13.12.2012 Florian Maier

Quartiersumbau in Haarlem nach Masterplan

Einleitende Workshops zum Planungsgebiet brachten Vertreter aus Nachbarschaft und Stadt mit Entwicklern und Architekten zusammen – Bolles+Wilson, Claus en Kaan, Jo Crepain und Kraaijvanger Urbis (die auch für das großformatige, unterirdische Parkhaus zuständig waren). Der komplexe funktionale Mix des Bolles+Wilson Gebäudes begann mit einem großen und sieben kleinen Kinos auf den oberen Etagen, einem unterirdischen Kasino und einem darunter gelegenen Parkdeck für Croupiers und Spieler.

Bereits in dieser Phase waren die beiden Funktionen durch eine Passage getrennt, die von der sichtbaren, repräsentativen Außenfassade in das vernetzte Blockinnere führte. Die Frage nach Maßstab und historischer Referenzierung des fensterlosen Bioscoop-Monoliths mündete an dieser Stelle in eine Kinoleinwand-ähnliche Fassade mit einer nahezu popartigen Grafik: ein riesiger Siebdruck des historischen Stadtplans Haarlems, auf die Rückseite der Kinoleinwände montiert. Der Gestaltungsbeirat Welstand war »not amused« – aus gutem Grunde, wie die Architekten meinen.

Daraufhin ging das Kino in den Untergrund und das Kasino kolonisierte die oberen Etagen. Beide erforderten auch nur wenige Fenster. Das lenkt zu sehr von der ernsten Aufgabe ab, Geld in Maschinen zu werfen. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch ein komplexes Stahlskelett eingearbeitet, welches die oberen Funktionen über die großformatigen Kinos »hängen« sollte.

Foto: Christian Richters

Transformative Prozesse, insbesondere jene, die sich mit delikat »feinkörnigen« historischen Städten wie Haarlem befassen, sind komplex und brauchen Zeit. Im Fall des Raaks-Projektes dauerte es mehr als zehn Jahre, um vom wohlüberlegten städtischen Masterplan (Donald Lambert – Kraaijvanger Urbis) über eine Reihe von Workshops und Programmüberarbeitungen zum finalen Ensemble zu gelangen, das im Oktober 2011 eröffnete. Gut ein Jahr später, im Dezember 2012 erhielten Bolles+Wilson nun den britischen »Brick Award« in der Kategorie »Worldwide Brick«, ausgelobt von der BDA Brick Development Association.

Von Beginn an erhielt Bolles+Wilson die Verantwortung für den äußersten Block dieses dichten und hoch urbanen Quartiersumbau, der sich beinahe nahtlos – und wie im Masterplan vorgeschrieben – mit dem angrenzenden klein-maßstäblichen Stadtgefüge verbindet zu einer Nachbarschaft. Der Randblock muss gleichzeitig abschirmen (Verkehr) und einladen (Fußgänger), er muss Signal sein und respektvoll seinen Platz in der Fassadensequenz einnehmen, welche die historische Grenze der mittelalterlichen Stadt markiert.

Lageplan: Bolles+Wilson

Irgendwann wurde das Kasino zum Rathaus. Das war die ersehnte Gelegenheit, um über fehlende Fenster nachzudenken und einen Fenstertyp zu entwickeln, der entweder von der Fassadenlinie zurückgesetzt, bündig mit dem Mauerwerk oder aus der Fassade hervortretend eingesetzt werden kann. Ein Rathaus ist zweifellos ein bedeutendes und repräsentatives Gebäude. Ihrer Pflicht nachkommend initiierten die neuen Nutzer eine weitere Reihe von Design-Workshops, geleitet von den verantwortlichen Zielen des Stadtrats Chris van Velzen: »Don’t forget the clock-tower« und »think Dudok« lauteten seine Anweisungen.

Foto: Christian Richters

Das Ergebnis war die Entwicklung einer artikulierten Backstein-Haut – einer Textur aus Schattenstreifen und flachen Feldern mit einer hellerfarbigen Mörtelfuge. Zur gleichen Zeit wurde das Volumen in einen Haarlem-angemessenen Maßstab modelliert mit Rücksprüngen an den Ecken und volumetrischen Verfeinerungen, die den Maßstab reduzieren. Das Büro Henk Döll hatte bereits ein neues Rathaus für Haarlem entworfen; sie kamen nun zum Workshop als Architekten für das Interieur der Stadtverwaltung hinzu.

Pläne: Bolles+Wilson

Pläne: Bolles+Wilson

In einer frühen Phase der Projektentwicklung war der Erhalt des Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert auf dem Kinogelände diskutiert worden. Erwartungsgemäß war dies inkompatibel mit den neuen Funktionen. Die Alternativstrategie für Bolles+Wilson bestand darin, verschiedene signifikante und fein gearbeitete Bauelemente zu erhalten und diese – vorsichtig restauriert – wieder in den neuen Block einzuarbeiten.

Foto: Christian Richters

Der Einsatz von Carlo Scarpas Verona Technik, bedeutsame Fragmente vor tragende Wände zu hängen, umgeht den »Pastiche« und präsentiert dem aufmerksamen Besucher eine historische Schichtung, einen Subtext, der verortete Momente animiert und artikuliert. Zwei Statuen, die vielleicht einmal einen Diskurs zu »Tugend« oder »Klugheit« angestoßen haben mögen, finden sich nun wieder, auf einem maßgeschneiderten Balkon und Podest sitzend, den Innenplatz überwachend oder als verankernder Engel in den Fluss von Verkehr und Parkhaus-Eingang gestoßen.

Foto: Christian Richters

Weitere Bögen, Skulpturen, gemeißelte Steinreliefs von Schiffen und Ankereisen sind behutsam angeordnet, um Straßenräume, Blendmauern oder den Durchgang zu beleben, der den Block teilt und die innere (Raaks Kwartier) mit der äußeren Welt verbindet – eine weitere sequentialisierte und choreographierte Raumentfaltung.

Foto: Christian Richters

Döll Architecten waren für die Innenraumgestaltung, Bürolayout und das »Finishing« verantwortlich. Für seine Nachhaltigkeit gemäß den niederländischen GPR-Qualifikationen erhielt das Gebäude 8 von 10 Punkten. Von der Zijlvest betritt der Besucher die neue Halle mit Schaltern, Beratungsräumen und Selbstbedienungsterminals. Die große Halle mit ihrem Mezzanin ist synoptisch, weit und hell. Die oberen Etagen bestehen aus flexiblen und offenen Arbeitsplätzen für drei Stadtbezirke – eine Kombination aus klassischen Büros, offenen Arbeitsbereichen, Besprechungsräumen und Begegnungsorten.

Foto: Christian Richters

Inspiration für die Atmosphäre des Gebäudes war das Gemälde »Pekelharing« aus dem 17. Jahrhundert der Haarlemer Malerin Judith Leyster. Ruhiger, geometrischer Hintergrund und sich abhebender, farbiger Vordergrund, Prinzipien kontrastierender Form, Material und Farbe sind ebenso im Innenraum des Raakspoorts zu finden – ruhige neutrale Arbeitsplätze, animierte Begegnungsorte.

Projekt: Raakspoort - Rathaus und Multiplex-Kino
Standort: Raaks Kwartier, Zijlvest 39, NL-2011 VB Haarlem
Bauherr: MAB Development Nederland B.V.
Architekten: Prof. Julia B. Bolles-Wilson, Peter L. Wilson
Kooperationspartner: Döll architecten, Rotterdam (Innenraum Rathaus)
Größe: 18.500 m²
Kosten: 18,3 Mio Euro
Realisierung: Juli 2008 - Oktober 2011

Foto: Christian Richters

Nachtrag Bolles+Wilson erhielten im Dezember 2012 den britischen »Brick Award« in der Kategorie »Worldwide Brick«, ausgelobt von der BDA Brick Development Association. Die 9-köpfige Jury unter Vorsitz von BDA-Chairman Bob Allies begründete die Auszeichnung zum einen mit der Einfügung des Gebäudes in seinen umgebenden Kontext, zum anderen mit dem Reichtum an Innovation in der Detaillierung des Mauerwerkes. 11. Dezember 2012
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