03.06.2014 Jakob Schoof

In Bed with Schiller: Hotel auf Zeit in Mannheim

Ob Baumhäuser, ehemalige Gefängniszellen oder immer abgelegenere Flecken Natur – kaum ein Ort auf der Erde ist heute mehr sicher davor, durch den modernen Erlebnistourismus als Übernachtungsstätte in Beschlag genommen zu werden. Außer vielleicht – Mannheim. Die 290.000-Einwohner-Stadt an Rhein und Neckar hat zwar einiges zu bieten: Die Innenstadt gleicht einem Freilichtmuseum der Nachkriegsarchitektur, vom Rheinufer aus hat man freie Sicht auf das Ludwigshafener BASF-Werk, und am Neckar bieten die Wohnburgen aus den 70er-Jahren eine exzellente Fernsicht Richtung Pfälzer- und Odenwald. Aber Touristen? Die strömen zwar zuhauf in das benachbarte Heidelberg mit seiner Altstadt, doch in die alte Arbeiterstadt Mannheim verirren sich die wenigsten. Daran wird vermutlich auch das „Hotel shabbyshabby“ nichts ändern. Dennoch treibt dieses von Benjamin Foerster-Baldenius (raumlabor berlin) kuratierte Projekt den eingangs zitierten Trend zum Erlebnis-Übernachten auf die Spitze. Das „Hotel“, das nur während des zweieinhalbwöchigen Festivals „Theater der Welt“ geöffnet ist und danach seinen Betrieb wieder einstellt, besteht aus 22 über die ganze Stadt verteilten Zimmern – oder sagen wir: Rauminstallationen -, die gerade so eben das Nötigste zum Schlafen bereithalten: eine Matratze, Bettzeug, ein wasserdichtes Dach über dem Kopf und eine (in der Regel Chemie-)Toilette.

Mit seinem jüngsten Projekt „Hotel shabbyshabby“ bietet das Architektenkollektiv raumlabor berlin Einheimischen und Gästen noch bis zum 8. Juni ungewöhnliche Sichtweisen auf die Stadt Mannheim. Der Komfort entspricht dem eines Campingurlaubs, der Erlebniswert ist jedoch garantiert.

Camping in der Stadt: „Collini Resort“ am Mannheimer Neckarufer. Entwurf: Robin Lang, Wulf Kramer, Timo Amann. Fotos: Christian Kleiner

Rudimentärer Komfort, maximaler Einfallsreichtum
Man solle sich das Ganze eher vorstellen wie einen Hütten- oder Campingurlaub, schreibt die Pressechefin des Theaterfestivals in ihrer Mail zur Vorbereitung auf den Besuch vor Ort. Der eher rudimentäre Komfort der Zimmer entsprang nicht nur aus praktischen Überlegungen, sondern entpricht auch der Zielrichtung des gesamten Projekts: Es geht beim „Hotel shabbyshabby“ nicht darum, mehr Touristen nach Mannheim zu locken oder auswärtigen Theatergästen eine Übernachtungsmöglichkeit zu bieten. Nein, das „schäbige Hotel“ soll vor allem den Mannheimern selbst einen neuen Blick auf ihre Stadt ermöglichen: in das Innere der Großmarkthalle etwa, wo der Hotelgast abends in gähnender Leere zu Bett geht und morgens um vier vom Rangieren der Gemüselaster geweckt wird. Auf dem Gelände des Benjamin Franklin Village, früher eine der größten Siedlungen der US Army in Deutschland und heute eine 88 Hektar große, umzäunte Geisterstadt am nordöstlichen Stadtrand. Am Zusammenfluss von Rhein und Neckar, wo die Panoramascheibe eines im  Mies'schen Duktus gestalteten Glaspavillons freie Sicht auf die Schlote der BASF bietet. Hoch über einem Wasserbecken im Mannheimer Herzogriedenpark, aus dem sich pünktlich morgens um acht eine Wasserfontäne erhebt und von unten an das Hotelzimmer „klopft“. Oder auf einem Parkhaus inmitten der Innenstadt, wo der Blick über die Dächer gen Sonnenuntergang im Westen schweift.

Gratisbeleuchtung inbegriffen: Das „3-Lichter-Hotel“ an der Neckarpromenade ist um eine Straßenlaterne herumgebaut. Entwurf und Rendering: Des singes en hiver

Schillers Arm als Handtuchhalter
Mit einem prominenten Zimmergenossen teilen sich die Gäste des „Monumotel“ am Schillerplatz in der Innenstadt ihre Bleibe: Dem Namenspatron des Platzes ist dort eine überlebensgroße Bronzestatue gewidmet. Drum herum hat ein Berliner Designerteam eine Gerüststruktur errichtet, so dass Schiller nun mitten im Zimmer steht die Hand in Denkerpose von sich gestreckt – ob man diese nun als Handtuchhalter nutzt oder die ganze Nacht mit dem Weimarer Klassiker Händchen hält, bleibt den Gästen überlassen. Der Preis fürs literarische Erlebnis beträgt (wie bei allen Zimmern) 25 Euro pro Nacht; das Frühstück ist inbegriffen und wird am nächsten Morgen zentral in der Kantine des Festivals am Mannheimer Nationaltheater gereicht. Benjamin Foerster-Baldenius vergleicht das Hotelprojekt mit einem „Brennglas“, das er und die 22 Entwerferteams über ausgewählte Orte in Mannheim hält, um sie der Öffentlichkeit neu vor Augen zu führen. Wobei „Öffentlichkeit“ ein relativer Begriff ist. Während es bei den bisherigen Arbeiten von raumlabor berlin meist um Werte wie Partizipation, Performativität und ungenutzte Potenziale in der Stadt ging, kommt hier ein weiteres „P“ hinzu: Privatheit. Anders als bei den meisten Interventionen des raumlabors, die meist kollektive Nutzungen enthielten, haben die Hotelgäste ihren Übernachtungsort und die damit verbundenen Perspektiven auf die Stadt ganz für sich. Der „Rest“ der Welt ist manchmal nur eine Kunststoffhüllenstärke weit entfernt, manchmal auch mehrere Hundert Meter – so wie beim Hotelzimmer „Goldener Flaschenzug“, das als eine Art Hängematte aus gebrauchten Fahrradschläuchen in einem Baum im Luisenpark aufgehängt ist. Der Park wird nachts verschlossen, dann hat der Gast das komplette Areal nur für sich.

Prominenter Zimmergast: Schiller aus Bronze im „Monumotel“ am Schillerplatz. Entwurf: Daniel Segerberg, Verena Resch, Georg Schwarz, David Edward Allen, Munan Ovrelid, Christopher Brandt, Max Frey. Foto: Christian Kleiner

Hergestellt aus alten Theaterkulissen: „Stadtloge“ auf dem Dach des Werkstattgebäudes am Nationaltheater. Entwurf: kopfgemacht/Stephanie Nick, Franka Ismer, Johannes Dieckmann, Alexander Radomski, Daniel Gronau, Sebastian Witzke. Foto: Christian Kleiner

Selbst baut der Entwerfer
Trotz aller Privatheit: Partizipation wurde und wird auch beim „hotel shabbyshabby“ groß geschrieben. Die Entwürfe für die Hotelzimmer stammen von (zumeist jungen) Architekten und Designern aus ganz Europa und wurden Anfang 2014 im Rahmen eines internationalen, von raumlabor berlin ausgeschriebenen Wettbewerbs ausgewählt. Ihnen wurde einiges abverlangt: Die Organisatoren des Theaterfestivals stellten lediglich ein Budget von 250 Euro für Baumaterialien, den Standort selbst sowie Kost und Logis für die einwöchige Aufbauphase vor dem Eröffnungstermin zur Verfügung. Die Materialbeschaffung und der Aufbau der „Zimmer“ blieben den Entwerfern überlassen. Willkommen im Selbstausbeuter-Paradies? Mag sein, aber damit  befinden sich die Teilnehmer im deutschen Kulturbetrieb in guter Gesellschaft. Entschädigt wurden sie durch die rege Anteilnahme der Mannheimer Bevölkerung – und bisweilen auch durch deren Kooperationswillen beim Bau der Zimmer.

Ein Beispiel ist die Installation „Under my umbrella“ auf dem Vordeck eines Museumsschiffs im Neckar. Seine Entwerfer und Baumeister haben einen einducksvollen Kuppelbau errichtet – aus Hunderten von Regenschirmen, die die Leute in den Kneipen und Läden Mannheims haben stehen lassen. Beim Eröffnungsrundgang bedankt sich der Sprecher des Teams für die große Hilfsbereitschaft der Mannheimer Ladenbesitzer – vor allem die der kleineren Geschäfte. Bei den großen Kettenrestaurants und Einzelhandelsfilialen, sagt er, sei man deutlich weniger spendabel gewesen.

Kuppel aus Fundsachen: „Under my umbrella“ auf dem Vordeck eines Museumsschiffs im Neckar. Entwurf: Janine Ganserich, Heinrich Altenmüller, Mathias Komessker, Jan Grüneberg, Alex Terres, Arni Tolnai. Foto: Christian Kleiner

Recycling-Ideen en masse
Die ideenreiche Nutzung von Fundsachen und Abfallstoffen war bereits im Wettbewerb gefordert und angesichts des geringen Baubudgets wohl auch alternativlos. Viele Entwurfsteams zeigten sich in diesem Punkt besonders findig. Auf dem Mannheimer Marktplatz etwa steht ein Hotelzimmer, das man erst auf den dritten Blick als solches erkennt: Für seinen „Schlafdom“ zerschnitt ein weiteres Berliner Kreativteam sieben ausrangierte Altglascontainer und setzte sie zu einem iglu-artigen Konstrukt neu zusammen. Der Innenraum ist mit Goldfolie ausgeschlagen, zum Glück geruchsneutral und wird durch die ehemaligen Einwurföffnungen belichtet, die jetzt mit Plexiglasdeckeln verschlossen sind. Ein paar Straßen weiter erhebt sich die Installation „Feuer und Flamme“ auf dem obersten Deck eines Innenstadt-Parkhauses. Für ihr „Zimmer für besonders romantische Stunden“ verwendete eine Designergruppe aus dem sächsischen Schneeberg zerschnittene Feuerwehrschläuche als Außenverkleidung. Dabei handelt es sich um einen Materialimport aus Sachsen – die Mannheimer Feuerwehr verwendet keine roten Schläuche, die die Entwerfer bei der Recherche feststellen mussten. Nach dem Abbruch des Hotels wird das Material dann zu Taschen weiterverarbeitet. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen: Man findet im „Hotel shabbbyshabby“ Zimmer aus recycelten Dränagerohren, Lichtkuppeln aus Abbruchhäusern, PET-Flaschen und ehemaligen Bühnenbildern des Mannheimer Nationaltheaters. Wie es sich darin übernachten lässt, werden die Mannheimer und ihre Gäste in den kommenden zwei Wochen testen. Interessenten können sich auf der Website des Festivals „Theater der Welt“ noch für eine Übernachtung anmelden. Sie sollten sich jedoch sputen – nach Angaben der Hotelleitung erfreut sich das Projekt bereits großer Resonanz bei den Mannheimern.

Edles Ambiente im Altglascontainer: „Schlafdom“ auf dem Mannheimer Marktplatz. Entwurf: Wiebke Lemme, Nataliya Sukhova, Viktor Hoffmann, Andreas Heim, Vivian Schröder. Foto: Christian Kleiner

Installationsprojekt „Hotel shabbyshabby“
Im Rahmen des Festivals „Theater der Welt“, Mannheim
Termin: 23. Mai bis 8. Juni 2014
Ort: 22 Standorte im ganzen Mannheimer Stadtgebiet
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