24.06.2014 Peter Popp

Unschärfe: Temporäre Rauminstallation in Nürnberg

Der Kontrast könnte größer nicht sein: Als unmittelbares Gegenüber zur elegant gebogenen Glasfassade des Neuen Museums, zieht ein räumlich uneindeutiges Objekt aus geschichteten, rostigen Baustahlmatten alle Aufmerksamkeit auf sich. Je nach Perspektive oszillierend zwischen geschlossen und transparent, scharfkantig und ausfransend, regt der begehbare Pavillon an zur Auseinandersetzung mit der eigenen Wahrnehmung. Architekt Matthias Loebermann entwickelte das Konzept zusammen mit Studierenden am Institut für Architektur und Städtebau der Hochschule Biberach. Die temporäre Installation mit dem Titel "Unschärfe" ist noch bis Sonntag, den 29. Juni 2014 zu sehen. Entwurf & Realisierung: Matthias Loebermann & Institut für Architektur und Städtebau der Hochschule Biberach
Standort:
Klarissenplatz, 90402 Nürnberg

Foto: R.D. Bischoff

Wie frei dahintreibend, auf den Platz geworfen ohne räumliche Bezugnahme und damit das Thema Unschärfe auch im Lageplan visualisierend, besetzt die begehbare Installation den Nürnberger Klarissenplatz an der südlichen Altstadtmauer. Diagonal zur Glasfassade des Neuen Museums von Volker Staab stellt sich der Pavillon den Passanten in den Weg und lädt ein zu einer räumlichen Erkundung.

Die raumbestimmende, sanft gebogene Glasfassade des Neuen Museums im Dialog mit der begehbaren Installation "Unschärfe". Foto: R.D. Bischoff

Lageplan, Grafik: Matthias Loebermann & IAS Hochschule Biberach

Modellstudien

Fotos: IAS Hochschule Biberach

Im Vergleich zu Malerei und Fotografie ist das Thema Unschärfe als Gestaltungsphänomen im Bereich Architektur eher weniger bekannt. Und gerade deshalb ein ergiebiger Forschungsgegenstand für Studenten der Architektur an der Hochschule Biberach. Das dortige Institut für Architektur und Städtebau (IAS) wurde 2004 gegründet als Forschungsplattform mit dem Schwerpunkt Experimentelles Bauen. Unter der Leitung von Matthias Loebermann liegt der Fokus der Institutsarbeit auf der Erforschung räumlich wahrnehmbarer Grenzphänomene. Im Rahmen von Masterseminaren soll der jeweilige planerische Ansatz bis zur praktischen Umsetzbarkeit, oder wie in diesem Fall bis hin zum realisierten Bauwerk im Maßstab 1:1 vorangetrieben werden.

Das Projekt Unschärfe kann insofern als paradigmatisches Beispiel für das Denken und Arbeiten des Instituts verstanden werden. Anhand eines konkreten, begeh- und erlebbaren Raumes, der in vielerlei unterschiedlichen Aspekten wahrnehmbar ist, wird das gestellte Thema auf seine dreidimensionale Wirkung hin untersucht. Dabei sollten bauliche Strukturen entstehen, »die in der Lage sind, durch ihre konstruktive Fügung und morphologische Gestalt perzeptive Zwei- oder Mehrdeutigkeiten hervorzurufen und dennoch einen Ort zu schaffen, der trotz eindeutiger Unklarheit als positiv gestimmt wahrgenommen werden kann.« »Mich fasziniert der Wald als geometrisch nicht definierter Ort.« (Matthias Loebermann)

Schnitte, Grafik: Matthias Loebermann & IAS Hochschule Biberach

Durch unterschiedliche geometrische Konfigurationen der Dicken der Bauteile wird eine Verdichtung und Überlagerung im Erscheinungsbild erreicht. Foto: R.D. Bischoff

Suggeriert der Pavillon aus der Entfernung noch eine gewisse kubische Eindeutigkeit, so verliert sich dieser Eindruck, je näher man ihm kommt. Raumkanten lösen sich in alle Richtungen auf, Wände und Dachgrenzen scheinen nicht mehr zu existieren. Stattdesssen gewinnt das Volumen eine flirrende Transparenz, die sich jedoch wie ein Vexierbild im Sekundentakt gleich wieder relativiert – eine Art Positiv-Negativ-Effekt der beständig zwischen geschlossen und offen changiert. Hinzu kommen punktuelle Verformungen, die erst auf den zweiten Blick Kontur gewinnen und die dem Gebilde etwas Rätselhaftes verleihen dessen Ursprung man ergründen möchte. Beim Betreten des Pavillons verlieren räumliche Kategorien wie Ecke, Kante, Wand und Decke dann endgültig ihre Legitimität. Sie scheinen hier schlicht nicht zu existieren und der Besucher ist damit beschäftigt sich neu zu fokussieren.  Erzeugt werden diese visuellen Irritationen im Erscheinungsbild durch die Verwendung von Baustahlmatten, die mittels unterschiedlich hoher Gitterträger gestapelt wurden. Durch unterschiedliche geometrische Konfigurationen der Dicken der Bauteile wird zusätzlich eine Verdichtung und Überlagerung im Erscheinungsbild erreicht.


»Die Idee war es, ein Material zu finden, das durch seine Geometrie und die Art, wie man es fügt, keine klar ablesbaren Raumkanten erzeugt.« (Matthias Loebermann)

Zentralperspektive in ihrer reinsten Form. Foto: R.D. Bischoff

An den beiden Querseiten kann man den Pavillon betreten. Foto: R.D. Bischoff

Je näher man dem Pavillon kommt, umso undeutlicher seine Begrenzung. Foto: R.D. Bischoff

Die punktuelle Verformung in der »Gebäudehülle« ist nicht Ergebnis einer äußeren Krafteinwirkung, sondern kalkulierte Irritation. Foto: Peter Popp

»Je ungewöhnlicher das Material, umso eher findet man Sponsoren.« (Matthias Loebermann)
»Die Rahmen als vertikale Elemente korrespondieren mit den liegenden Elementen der Baustahlmatten.« (Matthias Loebermann)
»Befragungen helfen uns Architekten weiter und zeigen uns, ob wir an den Menschen dran sind, ob sie umgekehrt das verstehen, was wir tun.« (Matthias Loebermann)



»Wenn man versucht Menschen an ihre Grenzen zu bringen, enstehen ganz neue Ideen, die zu anderen Raumerlebnissen führen. Man sollte sich mit jungen Menschen darüber unterhalten, wie die Welt von morgen aussehen kann.« (Matthias Loebermann)

Bei Nacht werden die innenräumlichen Unterschiede besonders deutlich. Foto: R.D. Bischoff

Grundriss Ebene 0, Grafik: Matthias Loebermann & IAS Hochschule Biberach

Grundriss Ebene 8, Grafik: Matthias Loebermann & IAS Hochschule Biberach

Grundriss Ebene 16, Grafik: Matthias Loebermann & IAS Hochschule Biberach

Grundriss Ebene 26, Grafik: Matthias Loebermann & IAS Hochschule Biberach

Unabhängig von der jeweiligen Körpergröße, gewährt die geringe Höhe der einzelnen Baustahlmatten jedem Besucher unabhängig vom Standort einen individuellen Blick nach draußen. Foto: R.D. Bischoff

Fotos: Peter Popp

Fotos: Peter Popp

Aufbau

Fotos: Architekturwerkstatt Matthias Loebermann

»Am Ende eines iterativen Prozesses ist ein Modell entstanden, das ziemlich genau der Wirklichkeit entspricht.« (Matthias Loebermann)
Der Raumkörper mit einer Größe von 18 x 6 Metern und einer Gesamthöhe von 6 Metern gliedert sich in drei Bereiche: in einen hohen, klaren rechtwinkligen Raum, in eine Übergangszone mit niedrigem Durchgang und einen Raum, in dem sich die Matten im Wand- und Deckenbereich aus der vertikalen Ebene befreien und so ein räumlich sehr komplexer Innenraum entsteht. Durch die Bewegung des Betrachters verändert sich die Wahrnehmung der Raumzonen, das Spiel mit Licht und Schatten verstärkt diese Effekte erheblich. Die aussteifenden, vertikalen Stahlrahmen bilden einen Kontrapunkt zu den horizontal lagernden Mattenstrukturen und geben den Räumen bei aller Unschärfe ihren Halt.

Beim Betreten des Pavillons verlieren räumliche Kategorien wie Ecke, Kante, Wand und Decke endgültig ihre Legitimität. Foto: R.D. Bischoff

Das Projekt Unschärfe ist eine Kooperation des Neuen Museums mit Prof. Matthias Loebermann & Institut für Architektur und Städtebau / Hochschule Biberach.

Entstanden mit großzügiger Unterstützung durch Max Bögl Bauservice GmbH und Co KG, Schwarz Bewehrungstechnik GmbH und Co KG, Kebinger Metallverarbeitung GmbH, Erco GmbH, Ed. Züblin AG, R. Köstner AG

Termine

Sonntag, 29. Juni 2014, ab 11.15 Uhr, über den Tag verteilt
Wechselspiele, Musik-Performance für Passanten und Flaneure,
Wilfried Krüger / Pegnitzschäfer – KlangKonzepte Weitere Informationen
www.nmn.de
Bei den Iconic Awards 2014 erhielt das Projekt "Unschärfe" eine Auszeichnung in der Kategorie "Architektur".
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