Lernen vom Gebäudebestand

Das BmB-Archiv der Bergischen Universität Wuppertal macht das Konstruktionswissen der Jahre 1875–1975 auf der Plattform Detail Inspiration erstmals digital zugänglich. Initiator Georg Giebeler erläutert die Hintergründe des Projekts.

Sie und Ihr Team haben mehr als 1600 Beiträge aus über 35 Baukonstruktions-Lehrbüchern der vergangenen beiden Jahrhunderte im BmB-Archiv zusammengetragen. Woher kam die Idee zu diesem Mammutprojekt? 
Ich habe vor inzwischen mehr als 18 Jahren damit analog begonnen. Für den Atlas Sanierung der Edition Detail habe ich knapp ein Jahr lang alte Konstruktionshandbücher studiert. Dabei habe ich festgestellt, dass alles, was man zu alten Konstruktionen wissen will, dort veröffentlicht ist. Die Zeichnungen sind wundervoll detailliert und die dazugehörigen Texte erstaunlich selbstkritisch in Bezug auf Schwächen der jeweiligen Baukonstruktionen. Schon damals hat mich die Beschränkung meines eigenen Buchs geärgert. Es gab so viel mehr wertvolle Zeichnungen, als dort hineinpassten. Diese wollte ich in einem Archiv zusammentragen, das in der Lage ist zu wachsen. Und das geht nur digital. 
 

Das Konstruktionswissen aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen fasste Paul Schmidt 1926 in seinem „Handbuch des Hochbaus“ zusammen. © BmB-Archiv/Schmidt: Handbuch des Hochbaus (1926) 

Wie sind Sie an die Auswahl der Quellen und ­Beiträge herangegangen? 
Einen Grundstock der Bücher kannte ich schon aus dem Buchprojekt sehr gut. Andere waren für das Buch zu randständig, aber für die digitale Welt sinnvoll, wie zum Beispiel Bücher zum Lehmbau. Und dann halfen schon bei der Arbeit am Atlas Sanierung die Literaturverzeichnisse weiter. Bis weit ins 20. Jahrhundert finden sich in einschlägigen Lehr­büchern Verweise auf die vierbändige Reihe zur Baukonstruktion, die Gustav Breymann erstmals um 1870 veröffentlichte. Der „Breymann“ ist sozusagen die Mutter aller modernen Baukonstruktionsbücher und im BmB-Archiv nun mit 233 Artikeln vertreten. Die Auswahl der Beiträge war ungleich aufwändiger: Wir haben die Bücher gescannt und dann Seite für Seite per Beamer gesichtet. So wollten wir Zeichnungen und Tabellen identifizieren, die für das heutige Weiterbauen von Relevanz sein könnten. Insgesamt waren das rund 16 600 Seiten.

Die Konstruktionslehrbücher der frühen Nachkriegszeit befassten sich vor allem mit rationellen Lösungen für den Wiederaufbau von Wohnungen. © BmB-Archiv/Reiher: Die Ausbauarbeiten (1952) 

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem BmB-Archiv für das künftige Bauen im Bestand? 
Zuerst, dass das „mit“ das „im“ ablöst. Wir müssen aufhören, den Bestand als sakrosanktes Objekt zu betrachten, in dem man mal die Tapeten austauschen darf. „Bauen mit Bestand“ eröffnet so viel mehr Anpassungsfreiheiten und dadurch auch potenziell mehr Bestandserhalt. Für die Weiternutzung bestehender Bauteile wird das BmB-Archiv hoffentlich wertvolle Impulse liefern können. Unser Selbstverständnis zum Weiterbauen ist nach dem Krieg ein wenig verloren gegangen und muss wieder ertüchtigt werden, oder um Hermann Czech aus dem Jahr 1973 zu zitieren: „Der Umbau ist interessanter als ein Neubau – weil im Grunde alles Umbau ist.“ 

Georg Giebeler, © Universität Wuppertal 

Georg Giebeler lehrt seit mehr als 20 Jahren Baukonstruktionslehre und das Bauen mit Bestand an deutschen Hochschulen. Zunächst war er an den Hochschulen Wismar und Rhein/Main in Wiesbaden tätig, seit 2018 ist er Professor an der Bergischen Universität Wuppertal. 2007 veröffentlichte er den „Atlas Sanierung“ in der Edition Detail.

Das Interview mit Georg Giebeler in voller Länge finden Sie in Detail 11.2025 sowie in der Datenbank Detail Inspiration.