Nachruf
Für Kristin Feireiss-Commerell

Kristin Feireiss (1942-2025) mit ihrem Partner Hans-Jürgen Commerell, © Aedes Berlin
Für Kristin
Kristin Feireiss war immer da. Bei den Ausstellungseröffnungen in ihrer Architekturgalerie Aedes, bei den Talks im ANCB und all den anderen Buchvorstellungen, Events, Preisverleihungen und Debatten über Architektur und Stadt. Ich sehe sie vor mir, wie sie im Hof auf der Stufe sitzt oder auf einem Stuhl, lächelt und die ankommenden Leute begrüßt. Kristin, Hans-Jürgen Commerell und das gesamte Team von Aedes machen nicht nur spannende Ausstellungen und Veranstaltungen, sie sind auch stets vorbildliche Gastgeber. Jeder ist willkommen.
Unbeirrt von dem politischen Geschehen in Berlin, in Deutschland und der Welt, vermittelte Kristin dabei mit Hingabe und Herzlichkeit die Möglichkeiten von guter Architektur innerhalb der Fachkreise, dem Architekturnachwuchs und weit hinaus in die Gesellschaft. Denn: Architektur geht alle und jeden an. Wer einmal mittags zum Lunch oder nachmittags zum Kaffee im Hof von Aedes sitzt, kann staunen, wie viele verschiedene Menschen aus der Nachbarschaft, Interessierte Berlinerinnen und Berlin-Besuchende zu Aedes pilgern, um hier die Ausstellungen zu sehen. Aedes, das ist ein kleiner Raum mit großer Wirkung. Wir hoffen, dass er weiterhin im Sinne seiner Mitbegründerin bestehen und fortgeführt bleiben kann.
Neben ihrem Schaffen, das wir vermutlich niemals gänzlich fassen können, bleibt ein großes weltweites Netzwerk verschiedener Generationen, das sie aufgebaut und geprägt hat. Was auch bleibt, sind all die vielen Erinnerungen: Wie zum Beispiel bei einem Presserundgang einmal ein Glas Rotwein auf einem der schneeweißen Modelle von SANAA abgestellt wurde und Kristin es einfach lässig wegstellte, als wäre nichts passiert. Oder wie sie mit Sou Fujimoto bei einer Party im Garten vom ANCB in einem schaukelnden Nest saß und sich mit ihm austauschte: bis tief in die Nacht.


Kristin Feireiss, Wolf D. Prix, Zvi Hecker, Odile Decq, Thom Mayne und Peter Cook (v.l.n.r.) © Aedes Berlin
Mit Humor und Teamgeist
Als im Dezember 2024 der Fritz-Schumacher-Preis im Hamburger Rathaus an Kristin Feireiss verliehen wurde, weinte der halbe Saal – auf Ludwig von Beethovens Für Elise folgte Patti Smith mit Because the Night (warum, erfährt man übrigens auch in ihrer lesenswerten Biografie). Den halb getrockneten Tränen des Publikums begegnete Kristin mit einem spontanen Witz (sie hatte ja Humor), und bat alle aus dem Team und ihrem Umfeld auf die Bühne. Autorenschaft war ihr wichtig, ebenso wie das Gemeinsame, Gemeinschaftliche, das Beisammensein.
Bei meiner letzten Begegnung mit ihr im Februar 2025 folgten wir Steven Holl bei seiner Ausstellungseröffnung in der benachbarten Tchoban Foundation. Die Zeichnungen hatte Kristin kuratiert (wer sonst!?). Und das kann Aedes: Wenn die Welt im Chaos dieser Tag versinkt, einen amerikanischen Architekten und einen russischstämmigen Architekten auf einem Podium versammeln, die sich beide freundschaftlich über ihre Leidenschaft für Zeichnungen, Aquarelle und andere handgefertigte Darstellungen austauschen. Die Botschaft ihres Gesprächs an die Jugend – und alle anderen natürlich auch – lautete: Wir denken auch weiterhin in Zeiten von Tiktok und KI mit der Hand. Kristin lehnte an der Wand seitlich zur Bühne. Und lächelte.
Mit ihr verlässt jetzt eine großartige und unvergleichbare Persönlichkeit die Bühne der Architekturwelt. Danke für alles, liebe Kristin!
Text: Jeanette Kunsmann


Zaha Hadid, Patrik Schumacher und Kristin Feireiss, 1992, © Regina Schubert, mit freundlicher Genehmigung von Aedes Berlin
Kristin Feireiss – die Anti-Diva
Es passiert nur selten, dass man einen Menschen zum ersten Mal trifft und das Gefühl hat, ihn schon ewig zu kennen. Kristin Feireiss war so ein Mensch. Ich durfte einen ganzen Abend mit ihr verbringen. Ausgerechnet dort, wo ich nie mit ihr gerechnet hätte, wo sie keinerlei offizielle Funktion einnahm, wo sie einmal nicht im Rampenlicht stand und selbst nur Gast war.
Am Abend des 13. September 2012 wartete die gesamte Festgesellschaft im Restaurant auf die Gastgeberin, die dafür berühmt war, ihre Gäste und Journalisten bei Pressekonferenzen endlos hinzuhalten: Zaha Hadid. Am Nachmittag hatte die Pritzker-Preisträgerin gemeinsam mit Patrik Schumacher ihr neues Kulturzentrum Pierrevives in Montpellier in Anwesenheit hoher politischer Vertreter eingeweiht. „Zaha is Coming!“ Die gelöste Stimmung im Restaurant erstarrte schlagartig, als Hadid den Raum betrat. Wo wird sie Platz nehmen? Die absolutistische Authorität des launigen Weltstars war wie die Präsenz einer Königin vor ihrem Hofstaat physisch zu spüren. Dann erblickte die Diva ihre Freundin Kristin Feireiss, ließ die große Tafel auseinanderschieben und setzte sich in kleiner Runde zu Kristin. Der Zufall wollte es, dass auch ich in dieser Runde saß.
So konnte ich das Gespräch der beiden verfolgen, die so vertraut miteinander waren. Da ging es nicht um die großen Themen der Architektur. Zaha erzählte witzige bis skurrile Begebenheiten, die sie bei Ihren Projekten mit den superreichen Scheichs erlebte. Und sie bedankte sich mehrmals bei Kristin, die so viel zu ihrer Karriere beigetragen hatte. 20 Jahre zuvor hatte sie in ihrer Architekturgalerie Aedes das Vitra-Feuerwehrhaus, Zaha Hadids erstes gebautes Werk, ausgestellt. Damit hatte sie gezeigt, dass die Irakerin nicht nur schöne Bilder malen kann, sondern auch als Architektin den internationalen Diskurs bestimmt.


Aedes-Gründerinnen: Helga Retzer und Kristin Feireiss auf der ersten Aedes-Ausstellung im Jahr 1980. © Aedes Berlin
Die Galerie Aedes – Seismograf der Architektur
Für viele von uns ist Aedes bis heute der Seismograf der Architektur. Bei meinem ersten Berlin-Aufenthalt mit der Schule 1980 hat mich außer dem Todesstreifen der Berliner Mauer am meisten das kurz zuvor eingestürzte Dach der Berliner Kongresshalle schockiert. Kristin Feireiss hatte im gleichen Jahr in der Grolmannstraße in Charlottenburg die Aedes-Galerie gegründet. In einer ihrer ersten Ausstellungen präsentierte sie Vorschläge unterschiedlicher Architekten für den Wiederaufbau Berlins.
1989 waren wir Stuttgarter Studenten mit unserem Professor Johannes Uhl auf Berlin-Exkursion. Ein Besuch in den neuen Aedes-Räumen unter den U-Bahnbögen am Savignyplatz war eines der Highlights. Die Lage am Bahnhof Zoo mit seiner damals einzigen Bahnlinie und Nabelschnur nach Westdeutschland hätte zentraler nicht sein können. „Berlin – Denkmal oder Denkmodell?“ hieß die Ausstellung. Einen Mauerfall konnte sich im Sommer 1989 noch niemand vorstellen.
Als der eiserne Vorhang Geschichte war, hat auch Kristin Feireiss „rübergemacht“ – in Richtung Osten. 1995 eröffnete sie in den Hackeschen Höfen in Berlin-Mitte die Dependance Aedes East, mit viel Platz und hohen Ausstellungsräumen. Auch der Umzug der Galerie ins Trendviertel Prenzlauer Berg 2006 zeigt ihren Spürsinn, immer mit den jeweiligen „Hot Spots“ der Hauptstadt mitzuwandern und von dort ihr globales Architekturnetz zu spinnen.
Was war das Erfolgsrezept von Kristin Feireiss? Neben den vielen fachlichen Qualitäten war ihre unglaubliche Empathie für ihr Gegenüber bemerkenswert. Trotz ihrer attraktiven Erscheinung und großen Ausstrahlungskraft war sie das Gegenmodell einer Zaha Hadid. Fast eine Anti-Diva. Jemand der gut zuhören kann, eine Partnerin und beste Freundin. Das vermittelte sie sogar Menschen wie mir, die sie eigentlich gar nicht kannten. Text: Frank Kaltenbach