19.12.2013 Florian Maier

Die Grammatik der Fassaden

Die Projekte von Staab Architekten sind geprägt von vielfältigsten Formen und Materialen und basieren dennoch auf immer derselben Grammatik – ein Gespräch mit Volker Staab.

Foto: M. Zeeh

Die Fassaden Ihrer Gebäude sind so unterschiedlich, dass man fast den Eindruck hat, es handele sich dabei jeweils um eigens entwickelte Prototypen. Entspricht dieser Eindruck Ihrer Arbeitsweise?

Wir versuchen tatsächlich, unsere Projekte immer wieder aufs Neue aus der Analyse der wesentlichen bestimmenden Faktoren heraus zu entwickeln. Ziel ist es, die relevanten Themen zu fi nden und auf deren Grundlage dann gestalterische Entscheidungen zu treffen. Was uns dagegen nie interessiert hat, ist ein typischer Büro-Stil oder die Wiedererkennbarkeit von Projekten. Auf der anderen Seite haben wir aber keineswegs den zwanghaften Wunsch, uns ständig neu zu erfi nden. Im Gegenteil. Wir greifen gern auf unsere Erfahrungen zurück.

Kunstmuseum Ahrenshoop

Wie sieht der rote Faden aus, der all Ihre Projekte miteinander verbindet? Welche Gemeinsamkeiten gibt es?

Da gibt es zunächst einmal eine sehr strategische Arbeitsweise. Anfangs verlaufen Projekte wie Forschungsarbeiten, bei denen wir möglichst für alles offen sein wollen. Gemeinsamkeiten gibt es aber selbstverständlich auch bei den formalen Vorlieben. So gehen wir auf eine ganz bestimmte Art und Weise mit Materialien um. Zum Beispiel fasziniert uns der Reiz, der in sehr gegensätzlichen Materialien wie etwa Beton und Holz liegt. Das sieht man beim Museum Georg Schäfer in Schweinfurt ebenso wie beim Besucherzentrum am Herkules in Kassel. Dabei tauchen immer wieder die gleichen Fragen auf: Wie versteht man einen Baukörper? Wie lassen sich Teile des Hauses zueinander fügen? Wie werden Oberflächen bearbeitet? Wir versuchen, eine Art Grammatik zu entwickeln, die dann die Detaillierung bestimmt und sich bei einem Gang durch das Gebäude überall wiederfinden lässt.

Kunstmuseum Ahrenshoop

Auffällig ist, dass Ihre Gebäudehüllen häufig von starken Strukturen geprägt sind, das gilt für das Besucherzentrum in Kassel ebenso wie für den Erweiterungsbau für Nya Nordiska in Dannenberg, während Innenräume eher klar und großfl ächig angelegt sind.

Die Außenhaut eines Gebäudes verstehen wir als kontextuelles Bindemittel, das stets vom jeweiligen Ort inspiriert ist. Und was die Innenräume angeht: Eine gewisse Großflächigkeit kann man schon als eine unserer großen Vorlieben bezeichnen.

Nya Nordiska in Dannenberg

Nach welchen Kriterien entstand die extrovertiert glänzende Bronzefassade beim Kunstmuseum Ahrenshoop, der fast verschämt zurückhaltend weiße Ausstellungsräume gegenüberstehen?

Die Expressivität der Bronzefassade wird im Laufe der Zeit abnehmen, denn sie wird langsam grau werden oder leicht changieren – diesen Effekt haben wir an einer Musterfassade getestet. In Ahrenshoop haben wir von Anfang an nach einem Material gesucht, mit dem es gelingt, den kontextuellen Bezug zu den typischen alten Reetdachhäusern der Umgebung herzustellen. Auch sie sind anfangs ganz golden und versilbern mit der Zeit. Die Rillen in den Bronzepaneelen sind ebenfalls inspiriert von den Reetdächern, deren lineare Struktur wir auf diese Flächenfaltung der Bleche übertragen wollten. Wenn die Besucher also in einem Jahr weit vom Museum entfernt stehen, werden die einzelnen Baukörper so wirken, als ob sie schon immer dagestanden hätten. Erst wenn sie langsam näher kommen, werden sie merken, dass es sich hierbei um einen Neubau handelt, dass sich das Bauwerk in der Annäherung transformiert. Momentan funktioniert das noch nicht so richtig, weil die Fassade noch zu sehr glänzt.

Nya Nordiska in Dannenberg

Im Duden steht an zweiter Stelle der Definition des Begriffs Fassade: »(oft abwertend) Äußeres Erscheinungsbild, das über den wahren Hintergrund, das eigentliche Wesen von jemandem, etwas nichts aussagt, es verbirgt«. Eines der Synonyme lautet: »(umgangssprachlich abwertend) Kulisse«. Könnten Sie bitte eine Lanze für die Fassade brechen?

Wir verstehen Fassade nicht als Dekoration, sondern immer als integralen Bestandteil eines Konzepts. Zum Beispiel macht die Fassade in Ahrenshoop nur im Zusammenhang mit dem Verweis auf das Urbild der historischen Gehöfte Sinn. Hier ging es nicht darum, irgendein goldenes Blech zu benutzen, weil es gerade so schön auffällig ist oder an eine Schatzkiste erinnert. Und bei Nya Nordiska war ja das Interessante am Ort, dass eine Fabrikation bzw. Lagerhalle mitten in einem kleinteiligen Dörfchen entstehen sollte. Normalerweise werden solche Gebäude als Wellblechkisten fünf Kilometer außerhalb des Ortes gebaut – und nicht mittendrin. Die rot eloxierte Aluminiumfassade weckt zugleich Assoziation an die roten Backsteine der Fachwerkhäuser wie auch an typische Industriebauten. Sie bezieht sich auf den Kontext, macht aber gleichzeitig deutlich, dass sie inhaltlich nichts mit den benachbarten Bauten zu tun hat. Fassaden müssen stets aus dem Gesamtverständnis des Projekts heraus Sinn ergeben. Das ist es, was uns in erster Linie interessiert. Ich will aber nicht leugnen, dass auch uns das Phänomen »Kleider machen Leute« bekannt ist. Letztlich sehen wir die Fassade aber nie losgelöst vom Kontext.

Nya Nordiska in Dannenberg

Was halten Sie von Fassadenwettbewerben?

Ehrlich gesagt haben wir damit eher ein Problem. Typische Bauvorhaben in diesem Zusammenhang sind beispielsweise Kaufhäuser in Innenstadtlage, bei denen die Behörden den Investoren einen Fassadenwettbewerb aufzwingen. Eine solche Vorgehendweise ist allerdings meistens von vornherein zum Scheitern verurteilt. Schließlich lebt die Fassade ja gerade von der Gliederung und den vielen Themen, die schon im Baukörper angelegt sind, und nicht erst an der Oberfläche entschieden werden können.
Das Hochhaus C10 für die Hochschule Darmstadt war also eine Ausnahme?

Das kann man so nicht sagen, weil es sich bei diesem Projekt um die Sanierung eines bestehenden Gebäudes der 1960er-Jahre handelt und nicht ausschließlich um einen Fassadenentwurf. Strukturell haben wir das Hochhaus so übernommen, wie wir es vorfanden. Davon abgesehen sind wir allerdings genauso vorgegangen wie immer, und haben uns auf die Suche nach projektrelevanten Themen gemacht. Da das Gebäude generalsaniert werden sollte, stand ein neues energetisches Gesamtkonzept im Vordergrund. Was uns bei den vor Ort bei gefühlten 38 Grad geführten Vergabegesprächen sofort auffiel, war der aufgrund der permanenten Windeinwirkung fast nirgendwo problemlos funktionierende außenliegende Sonnenschutz. Gemeinsam mit den Ingenieuren von Transsolar aus Stuttgart haben wir dann überlegt, wie man den Sonnenschutz der Südfassade auch ohne mechanisch bewegliche Teile lösen kann. Ergebnis war eine Art feststehendes »Augenlid«, dessen vordere Eckpunkte auf einer Parabelform liegen, die so konzipiert ist, dass das Lid kaum windanfällig ist und gleichzeitig den Raum nicht zu sehr verdunkelt. Einzige Vorgabe für die Form der einzelnen Sonnenschutzelemente war, dass alle Eckpunkte auf der Parabel liegen müssen. Auf diese Weise erhielten wir ziemlich große gestalterische Spielräume.

Hochhaus C10,
Hochschule Darmstadt

Wie viele verschiedene Sonnenschutzschirme konnten Sie letztlich realisieren?

Wir hätten uns eine sehr große Variationsbreite vorstellen können, mussten uns aber aus Kostengründen auf drei Varianten beschränken. Allerdings setzten wir diese auch gespiegelt ein, wodurch sich das leicht unregelmäßige Aussehen der Fassade ergibt. Auf zusätzliche sommerliche Verschattungs- oder Blendschutzmaßnahmen konnte jedenfalls gänzlich verzichtet werden, weil dank der Schirme von April bis September kein Sonnenlicht ins Innere der Büros gelangt. In den Übergangsjahreszeiten kommt ein bisschen Licht auf den Boden, und für den Winter haben wir einen Blendschutz vorgesehen, den man einfach mit der Hand runterziehen kann.

Grundinstandsetzung und Erweiterung des Hochhauses C10, Hochschule Darmstadt

Eine sehr einfache, fast »analoge« integrative Fassade, die ganz ohne bewegliche Teile und Strom auskommt.

Wenn von integrativen Fassaden die Rede ist, denken die meisten zunächst an technische und klimatische Aspekte. Für mich sind das aber nur zwei von vielen Gesichtspunkten. Nicht weniger wichtig ist die Frage nach dem Kontext und nach dem Zusammenhang zwischen innerer räumlicher Struktur und dem äußerem Erscheinungsbild. Bevor wir das Hochhaus in Darmstadt bearbeiteten, wurde an der Hochschule darüber diskutiert, den maroden Altbau abzureißen. Heute gilt er – auch dank des Sonnenschutzes – als neues, weithin sichtbar Wahrzeichen. Neben dieser »analogen« integrativen Fassadenlösung haben wir aber auch schon wesentlich technischere Fassaden konzipiert, zum Beispiel beim Neubau eines Laborgebäudes der Universität Heidelberg. Dort gibt es in den oberen Etagen sowohl blickdurchlässige Fenster wie auch bewegliche Lamellen und Öffnungen, die sich bei Abwesenheit der Menschen automatisch öffnen und schließen, damit es nicht zur Aufheizung des Gebäudes kommt. Bei Laborgebäuden sind Wärmeeinträge von außen generell möglichst zu vermeiden, weil die Innenräume wegen der technischen Geräte ohnehin schon über große Wärmelasten verfügen. Trotz aller intelligenten Steuerungsmöglichkeiten können die dort arbeitenden Menschen aber noch immer selbst darüber entscheiden, ob sie mehr oder weniger Tageslicht haben wollen.
Haben Sie bei der Planung von Fassaden Vorlieben für oder Aversionen gegen bestimmte Materialien?

Grundsätzlich stehe ich allen Materialien positiv gegenüber, die tatsächlich ein Material sind. Mit Oberflächenbeschichtungen, die nach dem ersten Millimeter anfangen abzublättern, habe ich eher ein Problem. Deswegen fi nde ich Metalle, die wirklich altern können, besser als beschichtete Bleche. Nicht gerade zu meinem Spezialgebiet zählen auch Vollwärmeschutzfassaden. Allerdings haben wir bereits versucht, Fassaden mit einer Putzschicht zu realisieren, die über authentische Materialeigenschaften verfügt und dadurch Präsenz zeigt.
Welche Trends sehen Sie in Bezug auf die Konzeption und Gestaltung von Fassaden?

Jenseits der EnEV gibt es inzwischen zahlreiche ganzheitliche Zertifi zierungssysteme, bei denen es um mehr als Wärmedurchgangswerte geht. Bei diesen Systemen steht vielmehr das Gesamtkonzept der Gebäude im Mittelpunkt, sodass die Materialien auch auf ihre Herstellung und Langlebigkeit hin bewertet werden. Als »ökologische« Maßnahme einfach an jedem Haus 20 cm Außendämmung anzubringen, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Und was die Gestaltung der Fassaden angeht: Natürlich gibt es immer wieder neue Moden, die sich danach richten, was an technischen Innovationen gerade neu auf den Markt gekommen ist. Davon ist niemand frei. Allerdings muss für ein Projekt eine gewisse Sinnfälligkeit existieren. Das Schreckliche an Moden ist, dass Dinge manchmal in einem vollkommen unpassenden Zusammenhang verwendet werden.

Besucherzentrum am Herkules, Kassel

In welchem Bereich erwarten Sie in nächster Zeit die größten Material- und konstruktiven Innovationen für Fassaden?

Im Glasbereich wird sich noch vieles verändern, gerade in der Kombination mit der gebäudeintegrierten Photovoltaik. Außerdem erwarte ich in den nächsten Jahren einige Neuerungen im Bereich der intelligenten Gläser. Ebenso interessant sind aber auch Neuentwicklungen beim Glasfaserbeton, der über ein wirklich außergewöhnliches statisches Potenzial verfügt. Bei glasfaserverstärkten Kunststoffen ist es hingegen nach wie vor ziemlich schwierig, innovative Lösungen zu realisieren. Dafür sind die Zulassungsverfahren, etwa bei Materialprüfungstests auf Brennbarkeit, einfach noch zu kompliziert.
Wie halten Sie sich in Bezug auf neue Materialien auf dem Laufenden? Haben Sie Mitarbeiter, die sich vor allem damit beschäftigen?

Einer unserer Geschäftsführer betreut eine umfassende Materialbibliothek, in der alle Materialneuheiten gesammelt werden. Zu seinen Aufgaben zählt auch, auf Messen zu fahren und sich nach Neuheiten umzusehen. Doch oft sind die von uns verwendeten Materialien gar nicht so ungewöhnlich. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die den Unterschied machen. Beim Erweiterungsbau für Nya Nordiska zum Beispiel hat eine ganz normale metallverarbeitende Firma die unterschiedlichen Kantungsabstände der Bleche realisiert. Anstatt der gleichmäßigen Abstände sind diese dort mal lang und dann wieder kurz. Das ist eigentlich nur eine kleine Veränderung in der Bearbeitung, führt aber dennoch zu einer völlig anderen visuellen Erscheinung des Materials.

Besucherzentrum am Herkules, Kassel

Seit 2012 leiten Sie das Institut für Entwerfen und Raumkomposition an der TU Braunschweig. Welche Ziele verfolgen Sie dort?

Mein Hauptziel ist, die Studenten zum Denken anzuregen. Das Schwierigste ist tatsächlich, sie vom Konsumieren dieser unendlichen Bilderfluten abzuhalten. Statt Details aus Zeitschriften und aus dem Internet zu kopieren, geht es doch eigentlich darum, zu begreifen: Auf welchen Grundlagen kann ich Entscheidungen treffen? Welche Kriterien sind für die Architektur wichtig? Um entwerfen zu können, braucht man geeignete Instrumente, mit denen sich diese unendliche Vielfalt fi ltern lässt. Sonst wird es allzu schnell sehr beliebig und oberflächlich. Und das wird ganz bestimmt nie zu unseren Zielen zählen.
Zur Person
Volker Staab studierte Architektur an der ETH Zürich und arbeitet in einem gemeinsamen Büro seit 1996 mit Alfred Nieuwenhuizen zusammen, der seit 2007 Partner der Staab Architekten GmbH in Berlin ist. Nach mehreren Gastprofessuren an verschiedenen Universitäten leitet er heute das Institut für Entwerfen und Raumkomposition an der TU Braunschweig.

Staab und sein Büro erhielten zahlreiche Architekturpreise und Auszeichnungen, darunter den großen BDA-Preis, den Hugo-Häring-Preis und den Deutschen Fassadenpreis (VHF), zuletzt 2013 für die Grundinstandsetzung und Erweiterung des Hochhauses C10 der Hochschule Darmstadt. Allein das Projekt Erweiterung Nya Nordiska in Dannenberg wurde 2012 mit dem Niedersächsischen Staatspreis für Architektur, dem BDA-Preis Niedersachsen und 2013 mit der Nike in der Kategorie »Fügung« ausgezeichnet.

Neubau BIOQUANT, Universität Heidelberg

Das Interview mit Volker Staab führte Roland Pawlitschko.

Mehr zum Thema in der DETAIL Sonderpublikation 12|2013 Integrative Fassaden.
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