17.06.2013

Featuring architecture: realities:united

von Jan Edler und Tim Edler Das Zentrum für zeitgenössische Kunst in Cordoba, geplant von den spanischen Architekten Nieto Sobejano, hat in Zusammenarbeit mit realites:united eine dynamische Oberfläche bekommen. Seit ihrem Konzept zur Gestaltung der Medienfassade am Kunsthaus Graz werden die beiden Studiogründer Jan und Tim Edler oft in die Schublade für Spezialisten gesteckt. Dabei entwickeln sie unterschiedlichste Strategien, wie Architektur nach außen kommunizieren kann. Im Beitrag erläutern sie ihre Arbeitsweise.

Zentrum für zeitgenössische Kunst in Cordoba, Foto: realites:united

Weitere Informationen
www.realities-united.de
Orchestermusik oder Jam-Session?
Wie beteiligt man sich an der Entstehung eines Gebäudes, ohne dabei nur als Fachplaner mit einer Dienstleistung zu Rate gezogen zu werden? Eine Möglichkeit ist die Übertragung einer Methode, die ursprünglich aus der Musikbranche stammt. Der Begriff des „Featuring“ bezeichnet den Prozess, wenn andere Künstler oder sogar andere Genres mit ihren spezifischen Eigenarten in ein Stück eingebaut werden. Gleichberechtigtes Wirken in der Jam-Session, statt klassischer Orchestermusik mit erster und zweiter Geige. Das ist unser Arbeitsansatz. Wir selbst sehen uns als Architekten, Künstler und Forscher, aber mit unserem Studio realities:united haben wir seit 2000 Projekte vor allem in Zusammenarbeit mit anderen Architekten und Künstlern realisiert, zum Beispiel mit Peter Cook, Bjarke Ingels, EM2N und Coop Himmelb(l)au. Unsere Arbeit entsteht an der Schnittstelle zwischen Kunst und Architektur, zwischen Experiment und technischer Realisierung.

Beispiel Medienfassaden: Wir sehen Fassaden nicht als Dekorationsoberflächen. Unsere „Medienfassaden“ beleben nicht nur die Hülle, sondern den gesamten Bau. Was wir machen ist anders: Es ist nicht bunt, es ist nicht hochauflösend, es ist nicht viereckig. Natürlich ist es nicht immer leicht zu vermitteln, warum das so besser ist.

Für die Entwicklung der Fassade für das Kunsthaus in Córdoba haben wir eng zusammen mit den Architekten von Nieto Sobejano gearbeitet. Das Ergebnis ist keine Medienfassade, die ein Raster oder eine gleichmäßige Dichte aufweist – es ist eher eine kommunikative Struktur, die mit den Möglichkeiten der visuellen Wahrnehmung spielt. Die ursprüngliche Idee der Architekten war es eigentlich, Leuchtstofflampen à la Graz in zylindrische Aussparungen in der Betonfassade zu montieren und sie aus diesen einzelnen zylindrischen Löchern heraus leuchten zu lassen. Nieto Sobejano wollten ihr Gebäude zur Flussseite mit dieser besonderen Fassade ausstatten, um es in der Stadt zu verankern. Wir haben zunächst nach einer technischen Lösung gesucht bei der man nicht mehr direkt in die Lichtquellen schaut, sondern die Leuchten so in der Fassade integriert, dass nur die Oberfläche leuchtet.

Designprozess für das Zentrum für zeitgenössische Kunst in Cordoba, Foto: realites:united

Zentrum für zeitgenössische Kunst in Cordoba, Foto: realites:united

Wie groß ist ein Pixel?
Einer der Pixel geht über die gesamte Fassadenhöhe, er wirkt fast wie eine Störung, wie ein Fehler. Medienübertragung auf Architektur ist immer eine Frage des Maßstabs. Mit dem großen Pixel übertreiben wir das natürlich total. Wir haben fast alle gängigen Bildungsprinzipien einer Medienfassade bei dem Gebäude aufgelöst: Es gibt keine orthogonale Struktur, es gibt überhaupt keine Regelmäßigkeit der Pixel, da sie alle ungleich groß sind – in der Fassade mischen sich unterschiedlichste Maßstäbe.
Die Entwicklung unserer Fassaden hat etwas von Deklinationsübungen, wir haben immer noch das Gefühl, Grundlagenarbeit zu betreiben, die eigentlich schon längst hätte gemacht werden können. Eine Medienfassade ist ein großes Rechteck, und was darin inhaltlich, technisch und gestalterisch passiert, soll Panasonic sagen, lautet eine weit verbreitete Haltung.
Wir tasten uns selber langsam voran – Medienfassaden an Architektur sind immer noch ein unerforschtes Gebiet, so dass wir jedes Projekt nutzen müssen, auf diesem Gebiet ein Stück weiterzuziehen. Mit der Fassade für das Kunsthaus Graz fingen wir an, Maßstab und Form von Pixeln an einer Fassade grundsätzlich zu thematisieren. Dann kam das Projekt SPOTS mit der Frage: Sind die Pixel in einer Matrix immer gleich oder gibt es Unterschiede? Führen sie nicht ein Eigenleben und fangen an, Muster zu bilden? Wie zum Beispiel in Cordoba, wo sie das orthogonale System von Gleichmäßigkeit und Größe vollständig auflösen.

"SPOTS", Installation am Potsdamer Platz in Berlin 2005 (Größe 1350 m2), Foto: Bernard Hiepe © realites:united

Das Gebäude ist die Message
Die Leuchtringe am Kunsthaus Graz wirken heute fast schon nostalgisch, wenn man sie mit aktuellen Beispielen bewegter Fassaden vergleicht. Es war das erste Medienfassadenprojekt von realities:united, dabei gab es für die Licht- und Medieninstallation BIX am Kunsthaus Graz anfangs weder einen Auftrag noch ein Budget. Für die Entwicklung einer solchen Installation fehlten außerdem vergleichbare technische Referenzprojekte, wir mussten unsere eigene Erfahrung sammeln. In einem Expose über das Thema Medien im Museum, das wir 2001 geschrieben hatten, waren Vorschläge zu verschiedenen technischen Entwicklungen, Kabelsystemen, Aufhängungsvorrichtungen und auch zur Medienfassade. Die Idee kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Für das Kunsthaus Graz suchte man dringend nach Möglichkeiten, Kosten zu sparen und wir brachten eine neue Ebene ins Spiel, deren Preis man zunächst nicht einmal ansatzweise einschätzen konnte.

Das Team um Peter Cook musste die Idee der Medienfassade zunächst ignorieren, die Londoner Architekten durften die gesamte Ausführungsplanung nicht an die Leuchtstofflampen anpassen. Erst im letzten Moment wurde entschieden, dass die Lampen doch auf der Fassade installiert werden sollten. Der Auftrag kam also erst, als das Gebäude fast schon fertig war; wir hatten nur etwa neun Monate Zeit für die Realisierung.

Kunsthaus Graz, Blick vom Schlossberg, Foto: Harry Schiffer © realities:united

Kunsthaus Graz (Fassadengröße: 1000 m2), Foto: Paul Ott © realities:united

Rauchzeichen in Kopenhagen
Dass Gebäude nicht unbedingt leuchten müssen, um mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten, zeigt das Konzept eines von uns gewonnenen Wettbewerbs: Das neue Kraftwerk Amagerforbrænding in Kopenhagen soll in Zukunft mit Rauchzeichen kommunizieren. Dieses Szenario haben realities:united für eine deutsch-dänische Zusammenarbeit entwickelt (BIG Bjarke Ingels Group, TOPOTEK 1 und Man Made Land)  – ausgeschrieben war ein Wettbewerb für den Neubau einer Müllverbrennungsanlage, den BIG in einem künstlichen Berg verpackt haben.
Das Dach des Kraftwerks soll einem 31.000 Quadratmeter großen Skigebiet unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade dienen – ein besonderes Freizeitangebot für Kopenhagener und Touristen. Es ist ein typisches Bjarke-Ingels-Projekt, welches das „Problem Kraftwerk“ in ein positives Erlebnis für die Stadt umwandelt, die Technik der Müllverbrennungsanlage soll dabei unter der Skipiste versteckt werden.

Kraftwerk Amagerforbrænding in Kopenhagen, Rendering © realities:united

Um darauf hinzuweisen, dass es den Rauch, also die gesamte Energie- und Umweltproblematik, immer noch gibt, stören wir den Gedanken mit einer antagonistischen Geste. Durch künstliche Kondensation wird das unsichtbare CO2-haltige Abgas sichtbar gemacht. Der Schornstein pafft wie die dicke Raupe mit der Wasserpfeife aus Alice im Wunderland Rauchringe in den Kopenhagener Himmel, die Anzahl der Ringe verbildlicht den Co2-Ausstoß und macht ihn zählbar – ein abstrakter Begriff nimmt eine konkrete Größe an. Je mehr Abfall die Kopenhagener also produzieren, desto mehr der jeweils 250kg CO2 fassenden Rauchringe steigen auf.
realities:untited hatte zuvor schon für eine Reihe von Wettbewerben mit BIG zusammengearbeitet, u. a. in Taiwan, Kopenhagen und in Berlin. Den Vorschlag für das Berliner Einheitsdenkmal haben wir zum Beispiel zusammen mit Bjarke Ingels entwickelt. BIG gehen ihre Projekte immer mit immenser Energie an: schnell, vielfältig und nach einer Woche schicken sie umfangreiche Manuals mit Modellen, Zeichnungen, Grafiken und noch mehr Modelle. Nichts bleibt unversucht – so eine Darstellung schaffen wir als kleines Studio erst am Ende. Ein guter Austausch.

Diagramm © realities:united

Programmierte Störung
Mit den Schweizer Architekten Mathias Müller und Daniel Niggli (EM2N) planen wir den Umbau des Toni-Areals. Diese Kooperation ist besonders interessant, da EM2N den anderen Planern und beteiligten Künstlern auf Augenhöhe begegnen. Bei der Umsetzung von Infrastrukturen wie Licht, Farbkonzepten oder Wegeleitung arbeiten sie gerne mit Künstlern zusammen, die Störfaktoren in das gedankliche Raster setzen und gegen den Rhythmus spielen. Das Toni-Areal ist ein Container, in den sämtliche Kunstschulen des Kantons einziehen sollen – ein unheimlich riesiges Projekt. Damit es nicht langweilig wird, wollten EM2N bewusst störende Brüche in ihre Architektur bauen.

Umbau Toni-Areal Zürich © EM2N Zürich

Die inneren Haupterschließungsbereiche des Gebäudes wie die Eingangshalle haben den Status öffentlicher Räume. Das Lichtkonzept, das wir für deren Beleuchtung vorschlagen, steht der üblichen Planung in vieler Hinsicht entgegen. Mit der geplanten Anordnung der Leuchten soll keine gleichmäßige Helligkeit entstehen – vielmehr werden einzelne Leuchtteppiche einseitig in bestimmten Raumbereichen konzentriert. So soll ein spannungsreiches Gefälle zwischen hell und dunkel entstehen. Das Licht folgt keiner technischen Anordnung, aber auch sonst fehlt der Bezug zu anderen in Frage kommenden Gestaltungstypen; weder entsteht in der Zusammenballung von Leuchten eine „Lichtskulptur“, noch dient die Akzentuierung einer dramaturgischen oder architektonischen Verdeutlichung des Raumes oder der Architektur. Die Nutzer müssen sich den Raum schlichtweg aneignen.

1. Gleichmäßiges Leuchtenraster, 2. Individuelles Design innerhalb eines gleichmäßigen Leuchtenrasters, 3. Lichtkunstobjekt innerhalb eines gleichmäßigen Leuchtenrasters, 4. Konzept realities:united

Künstlerische Lichtinstallation für das Toni-Areal Zürich © realities:united

Der Architekt als Kurator
Entstehen konnte diese ungewöhnliche Lichtplanung für das Toni-Areal, weil Mathias Müller und Daniel Niggli das Künstlerische und Mediale nicht als etwas betrachten, das einfach als neue Schicht auf ein Gebäude geklebt wird. EM2N sind Architekten, die selber planen, gleichzeitig aber auch wie eine Art Kurator arbeiten. Die beiden sind offen dafür, ”abgefahrene” Ideen in der Maschinerie Architektur unterzubringen. Wir hätten mit ihnen wahrscheinlich sogar darüber reden können, die 3.000 Stützen zu verschieben. Das würden sie mitmachen, weil es sie interessiert, nicht einfach Schichten auf ihre Architektur zu lackieren, sondern einzuverleiben. In einem konventionellen Kunst-am-Bau-Projekt kommen solche Ideen oft viel zu spät.

Die Arbeitsweise von realities:united lässt sich schwer in wenigen Worten zusammenfassen – „featuring architecture“ trifft es am ehesten auf den Punkt. Als klassische Baumeister wollten wir nicht arbeiten, uns interessiert anderes. Die Aufgaben für Architekten sind komplexer geworden – niemand kann heutzutage ein Gebäude alleine entwerfen. Für einige Architekten ist das ein (offensichtliches) Problem, für andere stecken darin neue Chancen.
Am Ende ist es auch eine Frage der Begrifflichkeiten und Definitionen. Was sind die gegenseitigen Erwartungen einer Kooperation? Vor allem bei interdisziplinärer Zusammenarbeit, an sich schon ein schwammiger Begriff, ist selten klar, was genau gemeint ist. Vielleicht ist es manchmal auch sehr naiv gedacht, dieses Bild einer harmonischen Zusammenarbeit.
Vor allem mit Architekten, die sich über das Werk und weniger über ihre Arbeitsmethode definieren, fällt es schwer, Autorenschaften zu verhandeln. Das ist kein Problem, sondern eine Herausforderung. Bei interdisziplinären Kooperationen ist immer entscheidend, dass Impulse wirklich hin und her gehen. Architektur ist ein Prozess mit vielen Beteiligten, da ist ein guter Dialog immer entscheidend. Fortschrittliche Architekten verhalten sich in vieler Hinsicht schon wie Kuratoren, die ein Team von anderen Architekten, Künstlern und Fachplanern beauftragen und diesen dann auch vertrauen.
Graz bewies Mut und wir integrierten die Medienfassade direkt auf der Baustelle in den Vorzeigebau der Kulturhauptstadt. Unter der Acrylhaut des „Friendly Alien“ wurden 930 konventionelle Leuchtstofflampen montiert, die eine mehrfach gekrümmte Matrix von tausend Quadratmetern Fläche bilden. Durch die Möglichkeit, die Leuchtenhelligkeit mit einer Frequenz von 20 Bildern pro Sekunde einzeln und stufenlos anzusteuern, können in grober Auflösung Bilder, Filme und Animationen vollflächig auf der Fassade gezeigt werden. Eine solche Medieninstallation nach abgeschlossener Planung in einen laufenden Bauprozess zu integrieren, war nicht so einfach. Das Aufhängesystem in Graz ist zum Beispiel ein Problem: Es ist sehr schwierig, einzelne Lampen zu verschieben. Ebenso konnte während der Planungsphase noch nicht gelöst werden, wie man einzelne Lampen auszutauschen kann. Es ist einfach Glück, dass sich die Fassadenpaneele recht einfach öffnen lassen.

Prototyp der Fassade für das Kunsthaus Graz, Foto: realities:united

Bei dem Kunsthaus Graz – wie auch bei anderen Arbeiten – ging es vor allem um Möglichkeiten, mit Architektur Botschaften zu erzeugen und zu übertragen. Wir konnten damals erstmals die konventionellen Vorstellungen von einer Medien- und Werbefassade hinter uns lassen und das als ein Thema der Architektur durchdenken. Das Besondere an der Fassadeninstallation für das Kunsthaus Graz im Vergleich zu anderen Projekten ist aber auch, dass die erfinderische Leistung ganz auf unserer Seite stand. Danach wurden wir oft explizit für die Planung von Medienfassaden angefragt, so zum Beispiel den Singapur-Projekten mit WOHA.

UEC Iluma Singapur (Größe 3500 m2), Architekt: WOHA, Foto: realities:united

AAMP Singapur (Größe 800 m2), Architekt: WOHA, Foto: realities:united

Prototype der Fassade

Zentrum f. zeitgen. Kunst Cordoba

Fotos: realites:united

Im Dialog haben beide Projektteams zusammen eine neue Lösung entwickelt und das Fassadenkonzept mit dem Gebäude verknüpft: Das innere Prinzip des Kunsthauses C4 mit seinen vieleckigen Räumen, der geheimnisvollen geometrischen Ordnung und den rhythmischen Verschachtelungen wurde auf die äußere Hülle übertragen. Dabei wurde aber das Tesselations-Muster, also das Zerlegen von Polygonen in kleinere Elemente und deren verdrehte Wiederholung, nicht dogmatisch durchgesetzt. Es wiederholt sich auf der Fassade in verschieden großen sechseckigen Modulen und ist dem Zweck entsprechend umgeformt. Die Matrix der Fassade setzt sich aus sehr kleinen, mittelgroßen und großen nach innen versenkten Lichtschüsseln zusammen. Durch die trichterförmigen Vertiefungen bekommt die Wand eine eigene Topografie. Diese Medienfassade hat ein ähnliches Bildungsprinzip wie die Netzhaut des Auges, die nur im Zentrum sehr hochauflösend ist und einmal erkannte Muster im visuellen Gedächtnis behält, wenn sie in die Peripherie wandern. Die klein strukturierten zentralen Bereiche haben eine hohe Auflösung, aber am Rand passiert vergleichsweise wenig.

Zentrum für zeitgenössische Kunst in Cordoba, Foto: realites:united

Künstlerische Lichtinstallation für das Toni-Areal Zürich © realities:united

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