16.12.2009

Produkte für die Kreislaufwirtschaft: Erste Erfahrungen aus der Praxis

Ein Leben ohne Abfall ist möglich, so lautet die Kernthese der Verfechter geschlossener Stoffkreisläufe. Zumindest ohne Abfall, wie wir ihn kennen. Zahlreiche Unternehmen haben bereits erste Produkte und Herstellungsprozesse auf dieser Basis entwickelt.
Ein T-Shirt, das sich im Komposthaufen komplett zersetzt. Schuhe, deren abgelaufene Sohlen der Hersteller zurücknimmt, um sie zu rezyklieren. Ein Bürostuhl, der sich in seine Einzelteile zerlegen und wieder verwerten lässt: Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie intensiv einzelne Industrieunternehmen derzeit an geschlossenen Materialkreisläufen in der Herstellung und Nutzung ihrer Produkte arbeiten.
Zu den ersten Industriezweigen, die sich den Recyclinggedanken konsequent zu eigen machten, gehörten die Automobil- und die Textilindustrie. 2003 stellte Ford bei der Auto Show in Washington die Studie „Model U“ vor, ein Automobil für das 21. Jahrhundert – mit Wasserstoff-Hybridantrieb und einer Konstruktion, deren Materialien weitestgehend wieder verwendet werden können. Die Sitzbezüge aus Polyester waren 100% recyclingfähig, Innendecke und Innenfußboden bestanden aus Polylactid, einem biologisch abbaubaren Polymer. Für den Schaumstoff der Sitze wurde Polurethanschaum verwendet, der aus Sojabohnen gewonnen wird. Einzelne Bauteile wie etwa die Armlehnen waren bei allen Sitzen baugleich, so dass das Auto insgesamt aus weniger Komponenten besteht. Dies sollte die Produktion effizienter machen und die Lagerhaltung sowie den späteren Austausch der Bauteile vereinfachen.

2008 ging Fiat mit der Studie „Phylla“ noch einen Schritt weiter: Bei dem 750 Kilogramm schweren Elektroauto besteht die gesamte Karosserie über dem Aluminiumrahmen aus kompostierbarem Bio-Kunststoff. Überdies sollen beim Phylla eingebaute PV-Zellen einen Teil der Antriebsenergie decken. Ihr Ertrag soll für rund 12 bis 18 Kilometer pro Tag ausreichen.

Im Bereich der Textilindustrie hat Trigema mit dem T-Shirt „Wellness“ die erste zu 100% kompostierbare Produktreihe auf den Markt gebracht. Deutlich komplexer ist die Aufgabe, die sich das Salzburger Start-Up-Unternehmen Wexla GmbH gestellt hat. Es entwickelt derzeit einen Schuh, der die Grundsätze der „mass customization“ und der Wiederverwertbarkeit miteinander verknüpfen soll. Der Kunde stellt sich aus drei Bestandteilen - Sohle, Fußbett und Oberteil – seinen individuellen Schuh zusammen. Die Herausforderung besteht nun darin, für jedes der drei Teile Materialkombinationen zu finden, die entweder biologisch abbaubar oder 100% rezyklierbar sind.
Auch unter den Bodenbelagsherstellern hat der Gedanke der Wiederverwendung Anhänger gefunden. Das verwundert nicht: Die Branche war in der Vergangenheit vor allem durch ihre PVC-Beläge in Verruf geraten, die bis heute eine mangelhafte Wiederverwertungsbilanz besitzen. Und gerade Bodenbeläge gehören zu den kurzlebigsten Bestandteilen von Gebäuden. InterfaceFLOR bietet seinen Kunden daher mit dem Programm „ReEntry“ einen Rücknahme-Service für gebrauchte Teppichböden und Teppichfliesen an. Gegen eine geringe Gebühr nimmt das Unternehmen Altprodukte zurück, die dann entweder zu einem ermäßigten Preis weiterverkauft oder sozialen Einrichtungen gespendet werden. Lässt der Zustand des Bodenbelags dies nicht mehr zu, wird er wiederverwertet, downgecycelt oder thermisch verwertet.

ReEntry ist Bestandteil des Programms „Mission Zero“, mit dem sich InterfaceFLOR bis 2020 zu einem nachhaltigen Unternehmen entwickeln will, „das nicht eine einzige Spur hinterlässt“, wie es der Vorstandsvorsitzende Dan Hendrix ausdrückt. Bestandteile des Plans sind die Abfallvermeidung, möglichst umweltneutrale Emissionen, die Nutzung erneuerbarer Energien in den Fabriken und Niederlassungen des Unternehmens, die Etablierung von Kreislaufprozessen in der Produktion, effizienter Ressourcentransport und die Sensibilisierung der eigenen Mitarbeiter. Mit dem Programm „Cool Carpet“ bietet Interface seinen Kunden außerdem die Möglichkeit an, die während der Herstellung von Teppichfliesen entstandenen Treibhausgasemissionen durch die Finanzierung von Kompensationsmaßnahmen (Aufforstung von Wäldern, Bau von Windturbinen, Wärmedämm-Maßnahmen an Bestandsgebäuden) auszugleichen.

Bereits jetzt kann InterfaceFLOR in Sachen „Mission Zero“ einige Erfolge vorweisen: Eine neue Ultraschall-Schneidemaschine spart gegenüber bisherigen Herstellungsverfahren rund 80 Prozent des in der Produktion anfallenden Verschnitts ein. Ferner werden in den europäischen Werken aus benutzten Fliesen und Verschnitt Materialien für die Rückenbeschichtung neuer Teppichfliesen gewonnen. Inzwischen bestehen bei InterfaceFLOR rund 74 Prozent der Rückenbeschichtungen aus Recyclingmaterialien.
Beim Büromöbelhersteller Herman Miller werden alle verwendeten Materialien auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit und Recyclingfähigkeit sowie alle Bauteile auf ihre komplette Zerlegbarkeit hin überprüft. Ein unternehmensinterner Farbcode stuft alle Materialien in vier Stufen von rot (schädlich) bis grün (unbedenklich) ein. Nur Materialien der beiden „besten“ Stufen werden verwendet. Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist der Stuhl „Mirra“, der laut Hersteller zu 96 % wieder verwertbar ist und zu 42 % aus Recyclingmaterialien besteht. In den Produktionsstätten von Herman Miller werden überdies 95 % aller Abfälle rezykliert.
Herman Millers Mitbewerber Steelcase entwickelte bereits 1995 gemeinsam mit Michael Braungart, William McDonough (den beiden Erfindern des „Cradle-to-Cradle“-Konzepts) und der Schweizer Weberei Rohner Textil „Climatex Lifecycle“, ein biologisch abbaubares Textil. 2002 folgte mit „Think“ der erste weitgehend recycelbare Bürostuhl. Er kann zu 98 % rezykliert werden und besteht aus bis zu 37 % recyceltem Material. Um das Konzept zu verdeutlichen, verwendete Steelcase seinerzeit in der Kommunikation ein Foto, das den Stuhl zerlegt in seine Einzelteile zeigte. „Think“ steht überdies in einem markanten Widerspruch zu der Aussage, dass in einem kompletten Kreislaufsystem verschwenderisch mit Material umgegangen werden könne: Er ist einer der leichtesten Stühle überhaupt auf dem Markt. Inzwischen vertreibt Steelcase mehr als komplett oder fast komplett rezyklierbare Produkte, darunter neben Möbeln und Geweben auch Trennwandsysteme.
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