30.11.2012 Cordula Vielhauer

Zusammen sind wir klüger: Interview mit Lischer Partner Architekten

Das von einer international besetzten Jury mit dem DETAIL-Preis 2012 ausgezeichnete Ferienhaus in Vitznau von Lischer Partner Architekten aus Luzern ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich: Es vereint Bezüge zu vernakulärer Schweizer Baukultur mit einem klaren Bekenntnis zu zeitgenössischer Architektur. Wir sprachen mit Daniel Lischer und Nicole Renggli-Frey im Rahmen der Preisverleihung des DETAIL-Preises 2012 im Schlosshotel in Berlin-Grunewald.

Daniel Lischer im Interview, Foto: Lucas Kromm

DETAIL: Es gibt ja eine lange Tradition in der Schweiz, der sehr eindrücklichen Gebirgslandschaft eine starke Beton-Architektur entgegenzusetzen – von Walter Förderer bis Miler & Maranta, um nur einen kleinen Ausschnitt zu nennen. Mit Ihrem preisgekrönten Ferienhaus in Vitznau scheinen Sie diese Tradition weiter zu verfolgen. Gibt es Schweizer Architekten, auf die Sie sich in Ihrer Arbeit beziehen?

Daniel Lischer: Ich habe mich in meiner Ausbildung zunächst viel mit Walter Gropius beschäftigt und dem CIAM, also mit der Klassischen Moderne, bevor ich mich der Schweizer Architektur und seinem Erbe zuwandte. Es gibt in der Schweiz eine Reihe von Architekten aus der zweiten Generation der Moderne, die auch interessant ist. Ich war nach dem Studium bei Robert Obrist im Engadin, der sehr pur und archaisch gebaut hat. In Vitznau waren es aber nicht nur gestalterische Wünsche, die uns zum Beton geführtn haben, die Betonkonstruktion ist vor allem topografisch bedingt. Unsere Bauherren wollten ursprünglich ein klassisches Holzhaus –ein Chalet, mit gemauertem Sockel, Holzkonstruktion und Satteldach. Wir haben aber ziemlich schnell gemerkt, dass das in der gegebenen Hanglage nicht funktioniert. Deshalb haben wir Beton gewählt.

Ferienhaus Vitznau, Foto: Roger Frei

Nicole Renggli-Frey: Es ging eigentlich immer darum: Bauen wir zuerst den Beton- oder zuerst den Holzbau?

DETAIL: Und wie haben Sie es dann gemacht?

Nicole Renggli-Frey: Wir haben zuerst den Holzbau gestellt, er dient damit quasi als verlorene Schalung. Danach mussten wir nur noch außen die zweite Schalung setzen. Aber das war natürlich auf Grund des Schalungsdrucks des Betons am Hang eine große Herausforderung. Hätte man zuerst den Betonbau errichtet, hätte man ein Leergerüst bauen müssen. Das wäre ein zu hoher Aufwand für ein Ferienhaus gewesen.

Daniel Lischer:
 Ich war vor dem Studium ja Zimmermann. Vor diesem Hintergrund habe ich auch neben der kunsthistorischen Betrachtung ein anderes Verhältnis zum reichen Erbe der autochthonen oder vernakulären Architektur in der Schweiz.  Es gibt im Engadin einen bestimmten Holzhaustyp, der mit der Zeit – auf Grund der vielen verheerenden Brände, die die Region heimsuchten – um eine Vormauerschale ergänzt wurde. Die Engadinerhäuser haben ihre typischen „schiefen“ Leibungen also aus ganz praktischen Gründen. Und insofern gibt es zu unserem Haustyp – „harte Schale, weicher Kern“ – auch einen gewissen historischen Bezug.

Herr Lischer, Frau Renggli-Frey, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führten Cordula Vielhauer und Katja Reich.
DETAIL: Auf den Fotos hat man den Eindruck, das Haus steht ganz allein am Hang. Ist das tatsächlich so?

Nicole Renggli-Frey: Bisher ja. Aber es sind weitere Häuser geplant.

DETAIL: Wenn die Bauherren zunächst ein Holzhaus wollten: Wie haben Sie sie von Ihrem Entwurf überzeugt?

Daniel Lischer:  Die topographischen Bedingungen vor Ort waren natürlich ein wichtiges Argument. Und im Grunde haben unsere Bauherren ja ihren Holzbau bekommen, aber eben mit einer Betonschale. Beim Holzbau stellt sich ja in Bezug auf das Gelände, den Sockel und das Dach immer die Frage: Wo fängt er an, und wo hört er auf? Für uns bestand die größte Herausforderung in der Auseinandersetzung mit der Landschaft, die so umwerfend schön ist. Das geht bis ins Detail: Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass der Nagelfluhfelsen -  scherzhaft auch als Herrgottsbeton bezeichnet - aus verschieden Gesteinen zusammengesetz ist. Er ist sehr komplex aufgebaut: geschichtet, gepresst – eine hochspannende Geologie. Wir wollten uns dieser Natur nicht anbiedern, sondern ihr etwas ähnlich Komplexes entgegensetzen – aber eben etwas Handgemachtes. Beim Betonbau interessiert uns weniger diese glatte, perfekte Oberfläche, wie sie die Japaner pflegen, als der Beton Brut eines Le Corbusier.    

Nicole Renggli-Frey: Wir haben bei der Schalung jede Fuge gezeichnet. Wir wollten, dass man sieht, wie das Material arbeitet, wie sich die Körnung setzt. Und das ist aufgegangen.

Küche im Ferienhaus Vitznau, Foto: Roger Frei

Flur und Treppe im Ferienhaus Vitznau, Foto: Roger Frei

DETAIL: Wie wichtig sind solche handwerklichen Prozesse für Sie? Glauben Sie, dass man es einem Gebäude anmerkt, ob es handwerklich entstanden ist oder einen rein digitalen Prozess durchlaufen hat? Nicole Renggli-Frey: Es geht um Charakter. Unser Baugrundstück hat ja einen unglaublich starken eigenen Charakter mit dem Vierwaldstätter See und den Bergen. Wir wollten etwas ähnlich Charaktervolles schaffen.

Daniel Lischer: Wir arbeiten gerne mit Typologien und dem Kontext. Beim Städtebau halten wir uns zurück. Unser Städtebau richtet sich immer nach dem vorhandenen Muster, in diesem Fall gibt es hier nur Solitäre. Es war klar, dass in diese Landschaft nur ein zurückhaltender Körper passt. Der Bau ist aber in seiner Struktur sehr vielschichtig. Diese Subtilität drückt sich durch die Einschnitte aus, die wir nach einem deduktiven Prinzip vorgenommen haben. In vielen und langen Besprechungen, auch das war Handarbeit.

Nicole Renggli-Frey im Interview, Foto: Lucas Kromm

DETAIL: Wer von Ihnen ist denn der Handwerker? Daniel Lischer: Das Besondere an diesem Projekt ist, dass es keinen Autor hat. Es ist tatsächlich eine Teamleistung. „Zusammen sind wir klüger“, lautet ein japanisches Sprichwort, und das gilt für das Ferienhaus in Vitznau ganz besonders.

DETAIL: Wie sieht es im Innenraum aus? Wie ist das Haus um die eingestellten „Raumkörper“ organisiert, wie Sie sie nennen?

Daniel Lischer: Hier gibt es sowohl einen Bezug zur Moderne als auch zum Barock. Ich habe mich viel mit der  Promenade Architecturale beschäftigt – besonders in Bezug auf Le Corbusiers Villa Savoie: Wie komme ich in ein Haus hinein? Wie werde ich weiter geführt? Die klassische Wegführung beginnt ja mit einem Cour d’honneur, wir haben jedoch das Gegenteil versucht, wir haben alles miniaturisiert. Die spanische Treppe in Rom ist ein Schulbeispiel für den barocken Achsenschub, bei welchem man immer einen anderen Blickpunkt hat. Wir haben Weg und Raum miteinander kombiniert: Man kommt herein, wird aus der Achse herausgenommen, geht nach unten... So entstehen immer wieder andere Bildaufbauten.

Ferienhaus Vitznau, Foto: Roger Frei

DETAIL: Das klingt nach einer Synthese von Le Corbusiers dynamischer Wegführung und Adolf Loos’ Raumplan...

Daniel Lischer: Das wäre natürlich schön... (lacht). Wir haben tatsächlich anfangs sowohl mit reinen Weg-Modellen gearbeitet als auch mit ineinander gesetzten Volumen, die sich eher auf Loos’ Raumplan beziehen lassen. Am Ende haben wir beides zusammen gesetzt und den Körper mit den Wegräumen überlagert.

DETAIL: Neben den „Klassikern“ – auf welche Architekten beziehen Sie sich?

Daniel Lischer: Vor der Gründung meines eigenen Büros war ich bei Cruz und Ortiz in Sevilla und bei Jean Nouvel in Paris. Cruz und Ortiz sind ja beide Harvard-Professoren, dennoch leben sie eine beeindruckende Bescheidenheit, gepaart mit einer Mischung aus Rationalismus und mediterraner Leichtigkeit. Das merkt man auch ihren Projekten an, die nie modisch sind oder plakativ. Bei Jean Nouvel fand ich es interessant, dass die Projekte vor allem im Gespräch entwickelt werden, gar nicht so sehr beim Zeichnen, sondern während des Sprechens: L’idee vient en parlant. Und mit welcher Hartnäckigkeit Nouvel seine Ideen vertritt! Beim Dach des Kunst- und Kongresshauses zum Beispiel, das ja 45 Meter weit auskragt und Föhnstürmen von bis zu 180 Stundenkilometern standhalten muss, hat er immer nur gesagt: „Wir machen das so.“ Auch wenn zunächst niemand diese Konstruktion berechnen wollte und konnte. In Vitznau mussten wir auch zwei mal die Konstruktionsweise wechseln, weil keiner das Haus mit uns wie vorgeschlagen bauen wollte.

Hof im Ferienhaus Vitznau, Foto: Roger Frei

Weitere Informationen: zu den prämierten Projekten des DETAIL Preises 2012 unter www.detail.de

zur Gala des DETAIL Preises 2012 unter www.detail.de

zum DETAIL Preis 2012

zu den Architekten unter www.lischer-partner.ch




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