29.11.2013 Cordula Vielhauer

Heterarchie und Smartphone-Architektur: Architektur und soziale Medien in Netzwerkgesellschaften

Wie die neuen sozialen Medien eine Gesellschaft bewegen können, lässt sich leicht an Phänomenen wie dem „Arabischen Frühling“ ablesen. Doch wie ist es bei der Architektur? Eine Konferenz der TU Berlin in Partnerschaft mit der russischen Universität Tomsk untersuchte im Herbst 2013 diese Fragestellung.
Wie sieht sie denn nun aus, die neue Architektur im Zeitalter der digitalen Kommunikation? Die Referenten der Konferenz Architektur und soziale Medien in Netzwerkgesellschaften waren Architekturtheoretiker, Semiologen, Psychologen und Kommunikationsdesigner. Die Architekten, um deren Arbeit es ja ging, saßen lediglich im Publikum. Doch wer hier Bilder erwartet hatte, wurde zunächst enttäuscht: Als erstes ging es darum, Begriffe zu klären.
Architektur als soziales Medium

Was ist überhaupt ein soziales Medium? Nach Jörg Gleiter, Professor für Architekturtheorie an der TU Berlin und Organisator der Konferenz, handelt es sich bei der Architektur selbst um das älteste soziale Medium der Menschheit. Die Definition als solche ist bereits über 500 Jahre alt und stammt von Leon Battista Alberti. Er bezeichnete als eigentlichen Zweck der Architektur, „die Menschen zu vereinigen und zusammenzuführen“.
Architektur ist also nicht nur ein umgrenzter Ort, sondern vor allem ein Kommunikationsraum: einer, in dem man sich auch aufhalten kann, ohne zu posten, zu liken oder zu kommentieren. Im Gegensatz zu digitalen Räumen wie Facebook, Twitter oder WhatsApp, in denen man sich seine Existenz erst „herbei schreiben“ muss, hat man in den privaten und öffentlichen Räumen der Architektur die Möglichkeit, dem von vielen empfundenen „Terror der Kommunikation“ zu entkommen, so Rainer Schönhammer, Professor an der Kunsthochschule Halle in seinem Vortrag.

Leon Battista Alberti: Die Stadt im Raster

Heterarchie versus Hierarchie: Kommunikation in Netzwerkgesellschaften

Doch wie sind Architektur und virtueller Raum aufeinander bezogen? Stehen sie in Konkurrenz zueinander, und wird der Architektur ihre soziale Funktion streitig gemacht? Oder ergänzen sie sich gegenseitig, indem Architektur das zur Verfügung stellt, was die digitalen Medien nicht bieten können: unmittelbare Präsenz und Raum für direkte Begegnung? „Beobachten wir nicht gerade eine Wiederentdeckung städtischer Orte als Katalysatoren für soziale Ereignisse? Plätze wie der Taksim Platz in Istanbul, der Tahriri Platz in Kairo oder Stuttgart 21 stehen synonym für die Verknüpfung und gegenseitige Intensivierung architektonischer und medialer Sozialisierungsformen“, heißt es bereits in der Ankündigung der Konferenz.

Um dem Wesen der Netzwerkgesellschaft näher zu kommen, beschreibt sie Roland Posner, Professor an der TU Berlin und Herausgeber der Zeitschrift für Semiotik, mit der Möglichkeit jedes Teilnehmers, mit jedem anderen Teilnehmer in direkte Verbindung zu treten. Im Gegensatz zu hierarchischen Gesellschaftsformen wird dies als Heterarchie bezeichnet, da es hier keine Über- oder Unterordnungsverhältnisse gibt. Kennzeichnend für heterarchische Organisationsformen sind Bottom-Up- im Gegensatz zu Top-Down-Entscheidungen.

Referent Dr. Tatsuma Padoan sprach zu Kommunikationsdesign in der Tokioter U-Bahn, Foto: Anastasia Shunkina

Abschied vom autonomen Genie: Entstehungsprozesse der Architektur in Netzwerkgesellschaften

Hier knüpft der Kommunikationsdesigner Antonino Benincasa (Freie Universität Bozen) mit seinem Vortrag über Community Sourcing und Crowdsourcing an. Nach seiner Auffassung wird die individuelle Autorenschaft mehr und mehr zurückgedrängt von diskursiven und durch Gruppen geprägten Entwurfsprozessen. Das Ideal vom autonomen Genie gehe auch in der Architektur zu Ende. Er stellt damit die Auswirkung der Netzwerkgesellschaft auf den Entstehungsprozess von Architektur in den Focus. Dass sich Architekten wie der Japaner und Pritzker-Preisträge Toyo Ito  schon seit längerem mit den Beziehungen von Privatheit und Öffentlichkeit sowie neuen Gesellschaftsorganisationen im digitalen Zeitalter beschäftigen und dazu architektonische Lösungen suchen, wäre in diesem Zusammenhang eine interessante Ergänzung gewesen.

Publikum der Konferenz: Sebastian Feldhusen, Prof. Dr. Dr. Eduard Heinrich Führ, Foto: Natalia Suchkova

Smartphone-Architektur: Architektonische Bildsprache im Zeitalter digitaler Medien

Zuletzt beschäftigte sich Tom Steinert vom Fachbereich Architekturtheorie der TU Berlin doch noch mit der Bildsprache der Architektur in Bezug auf soziale Medien. Wenn das Maschinenzeitalter den Architekten Bilder und Analogien in Fülle geboten hatte, ist dies im Zeitalter der Computer nicht der Fall: 3D-Modelling mit Nurbs und Splines hätte den Entwurfsprozess zwar nachhaltig revolutioniert, doch erinnerten die Ergebnisse oft, so Steinert, an „Fahrradhelme oder die neuesten Staubsaugermodelle“. Eine andere, eher mimetische  Reaktion auf die digitale Welt bezeichnet er mit dem Begriff „Smartphone Architektur“. Damit ist die Aneignung der äußeren Form von Computerhardware durch die Architektur gemeint.

Doch während Apples iPhone als schwarz glänzende Black Box in seiner minimalistischen Eleganz die perfekte Form für eine unendliche Vielzahl von Funktionen zu sein scheint, sind gebaute Beispiele im Geiste dieser Abteilung des Industriedesigns eher enttäuschend: So wirkt das MuCEM Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée in Marseille des Architekten Rudy Ricciotti mit seiner reflektierenden Glasfassade, den abgerundeten Gebäudeecken und der übergestülpten ornamentalen Brises Soleil wie ein Mobiltelefon mit cooler Schutzhülle. Jedoch lässt sie in ihrer abweisenden Eigenschaftslosigkeit den Betrachter in Zweifel, ob er vor einem Museum, einem Bürogebäude oder einer Shopping Mall steht. Und so bleibt der Ausblick auf eine neue Architektur im Zeitalter der sozialen Medien weiterhin verschwommen. (Jörg Boettger)

MuCEM in Marseille, Foto: Lisa Riciotti

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