsserie befasst sich mit Bauten von Aalto, Duiker und Le Corbusier – und mit der Frage, wie Zeilenbauten „richtig“ zur Sonne stehen sollten.
Der europäischen Architektur des beginnenden 20. Jahrhunderts war solares Bauen zunächst eher ein hygienisches denn ein energetisches Anliegen. Gestützt wurde der Drang nach „Licht, Luft und Sonne“ – der später regelrecht zum Schlachtruf der Architekturmoderne avancierte – durch neue medizinische Erkenntnisse: Ende des 19. Jahrhunderts war entdeckt worden, dass Sonnenlicht Bakterien töten und die Heilung von Rachitis unterstützen kann. 1903 erhielt der dänische Arzt Niels Finsen den Medizin-Nobelpreis für die Behandlung der Hautkrankheit Lupus vulgaris mit Sonnenlicht. Daneben therapierte Finsen auch Tuberkulosepatienten mit Sonnenbädern.
Nicht von ungefähr entwickelten sich Krankenhäuser und Sanatorien in den Folgejahren zu den eindrucksvollsten Beispielen solaren Bauens in der Moderne. Der Patientenflügel des Tuberkulosesanatoriums in Paimio von Alvar Aalto ist mit seiner geringen Gebäudetiefe, der Ausrichtung aller Krankenzimmer nach Südosten, Balkonen, einer großen Dachterrasse und den Verschattungseinrichtungen, die es dem Pflegepersonal erlaubten, den Sonnenlichteinfall für jeden Patienten individuell zu regeln, geradezu ein Paradebeispiel für die Nutzung von Licht und frischer Luft zu Therapiezwecken.
Beim Sanatorium „Zonnestraal“ in Hilversum (1926-28) von Jan Duiker, Bernard Bijvoet und Jan Gerko Wiebenga ist die Sonne sogar Namensbestandteil. Die Krankenbetten waren in diesem Fall ein zwei eingeschossigen, langgestreckten und nach Süden ausgerichteten Pavillons untergebracht. Ihre Südseite war – unterhalb eines Dachüberstands, der die hoch stehende Sommersonne aus den Räumen fernhielt – nahezu komplett verglast. Davor erstreckten sich Freiterrassen, auf denen die Patienten ihre Krankheit – notfalls auch im Bett liegend – bei Sonnenlicht und frischer Luft auskurieren konnten.
Das Beispiel Zonnestraal verdeutlicht jedoch auch, dass das solare Bauen der klassischen Moderne jedoch nicht immer auch im heutigen Sinne nachhaltig war: Der Gebäudekomplex ist völlig auf seine Funktion als Sanatorium spezialisiert und die gewählten Konstruktionen und Materialien – selbst für die damalige Zeit - teils regelrecht minderwertig.
Duiker selbst rechnete damit, dass die Tuberkulose spätestens 40 Jahre später besiegt und sein Gebäude damit obsolet geworden sein würde und abgerissen werden könnte. Daher ist es fast eine Ironie der Geschichte, dass der Gebäudekomplex nach einer langen Zeit des Verfalls „wiederentdeckt“, zwischen 1999 und 2008 von Wessel de Jonge und Hubert-Jan Henket aufwändig saniert und zum modernen Gesundheitszentrum umgewidmet wurde.
Wohnen mit der Sonne
Der Kampf gegen Volkskrankheiten wie Typhus und Tuberkulose war Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Hauptanliegen auch im Städtebau geworden. Doch die Mittel der Wahl waren zunächst andere als die des „solaren“ Städtebaus: Man versuchte, das Problem durch verbesserte Abwassersysteme, eine allgemeine Reduzierung der baulichen Dichte und eine allmähliche Trennung der Wohnquartiere von den Industriegebieten zu erreichen.
Der Kampf gegen Volkskrankheiten wie Typhus und Tuberkulose war Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Hauptanliegen auch im Städtebau geworden. Doch die Mittel der Wahl waren zunächst andere als die des „solaren“ Städtebaus: Man versuchte, das Problem durch verbesserte Abwassersysteme, eine allgemeine Reduzierung der baulichen Dichte und eine allmähliche Trennung der Wohnquartiere von den Industriegebieten zu erreichen.
Sonnenlicht war in diesem Zusammenhang lediglich eine Hygienemetapher. Bekannt geworden ist zum Beispiel die englische „Sunlight“-Seife, deren Hersteller William Hesketh Lever ab 1888 die Arbeitersiedlung Port Sunlight bei Liverpool als locker bebauten, gut durchgrünten Gegenentwurf zu den unhygienischen Arbeitersiedlungen der britischen Großstädte errichten ließ.
Port Sunlight hatte wesentlichen Einfluss auf Ebenezer Howard, als dieser 1902 sein Buch „Garden Cities of To-Morrow“ schrieb, doch im modernen Sinne „solar optimiert“ war keine der Gartenstädte der Frühzeit. Das Ziel war die Auflösung der Stadt, nicht deren Neuerfindung nach hygienischen Prinzipien. Die Straßenführung folgte ausschließlich künstlerischen Überlegungen oder der Topografie, jedoch nicht dem Lauf der Sonne. Mehr noch: Mit der auf den späteren „Heimatstil“ vorausweisenden Gestaltung der Gebäude und ihrer an dörflichen Vorbildern orientierten Gesamtkomposition sind die Gartenstädte klare Gegenentwürfe zum späteren Zeilenbau der 20er-Jahre.
Eine Umorientierung im Wohn- und Siedlungsbau setzte erst nach Ende des Ersten Weltkriegs ein. Fordismus und Automobilgerechtigkeit waren fortan ebenso sehr ideelle Grundlage der Architektur wie die Ideale von Hygiene und Gesundheit. Geradezu sinnbildlich – und zugleich streng räumlich getrennt - sind diese heterogenen Zielsetzungen in Le Corbusiers Villa Savoye verwirklicht: Ihr Erdgeschoss ist vom Automobil geformt, das Obergeschoss von den Abläufen des täglichen Lebens und das Dachgeschoss vom Wunsch nach ungestörtem Sonnenbad.
Wie Le Corbusier loteten viele Architekten der 20er-Jahre die solaren Potenziale von Wohngebäuden aus. Konflikte und Irrtümer blieben dabei nicht aus: Seit etwa Mitte des Jahrzehnts waren Wohnzeilen in Nord-Südausrichtung mit Wohnungen, die entsprechend nach Westen und Osten orientiert waren, die Regel. Das Ziel war die „tageszeitengerechte“ Versorgung der Wohnung mit Sonnenlicht: Morgens sollte das Licht in die nach Osten gerichteten Schlafräume, abends in die nach Westen orientierten Wohnräume einfallen. Die Nord-Süd-Zeilen hatten ferner den Vorteil, dass die Häuserzeilen näher aneinanderstehen konnten als West-Ost-Zeilen, ohne sich gegenseitig zu verschatten. Eine bessere Grundstücksausnutzung war die Folge.
Jahreszeitengerecht waren diese Planungen dagegen keineswegs: Durch die West-Ost-Orientierung gelangte vor allem im Sommer ein Maximum an Sonnenlicht (und damit Hitze) in die Wohnungen, während die im Winter dominierende Südsonne weitgehend aus den Räumen ferngehalten wurde. Es dauerte eine Weile, bis neben Gesundheitsaspekten auch Überlegungen zu Energiebedarf und thermischem Komfort in die Siedlungsplanung Einzug hielten. Einer der Vordenker hierbei war der Architekt Alexander Klein. In seinem Buch „Der Südtyp“ formulierte er zahlreiche Prinzipien des solaren Wohnungsbaus, die in den kommenden 70 Jahren Gültigkeit behalten sollten: kompakte Bauweise, Südausrichtung der Wohnungen, geringe Grundrisstiefen, Zonierung von Grundrissen in unterschiedlich temperierte Bereiche und Maximierung der Fensterflächen im Süden.
Doch selbst unter den Vordenkern der Moderne war eine derart rigide Orientierung des Städtebaus an der optimalen Sonneneinstrahlung umstritten. Der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner, der Anfang der 30er-Jahre die wegweisende Ausstellung „Das wachsende Haus“ initiierte und im Begleitbuch zur Ausstellung regelrechte Hymnen auf die Sonne und die Vorzüge des Tageslichts anstimmte, bemerkte zu Kleins Ideen kritisch: „Es gibt nun jedoch eine Reihe sogenannter "moderner" Architekten, die das "biologische" Bauen erfunden haben und nun mit "wissenschaftlichem" Ernst die These vertreten, daß die Besonnung des Hauses auch seine Gestaltung im Grundriß wie im Aufriß bestimme.“
Der Kunstwissenschaftler und Architekturkritiker par excellence der Moderne, Adolf Behne, bemängelte, der Zeilenbau wolle die Wohnung zum Allheilmittel für die Probleme des Lebens erheben. Der Mensch solle an der Architektur gesunden. Bruno Taut schrieb seinerseits: „In der Tat stellt sich bei allen Anstrengungen in der Suche nach einem Idealtyp heraus, daß gerade dadurch immer mehr Variationen entstehen und daß das erstrebte Ziel immer ferner rückt, je stärker man seine Anstrengungen darauf richtet.“