Geschäftsmodelle kreislaufgerecht gestalten

Marcel Gröpler, © Lindner Group

Marcel Gröpler leitet die Fachabteilung Green Building bei Lindner, einem führenden Hersteller und Dienstleister für Innenausbau und Gebäudehüllen. Im Interview erläutert er, wie sich das Unternehmen auf die Kreislaufwirtschaft vorbereitet und welche Rolle Mietmodelle und Rücknahmeverpflichtungen dabei spielen.

Das Gespräch ist Teil einer Interviewreihe, die in der Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis“ der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart erschienen ist. In den kommenden Wochen veröffentlichen wir weitere Interviews aus der Reihe.

Herr Gröpler, Lindner ist Gründungsmitglied der DGNB und haben das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit in der Unternehmensphilosophie verankert. Wie wirkt sich das aus?  
Bei der Betrachtung der ökologischen Hotspots haben wir erkannt, dass das Material entscheidend ist. 40 bis 50 % des ökologischen Fußabdrucks stecken in der Materialität. Deshalb haben wir uns gefragt, wie wir diese Zahl auf Null bringen können. Material brauchen wir einfach, um ein Produkt herzustellen. So entwickelte sich die Idee, dass wir keine Primärrohstoffe mehr verwenden, sondern sekundäre. Und das geht am besten, wenn wir sie im Kreislauf führen. Auf diese Weise entstand vor fünf Jahren die Idee der Wiederverwendung. So sind wir auch zu dem Cradle-to-Cradle-Prinzip gekommen, das wir uns dann zu eigen gemacht haben – auch wegen der sozialen Aspekte.  

Welche Produkte sind bei Lindner kreislauffähig? 
Die Kreislauffähigkeit haben wir bei weit über 90 % unseres Produktportfolios erreicht.  

Bedeutet das, dass alle Produkte nach Cradle to Cradle Certified Produktstandard geprüft sind? 
Nein. Das hat den ökonomischen Hintergrund, dass so ein Zertifikat auch Geld kostet. Wir haben erstmal in den drei Hauptbereichen Wand, Decke, Boden die Produktfamilien abgedeckt, die von gewisser Relevanz sind. Es gibt aber auch andere Geschäftsbereiche mit Produktgruppen. Unter den Systemtrennwänden gibt es zum Beispiel solche, bei denen die Glasscheibe verklebt ist. Diese sind nicht Teil des Zertifizierungssystems, weil sie wegen des Verbundmaterials vielleicht nur Bronze erlangen würden. Das heißt aber nicht, dass dieses Produkt nicht kreislauffähig ist. Kreislauffähigkeit definieren wir ja auch über Recyclingfähigkeit. 
 

Vor allem der Innenausbau mit seinen vergleichsweise kurzen Produktlebenszyklen ist für zirkuläre Geschäftsmodelle interessant. © Rainer Taepper Architekturfotografie/Lindner Group 

Angenommen, ein Architekturbüro saniert gerade ein Gebäude, hat Materialien übrig und wendet sich mit der Frage an Sie, ob Sie diese in den Kreislauf zurückführen können. Ist das für beide Seiten ökonomisch sinnvoll? 
Wir unterscheiden zwischen Gebäuden, die in der Vergangenheit gebaut wurden und solchen, die in der Zukunft gebaut werden. Warum? Von dem Gebäude, das in der Vergangenheit gebaut wurde, geht eine sehr große Ungewissheit aus. Selbst wenn wir ein Systemprodukt von uns verbaut haben, ist unklar, was in der Zwischenzeit damit passiert ist. Es gibt niemanden, der eine saubere Dokumentation hat. Wir können aber das Angebot machen, dass wir das Produkt zurücknehmen und prüfen, was es kosten würde, das Produkt wieder in den Kreislauf zu führen.  

Wie häufig wurde dieser Service schon in Anspruch genommen?  
Wir starten gerade mit diesem Angebot als offiziellem Service und konnten bereits Projekte in Deutschland und Österreich erfolgreich abwickeln. Es kam auch schon vor, dass wir im Rahmen von Umbaumaßnahmen oder Sanierungen pragmatische Lösungen gefunden haben, zum Beispiel wenn ein Bauherr eine Etage umgestalten will und anfragt, ob wir die gut erhaltene Wand nicht in einem anderen Stockwerk wieder einbauen können. Oder wenn wir selbst auf Baustellen sehen, dass eine gute Rückbausituation vorhanden ist. Wenn wir bei einem Rückbau etwas vorfinden, das noch in Ordnung ist, dann machen wir uns immer Gedanken darüber, wie wir damit wertschöpfend umgehen können.  

Verursacht ein gebrauchtes Produkt weniger, gleich viel oder mehr CO2?  
Klar ist, dass ein gebrauchtes Produkt, das weiterverwendet wird, weniger CO2 verursacht als ein Produkt, das neu hergestellt wird. Bei unseren Loop-Bodenplatten, also aufbereiteten, gebrauchten Gipsfaserplatten, beläuft sich dies auf über 70 % CO2-Einsparung im Vergleich zu einer neuen Platte. Auch in Bezug auf Gas- und Wasserverbrauch werden so erhebliche Einsparungen erzielt. Aber natürlich muss man auch äußere Faktoren berücksichtigen. Wir verkaufen ja auch Produkte nach Asien oder in die USA, womit lange Transportwege verbunden sind.

Lassen Sie uns mal in Deutschland bleiben. Ist eine Einsparung trotz des Transportaufwands möglich? 
Es ist möglich mit einem gebrauchten Produkt CO2 einzusparen, wenn wir uns innerhalb von Europa bewegen. Wenn wir das Produkt aber schon durch ganz Europa transportiert haben, dann dürfen wir nicht mehr allzu viel Energie aufbringen, um es aufzubereiten. Wir hatten tatsächlich mal ein Projekt geprüft, bei dem wir das Produkt aus Portugal zurückführen würden, hier in Deutschland aufbereiten und wieder einbauen. Das kann CO2-günstiger sein als wenn ich es neu herstelle. Das ist eine sehr ermutigende Erkenntnis. 

Für die Doppelbodenplatten Loop bietet Lindner ein Rücknahmemodell an, bei dem das Produkt aufbereitet und an anderer Stelle wieder eingebaut wird. © Lindner Group 

Hat ein gebrauchtes Produkt bei Ihnen dieselbe Gewährleistung wie ein neues?  
Ja. Sobald wir das Produkt in unserer Produktion haben, unterliegt es allen Prüfungen und Qualitätschecks und kommt mit einer 100 %-igen technischen Gleichwertigkeit und Gewährleistung aus der Produktion wieder heraus. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Loop-Bodenplatten. Diese verfügen über gleiche Qualität hinsichtlich Bauphysik, Gebrauchseigenschaften, Gewährleistung und Flexibilität in der Anwendung wie ein Neuprodukt.

Das Gleiche gilt, wenn ein Produkt ins Nachbargebäude eingebaut wird? 
Das ist ungeklärt. Die Frage ist ja auch, wem gehört das Produkt? Ist das unser eigenes?  

Neuerdings bieten Sie Produkte zur Miete an. Wie funktioniert das? 
Sie können mieten oder kaufen mit Rückgabe. Das sind zwei verschiedene Geschäftsmodelle, die wir derzeit in Deutschland, Österreich und in der Schweiz anbieten.  

Was kann man sich darunter vorstellen? 
Eine Variante ist der Kauf von Systemprodukten mit einer Rückgabevereinbarung, also einer zusätzlichen Vereinbarung zum regulären Kauf- oder besser gesagt Werkvertrag, bei der sich beide Vertragspartner zur Rückgabe beziehungsweise Rückkauf verpflichten. Die Rückgabe erfolgt nach zehn bis 30 Jahren und muss mindestens ein Jahr im Voraus angekündigt werden. Mit der Rückgabe entfallen das Entsorgungsrisiko und entsprechende Kosten, da Lindner den Rückbau übernimmt. 

Montage von Lindner Doppelbodenplatten im Projekt Roche, © Beat Ernst 

Wie funktioniert das Mietmodell? 
Bei dem Mietmodell bleibt Lindner der Eigentümer der Produkte und stellt sie dem Kunden, zum Beispiel einem Gebäudeeigentümer oder Vermieter von Büroflächen für eine Mietdauer von fünf bis zehn Jahren zur Verfügung. Der Mietvertrag gilt dabei für reversible Ausbauprodukte inklusive Montage, Demontage sowie einer jährlichen Inspektion. Umbauten können natürlich auch durchgeführt werden, bei denen dann die monatliche Miete nach Aufwand angepasst wird. Nach Ablauf des Grundmietvertrages kann auch ein Folgevertrag geschlossen werden, so können die Produkte auch länger gemietet werden. Das gibt dem Kunden zusätzliche Flexibilität. Wir sehen mit beiden Modellen die optimale Möglichkeit, Materialien tatsächlich in geschlossenen Kreisläufen zu führen und hier auch eine gewisse Planungsgrundlage für die Zukunft zu haben. Abgesehen davon ist es für die Kunden ein guter Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz sowie zur CO2-Einsparung.

Wie kann zirkuläres Bauen zum Standard in Ihrer Branche werden? 
Die Schwelle der Sensibilisierung haben wir schon überschritten. Ich glaube sogar, dass wir in sehr weiten Teilen die Schwelle des „ich möchte es“ überschritten haben. In unserem Falle haben wir auch die Schwelle überschritten „wir können“. Jetzt bedarf es eines rechtzeitigen Vernetzens von dem, der will, und dem, der kann. Da hilft uns das Digitale, aber auch andere, zirkuläre Vertragsmodelle. Wir müssen es jetzt einfach tun.

Marcel Gröpler leitet die Fachabteilung Green Building bei der Lindner Group. Das Familienunternehmen mit gut 7500 Mitarbeitenden ist Produzent und Dienstleister für Innenausbau, Gebäudehülle und Isoliertechnik. Seit vielen Jahren werden die Produkte von Lindner sowie deren Produktion mit dem Ziel der CO2-Neutralität und Abfallfreiheit ökobilanziert. Ein wichtiger Baustein hierfür ist die Kreislauffähigkeit der eigenen Produkte und Materialien, für die bereits diverse Cradle to Cradle Certified-Zertifizierungen erreicht wurden. 


Das komplette Interview wurde zuerst veröffentlicht in der Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis“ 
Verfasser/-innen: 
Markus Weismann, asp Architekten 
Marcus Herget, Marcus Herget Beratungsunternehmen 
Nadine Funck, asp Architekten 
Raphael Dietz, asp Architekten 


Auftraggeberin: Wirtschaftsförderung Region Stuttgart 
Die Publikation untersucht, inwieweit zirkuläres Bauen bereits am Markt angekommen ist, welche Potenziale sich dadurch ergeben und wie diese besser ausgeschöpft werden können. Die 15 Experteninterviews zeigen dabei die unterschiedlichen Perspektiven aus Wirtschaft, Politik, Architektur, Wissenschaft und Bauherrinnen auf. 
Download: Zirkuläres Bauen in der Praxis

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