Gemeinschaftlich Wohnen
Haus in Bosnien denkt sozialen Wohnbau neu
Das „Haus für fünf Frauen“ fördert ein gemeinschaftliches Leben in Selbstbestimmung. © Maxime Delvaux und Adrien de Hemptinne
Das Haus für fünf Frauen nahe Gradačac in Bosnien und Herzegowina wurde vom Architekturbüro Ten entworfen. Es bietet Frauen, die Krieg, Gewalt und Ausgrenzung überlebt haben, einen geschützten Ort. Das Projekt verbindet Architektur mit sozialem Engagement und fördert gemeinschaftliches Wohnen und Teilhabe auf dem Land.


Das Haus bietet Frauen, die Krieg, Gewalt und Ausgrenzung überlebt haben, einen geschützten Wohnort. © Maxime Delvaux und Adrien de Hemptinne
Heilende Architektur
Das in Zürich und Belgrad ansässige Büro Ten hat mit dem Projekt ein überzeugendes Beispiel geschaffen, wie Architektur mehr sein kann als ein funktionaler Rahmen. Das Haus ist kein neutraler Hintergrund, sondern ein bewusst gestalteter Raum, der die Bedürfnisse seiner Bewohnerinnen ernst nimmt und sie stärkt. Es zeigt, wie Architektur heilend wirken kann – nicht nur als Schutzraum, sondern als Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit und kultureller Resilienz.
Architektur als sozialer Prozess
Der Entwurfsprozess war von Anfang an kollaborativ. Die Gestaltung orientierte sich konsequent an den realen Bedürfnissen und Möglichkeiten vor Ort. Statt fertiger Lösungen wurde ein anpassungsfähiger Rahmen geschaffen, der auf Wachstum, Veränderung und Interaktion setzt.


Die farbige Fassade wurde gemeinsam mit der Künstlerin Shirana Shahbazi entwickelt. © Maxime Delvaux und Adrien de Hemptinne
Die Fassade: kein Beiwerk, sondern Ausdruck
Die Fassade wurde gemeinsam mit der Künstlerin Shirana Shahbazi entwickelt. Farbige Metallpaneele in Rosa, Grün, Blau und Rot erzeugen eine visuelle Dynamik. Die Paneele wurden lokal lackiert – eine Autowerkstatt wurde dafür zum Atelier umfunktioniert. Mit zwanzig Türen zur Straße hin entsteht eine 25 m lange Schwelle, die Innen und Außen verbindet. Die Fassade wird so zu einem Symbol der Offenheit und Teilhabe.


Der Gemeinschaftsraum ist offen und lichtdurchflutet gestaltet. © Maxime Delvaux und Adrien de Hemptinne


Kollektives Wohnen: Der Raum ist Küche, Arbeitsplatz und Treffpunkt zugleich. © Maxime Delvaux und Adrien de Hemptinne
Verknüpfung von Innen und Außen
Der Grundriss balanciert private Rückzugsräume und kollektives Leben. Die fünf gleich großen Zimmer im Erdgeschoss sind mit Kochnischen und Einbauschränken ausgestattet – Unabhängigkeit im Kleinen. Zehn Doppeltüren entlang der Südwand verwandeln den Zugang in eine innere Straße, die Kommunikation fördert, ohne Rückzug zu behindern. Ein 90 m² großer Gemeinschaftsraum fungiert als erweiterte Veranda – offen, durchlässig, lichtdurchflutet. Er dient als Küche, Arbeitsraum und Treffpunkt. Ein Oberlicht trennt ihn von den privaten Bereichen. Zwei Versorgungseinheiten mit Toiletten und Gartenzugang aus Sichtbeton schließen sich an.


Ein 26 m langer Raum über dem Gemeinschaftsbereich – inspiriert von traditionellen Hirtenlagern und individuell nutzbar. © Maxime Delvaux und Adrien de Hemptinne


Ein flexibler Raum für Lagerung, Begegnung oder zusätzliches Wohnen – je nach Bedarf und Jahreszeit. © Maxime Delvaux und Adrien de Hemptinne
Ein Raum für Wachstum
Über dem Gemeinschaftsbereich befindet sich ein 26 m langer Multifunktionsraum, der sich an der traditionellen Typologie des Hirtenlagers orientiert. Er ist als Raumfachwerk konstruiert und mit Metallpaneelen an der Außenseite und Holz im Inneren verkleidet, so dass er je nach Bedarf sowohl sichtbar als auch abgetrennt ist. Dieser Raum bietet Platz für verschiedene saisonale Aktivitäten, von der Lagerung von Lebensmitteln bis zur Unterbringung zusätzlicher Bewohnerinnen.


Die Frauen gestalten nicht nur ihr Zuhause, sondern auch das Leben drumherum: Sie bepflanzen die angrenzende Fläche, verwandeln das Land in etwas Eigenes – etwas, das stärkt und trägt. Mit Unterstützung einer Betreuerin wächst hier eine Gemeinschaft, die sich mit jeder neuen Geschichte wandelt und lebendig bleibt. © Milos Martinovic
Ein Ort in Bewegung
Das Haus ist kein fertiges Produkt, sondern eine Plattform. Seine Robustheit, die klaren Linien und die Einfachheit seiner Materialien spiegeln die Resilienz seiner Bewohnerinnen wider. Das Design stellt gängige Komfortdefinitionen in Frage und eröffnet neue Formen des kollektiven Wohnens. Die NGO Naš Izvor betreut das Gebäude langfristig.
Architektur: TEN
In Zusammenarbeit mit: Hazima Smajlović, Initiatorin IngOG+ Schweiz; NGO Shirana Shahbazi, Künstlerin; Dr. Miodrag Grbić, Hochbauingenieur; Bessire Winter, Architekt
Standort: Gornji Lukavac 394, 76250 Gradačac, Bosnien und Herzegowina (BIH)
Landschaftsarchitektur: Daniel Ganz
























