31.05.2018 Bettina Sigmund

Die aktivierte Gebäudehülle – Apps für die Fassade

Projekt C³LED: Demonstrator verdeckt einbetonierte LED-7-Segment-Anzeige (Foto: A. Heller, ai:L der HTWK Leipzig)

Inspiriert von den vielseitigen Möglichkeiten, die ein Smartphone bietet, suchen die Wissenschaftler seit etwa 10 Jahren nach technischen Mitteln, um für die Fassade einen funktionellen, technischen und gestalterischen Mehrwert zu erzielen. »Für uns war spannend, dass ein kleines Gerät wie das Smartphone wesentliche Teile anderer technischer Geräte in sich vereinen kann. All diese Funktionen – Telefon, Fernseher, Briefversand, Musik-Player, Landkarten etc. – haben dort Platz gefunden. Dies führte zu der für uns relevanten Frage: Könnte es eine ähnliche Entwicklung in der Fassade geben? Auf dieser Suche befinden wir uns nun.« Sie sind Architekten, sie entwickeln nicht die zugrundliegende Technologie, sondern sie erforschen die gestalterischen und konstruktiven Methoden, um die jeweilige Technik sinnvoll und vor allem ästhetisch in die Fassade zu integrieren. Dabei liegt allen Forschungsansätzen am Architektur-Institut Leipzig eine einfache Maxime zugrunde: »Der Status quo des Bauens ist noch immer relativ materialintensiv – mit sehr dicken Wänden und jeder Menge Raum für Gebäudetechnik. Unser Ziel ist es, alles dünner, leichter und integrativer zu machen, und möglichst viele Zusatzfunktionen bereits in die Gebäudehülle einzubringen. Mit der Reduktion des Materialeinsatzes geht meist auch die Reduktion von Umwelteinwirkungen einher. Dünner Dämmen
Der Weg begann mit der Fahndung nach neuen Materialen: »Was uns zum Staunen bringt – damals war es die Entwicklung der Vakuumdämmung – nehmen wir uns als Grundlage und versuchen daraus etwas Neues zu machen.« Im Rahmen des Projekts VAKU.tex wurden von 2010 bis 2012 vakuumgedämmte Fassaden-Sandwichelemente zunächst aus Holz und später aus Textilbeton entwickelt. Dafür wurde ein Schichten-System für Sandwichelemente erforscht, dessen Gesamtaufbau durch die Vakuumdämmung, die etwa 7 bis 8 mal besser dämmt als herkömmliche Mineralwolle, auf lediglich 11 cm Dicke reduziert werden konnte. »Das war unsere Richtschnur. Wir wollen eine Hülle im Passivhaus-Standard schaffen, die die gleiche Dicke hat, wie ein Passivhaus-Fensterelement und sich wie eine Haut um das Gebäude wickeln lässt.« Das persönliche Wohnhaus von Frank Hülsmeier, ein Stahlbau mit Holzfassade, wurde zum Prototypen. »Das Objekt im Forschungsvorhaben wird noch immer regelmäßig überwacht. Wir machen jetzt noch Thermographien, um zu überprüfen ob es sich um eine langfristige Technologie handelt. Bisher ist keines der Elemente der Dämmung ausgefallen, was uns motiviert hat, an dieser Stelle weiterzuforschen.« Hatte sich das Team zunächst für einen nachwachsenden Rohstoff entschieden, führten die Folgeüberlegungen dazu, ein Material zu wählen, das nicht in Konkurrenz mit anderen Nutzungen steht. »Ein Beispiel: Vor einigen Jahren gab es eine schlechte Maisernte in den USA. Dies führte dazu, dass die Nahrungsmittelpreise stiegen, da die meisten Bauern den Mais schon zur energetischen Verwertung zum Verkauf vorgemerkt hatten. Diese Konkurrenz hat uns bewogen, auf Beton umzuschwenken, statt Holz. Die Rohstoffe hierfür sind zwar nicht unendlich, aber noch in großen Mengen vorhanden und konkurrieren mit keinen anderen Märkten.« Durch Glasfaser oder textile Bewehrung ließen sich die Betonplatten genauso dünn herstellen, wie die ursprünglichen Holzplatten, so dass der Schichtenaufbau der gleiche bleiben konnte. Heizen ohne Heizung
Es zeigte sich also, dass es nicht das eigentliche Problem war, die geeigneten Werkstoffe zu finden, sondern die Schichtung und Fügung im Element zu optimieren, was zum nächsten Forschungsprojekt führte. Im Rahmen von SMART.tex befassten sich die Wissenschaftler von 2012 bis 2015 mit der Integration einer Strahlungsheizung in die Textilbetonschicht der Elemente. »Wenn man hochgedämmte Passivhausgebäude baut, dann doch nur, um dadurch Heizkosten und am besten direkt auch die konventionelle Heizung einsparen zu können. Ein Passivhaus mit klassischer Heizung macht ökonomisch keinen Sinn! Deshalb haben wir nach einem günstigen Heizungssystem gesucht, das direkt in die vorgefertigten Fassadenelemente integriert werden kann.« Die Lösung lag in einem Gelege aus alkaliresistentem Glas und Carbonfasern, das in den Textilbeton eingelegt wurde. Wird an die Carbonfasern eine Spannung angelegt, werden diese warm und es entsteht eine Flächenheizung. »Es gibt noch viele technische Probleme, aber im Prinzip kann man die Bewehrung der Betonplatte gleichzeitig als Heizung verwenden. Hier entsteht für uns der Mehrwert.« Durch eine entsprechende Auswertung zeigte sich, dass eine Elektroheizung nur bei sehr niedrigen Wärmebedarfen eine ökologische Lösung ist. Durch viele Experimente und Überlegungen einer durch die Anwesenheit von Personen automatisch gesteuerten Heizleistung kam das Team letztendlich zu einem sinnvollen Einsatz der Strahlungsheizung als Dauerheizung auf niedrigem Niveau mit geringer Leistung. Um die Anwendung der Beton-Sandwichelemente mit Vakuumdämmung und Elektroheizung zu demonstrieren, waren Studenten im Anschluss aufgerufen, Aufbauten als Dachparasiten für das Hochschulgebäude zu entwerfen. Die parasitäre Architektur PARA.tex sollte als Experimentallabor und als Multifunktionsraum genutzt werden. Auch wenn das Pilotvorhaben zur Umsetzung der innovativen Fassadenforschung allgemein sehr viel Zuspruch fand, kam die letztendliche Realisierung leider noch nicht zustande. Carbonbeton mit Mehrwert
Der weiteren Erforschung von Fassadenhüllen mit Carbongelegen hat dies jedoch keinen Abbruch getan. Das ai:L ist Forschungspartner im Konsortium C3 Carbon Concrete Composite, das federführend von der TU Dresden geleitet wird. Während sich die Bau- und Textilingenieure dort mit den technischen Aspekten von Carbonbeton befassen, war es Aufgabe des Architekten-Teams aus Leipzig der technischen auch eine gestalterische Vision beizusteuern. »Der Vorteil des Carbonbetons liegt in einer reduzierten schlanken Bauweise. Wir möchten aber noch mehr und haben deshalb Photovoltaik implementiert, um direkt vor Ort Energie einzufangen, LED-Beleuchtung integriert oder auch ein Heizsystem. Es ist ein hybrides Gebäude entstanden – in seiner Funktion und Nutzung hybrid, aber auch bezüglich der Fassaden, die nicht nur tragen, hüllen und schützen, sondern auch beleuchten, erwärmen, Energie gewinnen und speichern können.« Von 2015 bis 2016 entstanden verschiedene Teilprojekte, darunter C3 PV, die Integration von Photovoltaik in Carbonbauteile. »Jede Fassade hat zur Sonne eine andere Ausrichtung. Ziel war es, ein System zu finden, die Photovoltaik immer so zu drehen, dass sie unabhängig von der Lage an der Fassade immer möglichst optimal zur Sonne ausgerichtet ist.« In einem mehrstufigen Prozess entstand ein erstes Handmuster mit kristallinen Siliziumzellen in optimierter Ausrichtung und die Erkenntnis, dass der größte Materialverbrauch in den aufwändigen Schalungsprozess fließt, wodurch die eigentlichen ökologischen Vorteile der Idee wieder geschmälert wurden. Der nächste logische Schritt zur Applikation weiterer Funktionen war für die Forscher die Nutzung und Speicherung der gewonnenen Energie direkt vor Ort. Für das Projekt C3 SUPERCON wurde ein Kondensatorprinzip gewählt, das es ermöglicht, Energie direkt in der Fassade zu speichern, um sie dann an der Innenseite an integrierte LEDs wieder abzugeben. Das Prinzip basiert auf zwei Folien – die eine positiv, die andere negativ elektrisch geladen – und dazwischen das Dielektrikum, das den Strom erst ab einer bestimmten Spannung fließen lässt. In Kooperation mit dem Zentrum für Materialforschung der Universität Halle entstanden verschiedene Varianten, die die entsprechenden Be- und Entladezyklen simulieren. »Wir sind noch weit weg von der technischen Umsetzbarkeit. Bislang haben wir nur unsere Minimodule im Forschungsmaßstab. Die Technologie kann noch nicht skaliert werden und somit nicht für die reale Anwendung produziert werden. Auch überzeugt die Energiedichte pro Quadratmeter Fläche, die man einlagern kann, noch nicht. Aber im Zuge der Diskussion um Energienetze, um Elektromobilität und um netzdienliche Gebäude, halten wir dies für eine Technologie, die vielleicht in 10-20 Jahren zur Verfügung steht, sodass unsere Fassaden Elektroenergie speichern können. Die Grundlagenforschung dazu gibt es, wir sind diejenigen, die nun versuchen, diese in eine Gebäudehülle zu implementieren.« Der nächste Schritt war die Integration von Lichtleitern in die Sandwichpaneele. Im Teilprojekt C3 DAYLIGHT wurde in den Beton wieder ein Gewebe eingebracht, das es erlaubt, die gedämmte Beton-Sandwichwand trotzdem transluzent für Tageslicht oder Kunstlichtquellen zu machen. Zwei einbetonierte Gewebeschichten und dazwischen Polfäden mit lichtleitenden Fasern ermöglichen es, kleine Lichtpunkte, durch das ansonsten geschlossene Betonelement zu leiten. Ebenfalls mit der Integration von Licht bzw. von Leuchtdioden befasst sich C3 LED, das Signaletik, Hinweise, Information on Demand direkt in den Beton integriert. Für die verschiedenen Varianten mit bereits funktionalisierten LED-Gelegen, LED Strings oder LED-Textilschläuche die minimal unter der Betonoberfläche liegen und nur im leuchtenden Zustand sichtbar sind, sehen die Wissenschaftler »absolutes Zukunfts- und Anwendungspotenzial«. Mit Photovoltaik gestalten
Das aktuell letzte abgeschlossene Projekt befasst sich wieder mit der Integration und optimierten Ausrichtung von Photovoltaik an der Fassade. Basierend auf den Erkenntnissen des zu aufwändigen Schalungs- und Herstellungsprozesses der Carbonbetonstruktur, wurde im Projekt SOLAR.shell nach einer bezahlbaren industriellen Herstellungsmethode gesucht. Die Anordnung der PV-Elemente wurde wieder mittels eines parametrischen Modells berechnet, eine erste Musterfassade besteht statt aus Carbonbeton nun aus gefalteten Alucobond-Elementen, auf die die kleinsten PV-Module angeordnet wurden, die industriell produziert werden konnten. Durch eine optimierte Ausrichtung der Module je nach Himmelsrichtung konnte ein erhöhter Ertrag und ein eigenständiges Erscheinungsbild generiert werden – und das Ganze nun auch zu bezahlbaren Kosten. »Als nächstes träumen wir davon, technische Applikationen – etwa kleinmaßstäbliche Photovoltaik – auch für Ziegelfassaden zu entwickeln und damit an die Ästhetik des Expressionismus anzuknüpfen«, führt Frank Hülsmeier seine Forschungsreihe an »Fassadenapps« gedanklich bereits weiter.
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