29.04.2014 Bettina Sigmund

Schöner dämmen: Gestalterische Potenziale von WDVS

Angesichts der fortschreitenden globalen Erwärmung scheint der Einsatz von Wärmedämmverbundsystemen WDVS für die Einsparung von Gebäudeenergie und damit das Erreichen von Klimaschutzzielen unverzichtbar. Bei Architekten führt der Baustoff allerdings häufig zu zwiespältigen Meinungen. Auf der einen Seite lassen sich die gängigen Systeme zumeist einfach und kostengünstig verarbeiten, auf der anderen Seite führen die vorgesetzten Verkleidungen aus gestalterischer Sicht zu ungenügenden Lösungen. Veränderungen der Fassadenproportionen oder unästhetische Anschlusspunkte sind nur einige Schlagworte, die in der Diskussion um WDVS fallen. Dass ihr Einsatz nicht zwangsläufig zu einer gestalterischen Einengung führen muss, zeigt Faraneh Farnoudi anhand eines Forschungsprojekts des Münchner Architekturbüros Hild und K Architekten.

Büro- und Geschäftshaus Welfenstraße, München 2013, Hild und K: Die Form des Putzreliefs ergibt sich aus den Eigenschaften des verwendeten Wärmedämmverbundsystems, das damit eine eigene ästhetische Dimension erhält. / Bildmaterial alle: Hild und K, München

Im Rahmen der praktischen Forschungsarbeit "Modulationsmöglichkeiten der Gebäudeaußenhaut mittels wärmesensitiver Aufnahmeverfahren" erarbeitet das Team um die Projektleiterin Farnoudi neue Vorgehensweisen bei der Nutzung von Wärmedämmverbundsystemen zur energetischen Ertüchtigung von Bestandsbauten. Zuvor hatte sich das Architekturbüro Hild und K aufgrund der gegebenen politischen Rahmenbedingungen sowie von Vorgaben seitens der Bauherren bei seinen Projekten immer wieder mit dem Thema WDVS und den gestalterischen Potenzialen auseinandersetzen müssen. Ausgehend von reinen Putzbauten übertrugen sie deren Gestaltungsgrundsätze auf die Anwendung von WDVS.

In der Forschung verknüpft Faraneh Farnoudi die Erkenntnisse aus der praktischen Anwendung mit gestalterischen und energetischen Zielen, d.h. der energetische Nutzen des Materials wird mit seinem gestalterischen Auftrag zusammengeführt. „Dämmung nur dort, wo sie nötig ist“, beschreibt Faraneh Farnoudi den einfachen Grundsatz des Verfahrens. Dafür werden in einem ersten Schritt zur energetischen Ertüchtigung Thermographieaufnahmen des Gebäudes ausgewertet. Im Anschluss werden der Temperaturverlauf bzw. die Wasserdampfdiffusionsströme in Isothermielinien umgesetzt. In Computersimulationen entsteht auf dieser Grundlage eine dreidimensionale Modulation der Dämmschicht, die Farnoudi mit einem maßgeschneiderten Anzug für das jeweilige Gebäude vergleicht. Das neue Verfahren liefert eine jeweils auf den Wärmedurchgang abgestimmte Dämmstärke. Dabei entsteht nicht nur eine individuelle Fassadengestaltung, sondern das Material wird ressourcenschonend nur in exakt der Menge genutzt, die für die Dämmung notwendig ist.
Die nächste Herausforderung bestand darin, diese Modulation in eine für die Bauindustrie realisierbare und wirtschaftliche Form umzusetzen und gleichzeitig den ästhetischen Anspruch an die entstehende Fassade aufrecht zu halten. Das Team von Hild und K entwickelte dafür in Zusammenarbeit mit den WDVS-Herstellern zwei unterschiedliche Varianten. In einer Eins-zu-Eins-Umsetzung wurden die Isothermielinien wie Höhenlinien behandelt und jeder Linie eine bestimmte, notwenige Dämmstärke zugewiesen. Auf diese Weise entwickelt sich ein geschichtetes Fassadenbild, das in seiner Architektursprache an klassische Fassadenverzierungen erinnert. Die zweite Modifikation, die sogenannte Polygonvariante, zeigt hingegen ein expressives Gesicht. Hier wurden die Hochpunkte polygonartig miteinander verbunden, so dass eine skulpturale Hülle entsteht.

Die Anwendung in der Praxis steht momentan noch aus. Die präsentierten Prototypen zeigen jedoch, dass das Forscherteam von Hild und K Architekten auf dem richtigen Weg ist, um die Funktion des Wärmedämmverbundsystems innerhalb der Fassadengestaltung sichtbar zu machen. Das gestalterische und ressourcenschonende Potenzial, das in WDVS steckt, haben sie damit erfolgreich und schlüssig bewiesen. Bleibt nur noch die Frage, inwieweit das umstrittene Material bei Rückbau oder Abriss der Gebäude dem nachhaltigen Gestaltungsansatz folgen kann.

DETAIL Wärmedämmverbundsystem · WDVS 
Ein Diskussionsbeitrag von Hild und K: 
Link zum Online-Auszug 
Vortrag von Faraneh Farnoudi, Projektleiterin bei Hild und K Architekten, München, im Rahmen der fünfteiligen Veranstaltungsreihe „Die Zukunft des Bauens“, veranstaltet von DETAIL research und der Forschungsinitiative Zukunft Bau des BMUB und BBSR am13. März in Stuttgart zum Thema "Energieeffizientes Bauen“
Zur Person
Faraneh Farnoudi ist seit 2011 Projektleiterin bei Hild und K Architekten, München, und für die Betreuung des Forschungsprojekts „Modulationsmöglichkeiten der Gebäudeaußenhaut mittels wärmesensitiver Aufnahmeverfahren“ im Rahmen der Forschungsinitiative Zukunft Bau tätig. Nach dem Architekturstudium gründete die gebürtige Iranerin das Büro Faraneh Farnoudi Architektur, Frankfurt am Main, und schlug parallel eine wissenschaftliche Laufbahn als Mitarbeiterin und später Lehrbeauftragte am Lehr- und Forschungsgebiet Computergestützte Planung und Entwurfsmethoden in Architektur und Raumplanung an der TU Kaiserslautern ein. Im Jahr 2009 wechselte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in das Fachgebiet Entwerfen und Raumgestaltung der TU Darmstadt. Farnoudi ist seit 2004 an zahlreichen Forschungsprojekten und -programmen beteiligt.
Weitere Informationen zu Hild und K Architekten
Weitere Informationen zum von der Forschungsinitiative Zukunft Bau geförderten Forschungsprojekt

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