11.08.2014 Atli Magnus Seelow

Rekonstruiert: Die Stockholm Ausstellung 1930

Wieder erlebbar gemacht werden sollte eine Architektur, die die Moderne in den Nordischen Ländern einläutete und die seit über 80 Jahren niemand mehr gesehen hat. Masterstudenten der Technischen Universität Chalmers in Göteborg rekonstruierten im Frühjahrssemster 2014 im Rahmen des Kurses »Nordic Architecture« die Pavillons der Stockholmer Ausstellung von 1930 in Form von eindrucksvollen Modellen.

Architekten: Dr.-Ing. Atli Magnus Seelow, Studenten der Technischen Universität Chalmers, Göteborg
Standort: Göteborg, Schweden

Die Zeichnung verdeutlicht den festartigen Charakter der Stockholmer Ausstellung 1930. Vogelperspektive des Geländes, von Osten nach Westen zur Innenstadt blickend, Zeichnung: Max Söderholm, 1929

Die Moderne Architektur in den Nordischen Ländern ist nicht die Folge einer einheimischen Entwicklung, sondern das Resultat eines Kulturtransfers in den 1920er Jahren. Besondere Bedeutung kommt der »Stockholmer Ausstellung 1930. Kunstgewerbe, Bauen und Wohnen« (Stockholmsutställningen 1930 av konstindustri, konsthantverk och hemslöjd) zu, die den Durchbruch der Moderne markiert. Die Ausstellung wurde vom Schwedischen Kunstgewerbeverband (Svenska Slöjdföreningen) organisiert. Dessen Direktor, der Kunsthistoriker Gregor Paulsson (1889–1977), konzipierte die Ausstellung als umfassende Schau von Architektur, Außenanlagen, Verkehrsmitteln und Kunstgewerbeprodukten. Hinzu kamen noch ein Musikpavillon, Kioske und Restaurants, die der Ausstellung den Charakter eines Festivals, ja fast den eines Volksfestes verliehen. Die Stockholmer Ausstellung war ein phänomenaler Erfolg und zog vier Millionen Besucher an.
Die Ausstellungspavillons
Die Ausstellung besteht aus mehr als 50 Pavillons, die 1929–1930 entlang eines Corsos am Nordufer der Djurgårdsbrunnsvik, östlich der Stockholmer Innenstadt, errichtet werden. Man kann sie grob in die Haupt- sowie die Wohnungsbauausstellung einteilen. Den Schwerpunkt bildet der Festplatz mit dem Musikpavillon, einem weithin sichtbaren Werbeturm und dem Hauptrestaurant »Paradiset« (das Paradies). Die Hauptausstellung wird fast durchgehend von Gunnar Asplund (1885–1940) und seinen Mitarbeitern entworfen, das Grafikdesign stammt von Sigurd Lewerentz (1885–1975). Die Wohnungsbauausstellung hingegen ist das Ergebnis eines Wettbewerbs und wird von verschiedenen, progressiven wie auch konservativen Architekten geplant.

Rekonstruktion durch Modellbau
Über die Bauten der Ausstellung ist überraschend wenig bekannt: Es sind kaum Zeichnungen oder Pläne vorhanden; der Nachlass Gunnar Asplunds ist verstreut und lediglich zum Teil in Institutionen archiviert und zugänglich. Nur von wenigen Pavillons werden seinerzeit schematische Zeichnungen in der Zeitschrift Byggmästaren (der Baumeister) veröffentlicht. Um die Stockholmer Ausstellung wiederzuentdecken, gingen Masterstudenten der Technischen Universität Chalmers in Göteborg im Rahmen des Kurses „Nordic Architecture“ daran, die Pavillons in Form von Modellen rekonstruieren. Die schwierige Quellenlage machte ein Vorgehen nötig, das methodisch dem einer  Rekonstruktion ähnelt und mit Hilfe digitaler Werkzeuge bewerkstelligt wurde. Bildverarbeitungs- und CAD-Software wurde dazu verwendet, Bilder perspektivisch zu entzerren und digitale Modelle zu erzeugen. Die Rekonstruktion wurde nach der Methodik einer abstrakten Teilrekonstruktion durchgeführt; es wurde nur gebaut, was anhand von Quellen verifiziert oder deduziert werden kann, Unbekanntes wurde abstrakt belassen. Es wurden auch einige Grundannahmen getroffen: etwa die, dass Gunnar Asplund Details von wiederkehrenden Bauelementen wiederverwendete; oder dass Maße auf dem damals in Schweden üblichen Holzbauraster basieren. Die Rekonstruktion der Pavillons förderte eine Reihe von Entdeckungen zutage, wie sie nicht aus Bildern herauszulesen sind. Die Modelle zeigen eine filigrane, von Technik und Konstruktion geprägte Architektur, die im übrigen Werk Asplunds kaum anzutreffen ist und bei der Betrachtung seines Werkes bisher kaum berücksichtigt wurde. Am interessantesten ist das Hauptrestaurant, der wohl anspruchsvollste Bau der Ausstellung und – wie am Modell nachzuvollziehen – eine der spannendsten Raumschöpfungen Asplunds. Der Weg des Besuchers führt vom Erdgeschoss über Treppen in die drei Speisesäle im Obergeschoss mit ihren kaskadenartig angeordneten Balkonen – immer wieder die Bewegungsrichtung ändernd und den Blick auf den Festplatz und die Bucht lenkend.

Durch die Rekonstruktion der Pavillons der Stockkholmer Ausstellung in Form von Modellen konnte die Qualität einer Architektur, die die Moderne in den Nordischen Ländern einläutete und die seit über 80 Jahren niemand mehr gesehen hat, wieder erlebbar gemacht werden.

Eingangspavillon, Architekt: Gunnar Asplund, Technische Universität Chalmers

Eingangspavillon, Architekt: Gunnar Asplund mit Nils Einar Eriksson, Aufnahme 1930, Fotograf unbekannt

Park Café, Architekt: Gunnar Asplund, Technische Universität Chalmers

Park Café, Architekt: Gunnar Asplund, Aufnahme 1930, Foto: Källgrens ateljé

Hauptrestaurant Paradiset, Architekt: Gunnar Asplund, Technische Universität Chalmers

Hauptrestaurant Paradiset, Architekt Gunnar Asplund, Foto: F. R. Yerbury

Hauptrestaurant Paradiset, Architekt Gunnar Asplund, Foto: C. G. Rosenberg (1883–1957)

Werbemast mit Pressekabine, Architekt: Gunnar Asplund, Technische Universität Chalmers

Werbemast mit Pressekabine, Architekt: Gunnar Asplund, graphische Gestaltung: Sigurd Lewerentz, Foto: C. G. Rosenberg (1883–1957)

Reihenhaus Nr.45, Architekt: Uno Åhrén, Technische Universität Chalmers

Reihenhaus Nr. 45 auf der Wohnungsbauausstellung, Architekt Uno Åhrén, Aufnahme 1930, Foto: Uno Åhrén

Wohnhaus Nr.49, Architekt: Sven Markelius, Technische Universität Chalmers

Wohnhaus Nr. 49 auf der Wohnungsbauausstellung, Architekt Sven Markelius, Aufnahme 1930, Foto: Källgrens ateljé

Im Folgenden sind Modellfotos der Studenten der Technischen Universität Chalmers und deren Pendant von 1930 gegenüber gestellt. Fast scheint es als würde die Stockholmer Ausstellung für einen Moment wieder lebendig werden:

Lageplan der Stockholmer Ausstellung 1930 mit Markierung der rekonstruierten Pavillons, aus der Zeitschrift »Byggmästaren« (Der Baumeister), S.136-137

Projektbeteiligte:

Betreut wurde der Kurs »Nordic Architecture« von Dr.-Ing. Atli Magnus Seelow, Architekt und Architekturhistoriker. Nach seinem Studium an der TUM München und seiner Promotion 2009 an deren Architekturmuseum ist er heute Postdoc Research Fellow an der Chalmers University of Technology in Göteborg, Schweden. Atli Seelow lehrt und forscht zu verschiedenen Themen der Geschichte und Theorie der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts, insbesondere der Rolle der Technik in der Modernen Architektur sowie der Nordischen Architektur. Er arbeitet u.a. an einer kommentierten deutschen Übersetzung des Acceptera-Manifests von Gunnar Asplund, Wolter Gahn, Sven Markelius, Gregor Paulsson, Eskil Sundahl und Uno Åhrén, das anlässlich der Stockholmer Ausstellung erschienen ist.Das Projekt zur Rekonstruktion der Pavillons der Stockholmer Ausstellung ist – im Bemühen Forschung und Lehre zu verbinden – daraus hervorgegangen.

Projektbeteiligte:

Nordic Architecture Course
Michael Asgaard Andersen (Associate Professor)
Atli Magnus Seelow (Postdoc Researcher)

Chalmers Architecture Workshop
Tabita Nilsson (Lecturer)
Peter Lindblom (Lecturer)

Students of the Nordic Architecture Course, Chalmers Architecture:

Eingangspavillon
| Main Entrance Pavilion
Modell gebaut von: James Anderson, Marie Bemelmans, Camille Benoit, Annabelle Brading, Lloyd Broda, Grace Brooks, Eric Chiu, Sven Compagnon, Lanqin Wang

Hauptrestaurant Paradiset | Main Restaurant
Modell gebaut von: Antonin Gros, Anna Karoliina Heikkilä, Anton Johed, Mingshu Kong, Maja Kwiatek, Alice Lebreton, Taisja Lindner, Leopoldo Luchini, Shona Macvicar, Yuni Mao,

Park Café

Modell gebaut von: Robin Dauvergne, Quentin Desfarges, Pieter Dossche, Angelica Duran, Mariana Flores Eguiza, Patrik Fromell, Violeta García Moreno, Xiang Ge, Sara Girola

Werbemast mit Pressekabine | Advertising Mast
Modell gebaut von: Pauline Marquet, Florent Meilland, Valentina Mena, Hannes Okruch, Linn Anna Björk, Giulio Giori, Caroline Pirotais, Pierpaolo Rabia, Anja Reinhardt, Xavier Requena Muñoz

Reihenhaus Nr.45
| Row House 45
Modell gebaut von: Pala Minny Rikhardsdottir, Cristina Sánchez Bueno, Wenhao Shang, Marko Soskic, Azusa Tanaka

Wohnhaus Nr.49 | House 49
Modell gebaut von: Manon Bianconi, Alexis de la Taille, Mariya Hasamova, Mantas Nainys, Marine Villaret, Yifei Xu

Wohnhauses Nr.46 | House 46 »Yellow Villa«
Architekt Kurt von Schmalensee, Modell gebaut von: Marin Thaller, Anna Tomschik, Kristof van Damme, Louise Vanderlinden, Sophie Wiedemann

Modellfotos
Atli Magnus Seelow mit Linn Anna Björk und Pala Minny Rikhardsdottir, Chalmers Department of Architecture, Göteborg, Schweden, 2014

weitere Informationen:
www.chalmers.se

Ausstellungsplakat schwedisch, 1929-30, Sigurd Lewerentz

Ausstellungsplakat englisch, 1929-30, Sigurd Lewerentz

Wohnhauses Nr.46, Architekt: Kurt von Schmalensee, Technische Universität Chalmers

Wohnhauses Nr.46, Architekt: Kurt von Schmalensee, Fotograf unbekannt

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