06.12.2013 Florian Maier

Multifunktional: Grand Stade de Lille Métropole

Lille ist Spielstätte bei der Fußball-Europameisterschaft 2016 und Heimat des Spitzenclubs OSC. Im Zuge des Masterplans zur Stadtentwicklung wurde ein neues, multifunktionales Stadion als Zentrum eines neuen Stadtteils geplant. Um für verschiedenste Veranstaltungen gerüstet zu sein, ließen sich die Architekten eine bis dahin ungesehene Lösung einfallen. Das Projekt erhielt einen European Steel Design Award 2013.

Architekten: Valode & Pistre  + Atelier Ferret
Standort: 261 Boulevard de Tournai, 59650 Villeneuve-d'Ascq, Frankreich

Foto: Julien Lanoo

Das Architekten-Team gewann 2008 die Ausschreibung der Private Public Partnership (PPP), die an den Entwurf folgende Ansprüche stellte: Das Stadion soll den neuen Stadtteil von Lille repräsentieren, neben dem Sport auch für andere Veranstaltungen bestens geeignet sein, trotz der 50.000 Sitze kompakt wirken und eine gemütliche Atmosphäre ermöglichen, sowie durch ein innovatives Erscheinungsbild den urbanen Charakter der Stadt widerspiegeln.
Positionierung
Die dreieckige Baufläche liegt ca. 10 km außerhalb des Stadtzentrums von Lille, am Schnittpunkt der Kommunalverwaltungen von Villeneuve d'Ascq and Lezennes, eingefasst vom Boulevard de Tournai in Norden und vom Boulevard du Breucq im Osten. Als Herzstück des neuen Stadtteils sollte das Stadion auch später beeindrucken, wenn die übrigen Gebäude dazugekommen sind, zum Beispiel ein auf dem selben Grundstück vorgesehener Gebäudekomplex.

Die ansonsten abgerundete Fassade des Stadions ist entlang des Boulevard de Tournai begradigt. Hier befindet sich der Haupteingang, von dem aus die Besucher einen Überblick über die Zuschauertribünen und die Einrichtungen innerhalb des Stadions haben. Nachts verwandelt sich dieser Fassadenteil in einen erleuchteten Schaukasten.

Lageplan

Urbaner Kontext
Ein Stadion erhält allein durch seine Größe monumentalen Charakter. Um seine Dimension an die voraussichtliche Umgebung anzupassen, versenkten die Architekten den ganzen Bau um ein Stockwerk in den Boden. Das reduzierte die Höhe auf 38 m und die tiefliegende Arena ist somit auch von außen durch die Fassade wahrzunehmen. Im Untergeschoss auf Höhe des Spielfeldes sind die nicht öffentlich zugänglichen Räume untergebracht: Umkleidekabinen, Lagerräume, Versorgungstunnel, Technik und Sicherheitseinrichtungen, Medienräume usw.

Schnitt AA

Schnitt BB

Die “Entertainment Box”
Die Architekten kamen auf die Idee, eine mobile Zuschauertribüne mit 7.000 Sitzplätzen unter der nördlichen Hälfte des Spielfeldes zu verstecken, die bei Bedarf „hervorgezaubert“ wird. Die nördliche Hälfte des Spielfeldes wird dazu um 6 m angehoben und über ein Schienensystem über die südliche Hälfte geschoben. Die freigelegte Tribüne besteht aus Plattformen, die teleskopisch ganz oder teilweise ausgefahren werden und sich exakt als „Verlängerung“ an die untersten Ränge fügen.

Der nicht genutzte südliche Teil der Arena wird dann durch einen schwarzen Vorhang abgetrennt, ähnlich wie im Theater, hochgezogen über Drahtseile. Somit entsteht eine eigene, kleinere Arena mit 30.000 Sitzplätzen. Hieraus ergibt sich auch ein logistischer Vorteil: Alle mobilen Elemente verbleiben innerhalb des Stadions.

Axonometrie

Foto: Max Lerouge

Die verkleinerte Arena entspricht in etwa der Größe eines Handball-Feldes, dem größten Spielfeld aller Hallensportarten. Die Fläche kann somit auch für Tennis, Basketball, Volleyball, Schwimmen, Eiskunstlauf, Gymnastik oder Fechten – und entsprechende Turniere – verwendet werden. Bei Konzerten wird die Tribüne mit dem Vorhang im Rücken nicht ausgefahren. Hier wird dann eine 40 x 20 m große Bühne installiert.

Eine derartige Technik wurde noch in keinem Stadion der Welt eingesetzt und ist die wichtigste architektonische Innovation des Projektes. Die Vielfalt der möglichen Nutzungen ist größer denn je und die Nähe zwischen Zuschauer und Akteur stets optimal abgestimmt.

Äußere Fassadenstruktur
Neben dem Rummel großer Sportveranstaltungen wird das Grand Stade de Lille auch Kulturveranstaltungen erleben. Die Fassade sollte nach dem Willen der Architekten in der Erscheinung verständlich und erinnerungswürdig sein, Ausdruck des Zusammenkommens der Zuschauer zu einem Event. Die transparente Gebäudehülle interagiert sowohl mit Tages- als auch mit Kunstlicht.

Das kurvenförmige Profil erforderte komplexe technische und geometrische Berechnungen. Durch die Transparenz wirkt die Gebäudehülle wie ein Filter, das der menschliche Blick mehr oder weniger durchdringen kann. Die Hülle besteht aus 32 km stranggezogener Röhren aus Polykarbonat. Der Durchmesser beträgt 21 cm und sie sind mit pulverbeschichteten Aluminium-Teilen montiert. Der Abstand zwischen den Röhren nimmt leicht aber stetig zu, je höher die Fassade wird.

Foto: Max Lerouge

Die Fassade wirkt von jedem Standpunkt aus anders und ihr Farbton ändert sich mit dem Tageslicht und den Jahreszeiten. Die Transluzenz und Spiegelungen der Polykarbonat-Röhren sorgen für einen harmonischen Übergang zwischen Stadion, Himmel und Umgebung und verwandelen das Gebäude in einen überdimensionalen Kieselstein. Nachts präsentiert sich das Stadion durch die Beugung des Lichts innerhalb der Polykarbonat-Röhren wie eine große magische Laterne.

Die Gebäudehülle wird von hohen, dünnen Stahlbögen in verschiedenen Grautönen getragen, die gleichzeitig die Besucherströme lenken. Einzige Ausnahme in der farblich dezenten Fassadengestaltung sind die übergroßen  Buchstaben, die als Signatur über dem Haupteingang platziert sind. Abgesehen davon setzt nur das Grün des Spielfeldes einen Akzent.

Foto: Max Lerouge

Foto: Max Lerouge

Öffentliche Wirkung
Die Planung eines Stadions ist mit einigen Grundsätze verbunden: Die Zuschauer wollen beste Sicht, möglichst nah dran sein, eine großartige Atmosphäre erleben, gut erreichbare Gastronomie und Sanitäranlagen und alles unter dem Aspekt vollkommener Sicherheit. Die Kompaktheit des Grand Stade de Lille ist eine Folge ständiger Neuberechnung von Abständen und Blickwinkeln. Der Abstand vom Zuschauer zum entferntesten Punkt des Spielfeldes sollte an keiner Stelle mehr als 140 m betragen. Die offiziellen Regularien lassen 190 m Abstand zu.

Das Oval der Arena verfügt über eine untere Zuschauertribüne, die über die Eingangsebene erreichbar ist. Darüber liegen VIP- und Business-Balkone mit Lounges und Boxen, und auf der dritten Ebene liegt die obere Zuschauertribüne.

Foto: Julien Lanoo

Grundriss Level 0

Grundriss Level 1

Grundriss Level 2

Grundriss Level 3

Bewegliches Dach
Das bewegliche Dach zählt zu den wichtigsten Bestandteilen des Entwurfs. In geschlossenem Zustand vervollständigt es die Silhouette des Stadions. Beim Öffnen teilt sich das Dach in zwei Hälften, die sich ihrerseits noch einmal übereinander legen. Die vier Teile gleiten dabei über zwei spindelförmige Balken, die über den Längsseiten der Arena hängen. Die beiden Stahlträger sollen auch eine Reminiszenz an die Geschichte der Stahlindustrie der Region darstellen. Das Dach wurde zudem unter akustischen Gesichtspunkten gestaltet. Trotz der Größe des Gebäudes ermöglicht eine Nachhallzeit von zwei bis drei Sekunden im Mittelwert hochqualitatives Entertainment.

Bewegliches Dach

Projektdaten

Fläche: 74.000 m²
Zuschauer: 7.500 – 50.000 je nach Veranstaltung
Baukosten: 324 Millionen Euro Im Juli 2013 wurde das Grand Stade de Lille mit einem European Steel Design Award ausgezeichnet.
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