Gebäude als Materiallager verstehen

Kim Le Roux, © Hannes Wiedermann

Kim Le Roux ist Mitgründerin des Berliner Architekturbüros LXSY Architekten, das sich auf zirkuläre Bauprozesse spezialisiert hat. Im Interview erzählt sie, wie sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team beim kreislauffähigen Bauen von traditionellen, linearen Planungs- und Bauprozessen unterscheidet.  

Das Gespräch ist Teil einer Interviewreihe, die in der Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis“ der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart erschienen ist. In den kommenden Wochen veröffentlichen wir weitere Interviews aus der Reihe. 

LXSY Architekten gibt es seit 2015. Was war eure Motivation und was ist euer Anspruch?  
Wir sind mit der Idee und dem Anspruch gestartet, partizipativ und mit sozialem Impact zu arbeiten. Wir wollten etwas bauen oder schaffen, bei dem wir beides verbinden können.  

Welche Rolle spielen partizipative Prozesse beim zirkulären Bauen?  
Ich glaube, beim zirkulären Bauen bedarf es einer höheren Kommunikation und mehr Verantwortung von allen Beteiligten. Es geht darum, alle Beteiligten in den Prozess einzubeziehen und gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten. Dadurch entwickeln die Handwerkerinnen und Fachplaner eine gewisse Verantwortung und gleichzeitig eine größere Identifikation mit dem Projekt oder dem Produkt. 

Mit dem Impact Hub im Berliner Stadtteil Neukölln schufen LXSY Architekten 2022 einen Meilenstein des zirkulären Bauens. © Studio Bowie

Was sind Hürden beim zirkulären Bauen im Allgemeinen und für euch im Besonderen? 
Die größte Besonderheit besteht vermutlich darin, dass es sich um etwas vollkommen Neues handelt und damit auch völlig neue Prozesse verbunden sind. Deshalb bedarf es bei den Projektbeteiligten häufig auch etwas Überzeugungsarbeit für diese neue Arbeitsweise. Hinzu kommt, dass wir uns aktuell in einer Art Übergangsphase befinden, in der man sich für Zirkuläres Bauen erst einmal auf die Suche nach Materialien begeben muss. Es gibt zwar einige wenige Start-ups wie Concular oder Trash Galore, über die man wiederverwendete Materialien sourcen kann. Aber davon abgesehen bedeutet die Materialsuche im Moment vor allem für Architektinnen und Architekten sehr viel Arbeit, die zusätzlich investiert werden muss.

Was ändert sich für die am Bau beteiligten Akteure durch partizipative Prozesse?  
Die Voraussetzung für zirkuläres Bauen ist, dass die Bauherrschaft eine gewisse Flexibilität und Risikobereitschaft mitbringt. Bei einer herkömmlichen Bauweise wird ein Entwurf und ein Fassadenkonzept entwickelt, das am Ende mehr oder weniger genauso umgesetzt wird. Das ist natürlich, wenn man recycelte oder wiederverwendete Produkte oder Baustoffe verwendet, nicht der Fall. Je nach Verfügbarkeit der Materialien wird sich der Look im Laufe des Prozesses noch verändern. Man kann beim zirkulären Bauen nicht nur Klarheiten schaffen. Es gibt immer offene Punkte, die erst mit der Zeit gelöst werden können.  

Impact Hub at CRCLR House in Berlin: Eine neu eingezogene Galerie aus Holz gliedert die ehemalige Lagerhalle in zwei Ebenen. © Studio Bowie

Wie verändert sich die Planung? 
Uns ist aufgefallen: Zirkuläres Bauen ist selbst im Planungs- und Bauprozess sehr zirkulär. Beim Projekt Impact Hub Berlin at CRCLR-House haben wir zum Beispiel bereits während der Vorplanung Material gesourcet. Anstatt die komplette Entwurfsplanung durchzuführen, haben wir nur einzelne Teile weitergeplant und sind sehr früh in die Ausführungsplanung gegangen. Im Grunde bestanden unsere Phasen aus Material Sourcing, Planung und Prototyping. Eine Art iterativer Loop, den wir interdisziplinär immer wieder gedreht haben. Bei allen Workshops waren Handwerkerinnen, Bauherren und teilweise sogar Fachplanerinnen dabei. 

Wie rechnet man so etwas ab? Die HOAI gibt das ja nicht her? 
Nein, aber bei diesem Projekt hatten wir tatsächlich einen gewöhnlichen HOAI-Vertrag. Das war nicht gerade zu unseren Gunsten, aber wir hatten die Möglichkeit nachzuverhandeln. Wie wir damit in der Zukunft umgehen, überlegen wir noch. In der Architektenkammer Berlin sprechen wir gerade auch zum Thema Nachhaltigkeit und HOAI. Ich glaube aber, dass es noch eine Weile dauern wird, bis man da auf einen Nenner kommt.  

Impact Hub at CRCLR House in Berlin: Wo früher Bier gebraut wurde, arbeiten heute Start-up-Unternehmen aus den Bereichen Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Lebensmittel, Diversität und Inklusion. © Studio Bowie

Was wäre denn ein guter Nenner für dich? 
Das hängt natürlich von der Größe des Projekts ab, was man machen kann und was sich als besondere Leistung grundsätzlich gar nicht in der HOAI abrechnen lässt. Der Idealfall wäre, dass die Leistungsphasen einen gewissen Spielraum ermöglichen, in dem auf manche Punkte verzichtet und auf andere, wie zum Beispiel Prototyping, ein größerer Fokus gelegt werden könnte. Aber das muss man noch austüfteln.  

So oder so: Die HOAI muss angepasst werden, oder?  
Ja, das denke ich schon. Ich glaube aber auch, dass es grundsätzlich Änderungen in der Architekturbranche bedarf. Architekturbüros sind super hierarchisch und die HOAI durch ihre Leistungsphasen auch. Wie schon gesagt, müssten die Leistungsphasen grundsätzlich überdacht werden und auch die Art und Weise wie wir zusammenarbeiten. In der Start-up-Branche ist das sehr viel fluider, transparenter und offener. Ich sage damit nicht, dass alle Architekturbüros nicht offen, nicht transparent und nicht modern arbeiten. Aber ich glaube, wir könnten noch ein bisschen zeitgemäßer miteinander umgehen. Und wenn man anders arbeitet, könnte man die HOAI auf diese neue Arbeitsweise upgraden.  

Impact Hub at CRCLR House in Berlin: Beim Innenausbau kamen kreislauffähige Materialien, rückbaufähige und sortenreine Konstruktionen und einfache Standards zum Einsatz. © Studio Bowie

Eine solche Umwälzung bedeutet ja auch eine Veränderung in der Ästhetik, oder?  
Auf jeden Fall brauchen wir ein anderes Verständnis von Ästhetik. Deshalb ist es auch ganz gut, dass es Vorreiter wie das Impact Hub Berlin oder auch die Arbeit von in situ gibt, die uns ein neues Bild, eine neue Ästhetik geben.  

Spürt ihr auch eine Veränderung bei euch selbst? Hat euch das Projekt verändert? 
Seitdem wir das Projekt Impact Hub Berlin at CRCLR-House abgeschlossen haben, haben wir uns intern komplett anders aufgestellt, neue digitale Tools eingesetzt, um Prozesse zu beschleunigen. Schon jetzt bei der Bauphase 2 dieses Projektes merken wir, dass alles sehr viel einfacher läuft. Die Gewerke wissen schon, wie es geht. Vieles muss also gar nicht mehr besprochen werden. Ich sehe schon, dass da jetzt richtig Fahrtwind reinkommt. 

Impact Hub at CRCLR House in Berlin: Rund 70 % der verwendeten Materialien und Produkte sind wiederverwendet, recycelt oder nachwachsend. © Studio Bowie

Ist zirkuläres Bauen für Bauherrinnen günstiger oder teurer? 
Es war zeitaufwendiger, weil wir völlig neue Prozesse entwickelt haben. Rückblickend muss ich aber auch sagen, dass wir an vielen Stellen wiederum Zeit sparen konnten: Durch die Prototyping-Workshops mussten wir nicht alles bis ins kleinste Detail planen. Unser Budget war am Ende in Ordnung. Ich bin aber davon überzeugt, dass eingespielte Prozesse eine positive Auswirkung auf die Kosten haben werden. Wenn dann auch die Hersteller so weit sind, dass sie ihre Materialien wieder abholen und aufarbeiten, werden wiederverwendete Materialien genauso viel kosten wie Neue. Eine wichtige Rolle spielen auch die Entsorgungskosten. Je höher die Entsorgungskosten werden, desto günstiger werden recycelte und wiederverwendete Materialien.  

© Studio Bowie
© Studio Bowie

Kim Le Roux ist Architektin und Mitgründerin des Berliner Architekturbüros LXSY Architekten. Sie arbeiten in den Bereichen New Work und nachhaltiges Bauen mit Fokus auf zirkuläre und partizipative Planungs- und Bauprozesse. Mit diesem Schwerpunkt haben sie unter anderem den Innenausbau des Impact Hub Berlin at CRCLR House realisiert. In Stuttgart planen sie gemeinsam mit ASP Architekten im Rahmen der IBA’27 einen Teil des Quartiers „Der Neue Stöckach“. 


Das komplette Interview wurde zuerst veröffentlicht in der Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis“ 
Verfasser/-innen:  
Markus Weismann, asp Architekten 
Marcus Herget, Marcus Herget Beratungsunternehmen 
Nadine Funck, asp Architekten 
Raphael Dietz, asp Architekten 


Auftraggeberin: Wirtschaftsförderung Region Stuttgart
Die Publikation untersucht, inwieweit zirkuläres Bauen bereits am Markt angekommen ist, welche Potenziale sich dadurch ergeben und wie diese besser ausgeschöpft werden können. Die 15 Experteninterviews zeigen dabei die unterschiedlichen Perspektiven aus Wirtschaft, Politik, Architektur, Wissenschaft und Bauherrinnen auf.  
Download: Zirkuläres Bauen in der Praxis

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