23.08.2009

Kolumne: Lückenlose Langeweile in Architekten-Viten

Sterbenslangweilig ist das treffendste Attribut für die Viten von Architekten. Jedenfalls für all jene, die ich je gelesen habe. Warum stellen Menschen, die einen ganz und gar unlangweiligen Beruf haben und wohl drei Mal pro Woche am Rande des Nervenzusammenbruchs stehen, eigentlich so langweilige Viten auf Ihre Website?
Die Vita scheint so etwas wie ein illegitimer Spross des guten alten Lebenslaufs, denn sie steckt so hoffnungslos in der Ambivalenz zwischen braver Aufreihung beruflicher Stationen einerseits und substantiellen Aussagen über das eigene Leben: Wo sie um jeden Preis Seriosität und Zielstrebigkeit suggerieren soll, kommt ihr jede Würze abhanden.
Lichtbild bitte oben rechts einkleben
Uns Altvorderen, also den vor den siebziger Jahren geborenen, sitzt eben noch der „Lückenlose Lebenslauf“ im Nacken (?Lichtbild bitte oben rechts einkleben?). Der zugehörige Brief wurde selbstredend mit „hochachtungsvoll“ unterzeichnet, ein Gruß, bei dem ich im Geiste noch heute die Hacken zusammenknalle. Die Lückenlosigkeit war damals wichtig, damit der Herr Personaldirektor sicher gehen konnte, sich keinen Gammler in die Firma zu holen. Die Befürchtung also, dass jemand, der sich bei der Oberfinanzdirektion Süd für die Assessorenlaufbahn bewirbt, ein zurückliegendes Zeitfensterchen genutzt haben könnte, um am Hafen von Tanger herumzulungern, Haschisch zu verticken und der freie Liebe zu frönen. Vor nichts graute dem Herrn Personaldirektor mehr als vor Hippies. Heute spielt die Haarlänge keine Rolle mehr und selbst der Tabakkonsum ist so gut wie verboten. Warum aber schreiben wir dann noch immer lauter kreuzbraves Zeug in unsere Viten?
Liest man Viten befreundeter oder heute assoziierter Architekten, stellt man oft fest, dass sie sich im Zeichensaal kennen gelernt haben müssen und ihr Werdegang seitdem im Gleichmaß eines Metronoms auf den heutigen Zustand des erfolgreichen gemeinsamen Büros zugelaufen ist.
Ist es womöglich Le Corbusiers fragwürdiges Gleichnis vom Weg des Esels, der, anders als der Weg des modernen Menschen, gewunden sei, das Architekten vor jedwedem Schlenker zurückschrecken lässt?
Keine Seitenwege?
Keine Seitenwege, keine Widersprüche?Angst nicht beauftragt zu werden? Dabei ist es schon ein Gemeinplatz, dass jemand in den USA als Unternehmer erst ernst genommen wird, wenn er schon einmal eine Pleite hingelegt hat. Die erste Pleite ist der Ritterschlag. Außerdem ist es die lebenspraktische Note, die Aufmerksamkeit erregt. Kürzlich las ich gelangweilt die X-te Bewerbung auf eine von mir ausgeschriebene Stelle, da lachte es mich aus der Vita eines Jungarchitekten an: „2004-2005: Black Jack-Croupier im Spielcasino Bad Kissingen“ – na, das ist immerhin ein Anfang. Wer sich souverän als Maitre de Plaisier bewegt, muss auch etwas von Kommunikation verstehen.
Am besten lernt man von Buchverlagen, wie man peppige Viten in die Welt setzt, denn sie wissen: Exotische Stationen und unbürgerliche Eigenschaften machen einen Autoren für das Publikum nur interessanter. „Mehrmals auf dem Landweg nach Indien gereist?“ und dabei „den Lebensunterhalt u. a. als Topfspüler, Koch, Hafenarbeiter und Pflastermaler verdient“, heißt es in einem Verlagsprospekt über die „Lehr- und Wanderjahre“ eines Autors. Sympathisch sophisticated ist zudem die Neigung, bürgerliches Bildungsgut mit fast herablassender Beiläufigkeit zu erwähnen, in der Art: „Ausgedehnte Reisen in Europa, Asien und Afrika, Aufenthalte in Wien und Norwich, wo er einige Semester Kunst, Philosophie und Geschichte studierte“.
Ob Eisdielenbesitzer auf der Krim, Tangolehrer, Leuchtturmwärter, Wahrsager – es kommt nicht auf Prestige und bombastische Referenzen an, nonkonformistische Lebenswege mit ein paar Serpentinen werden allemal lieber gelesen.

In der Vita des Schweizer Erfolgsautor Thomas Hürlimann heißt es, er sei zeitweilig in Spanien tätig gewesen – als Sekretär eines Stierkämpfers. Chapeau! – auf so etwas muss man erst mal kommen. Schriftsteller kennen sich nicht nur mit Toreros aus, sondern auch im Leben verehrter Architekten – wie der Amerikaner T.C. Boyle, dessen jüngster Roman „Die Frauen“ alles andere als langweilig das Leben des Architekturheroen Frank Lloyd Wright erzählt.

Foto: molinafoto/flickr

Autor:
Frank Peter Jäger
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