Neue Ortsmitte Scheyern von Deppisch Architekten

Scheyern ist bekannt für seine weithin sichtbare Klosteranlage mit einer Geschichte, die bis ins 11. Jahrhundert zurückreicht. Das dazugehörige Dorf liegt deutlich weniger prominent unterhalb der Anlage und breitet sich an den umliegenden Hängen aus. Eines der ältesten Häuser ist eine ehemalige Tafernwirtschaft – ein Gasthaus mit besonderen Rechten – aus dem 16./17. Jahrhundert. Einst übernachteten dort, in unmittelbarer Nähe zum Kloster, vor allem Wallfahrende, die zur Scheyrer Kreuzreliquie pilgerten. Bis 2003 hat die Bayerische Waldbauernschule den Bau genutzt. Nach deren Auszug gab es verschiedene Zwischennutzungen, doch eine Sanierung wurde allmählich überfällig. Zudem gab es den Wunsch, den Bau stärker ins Gemeindeleben einzubinden und gleichzeitig einen zentralen Ort zu schaffen, der dem Dorf den Rücken stärkt.

Belebter Platz

Den Wettbewerb zu einer neuen Ortsmitte gewannen Deppisch Architekten. Dem denkmalgeschützten Bestand stellte das Büro einen zweigeschossigen Riegel in Holzskelettbauweise gegenüber. Zwischen beiden Bauten vermittelt ein abgestufter Platz, der sich vor dem Altbau zur erhöhten Terrasse ausweitet. Die Fixpunkte bilden auf der höheren Seite der Maibaum, auf der niedrigeren ein großzügiger Spielplatz, der das Ensemble zusätzlich belebt.

Raumkonzepte von Neubau und Bestand

Im Neubau sind der Verwaltungssitz und die Bücherei untergebracht. Das Erdgeschoss des Bestandes belegt nun wieder eine Gastronomie mit Außenbereich. In den Obergeschossen sind weitere Räume der Gemeinde, allen voran der Trausaal und der Gemeindesaal, zu finden. Erschlossen wird dieser Teil des Rathauses über einen Anbau, der mit einer offenen Lattenfassade Materialität und Farbigkeit des Neubaus aufgreift und so die inhaltliche Verbindung herstellt. Dahinter verbirgt sich eine Stahlkonstruktion mit Treppe und Aufzug.

Sorgfältige Materialwahl

Das Material für die Holzkonstruktion, die auf einem zweischaligen Sichtbetonsockel ruht, stammt aus dem Gemeindewald und musste daher schon frühzeitig geschlagen und getrocknet werden. Der regionale Ansatz scheiterte beinahe an der Suche nach einem Sägewerk, das sich bereit erklärt hätte, Material zuzuschneiden, das nicht aus den eigenen, oft internationalen, Bezugsquellen stammt. Holz prägt auch im Inneren viele Oberflächen und Einbauten und findet sich sogar im Aufzug samt zugehörigen Schacht. Als Bodenbelag in den öffentlichen Bereichen im Erdgeschoss wählten die Architekten einen Terrazzo-Boden. Die rötlichen Zuschläge sind Überreste der Marmorsteinbeläge aus der ehemaligen Waldbauernschule, die so teilweise recycelt wurden.

Vom Foyer des Rathauses aus lässt sich über eine Verglasung ein Blick in die tiefergelegene Gemeindebücherei werfen. © Marius Ballasus Fotografie / Deppisch Architekten

Respekt vor dem Bestand

Im Bestand wurde die Holzbalkendecke in dem neuen Café so weit wie möglich erhalten und ergänzt, in den Fensteröffnungen sitzen Kastenfenster mit Eichenholzrahmen und Restaurierungsgläser – hergestellt im historisch korrekten Fourcalt-Verfahren. Im früheren Tanz- und heutigen Trausaal ließ das Planungsteam eine hölzerne Barockdecke freilegen und ertüchtigen. Den Gemeindesaal ganz oben prägt ein gewaltiger Dachstuhl – trotz erstaunlich niedriger Kehlbalken, die, wie der Bürgermeister scherzhaft einwirft, „eine Größenbeschränkung für Gemeinderäte erforderlich machen“. Das historische Gebälk aus dem späten 17. Jahrhundert wurde umfassend saniert. Die Dachflächen und Giebelseiten ließ das Planungsteam mit klimaregulierenden Lehmplatten bekleiden und mit Lehm verputzen. Um den Dachraum besser zu belichten und zu belüften, wurden die historischen Fensteröffnungen an den Giebeln wiederhergestellt. 

Im Café verbinden sich historische Elemente und zeitgemäße Ergänzungen zu einem Ort mit dem Charme eines typischen bayerischen Wirtshauses. © Marius Ballasus Fotografie / Deppisch Architekten 

Erfolgreiches Konzept

Dass die neue Ortsmitte für die Dorfgemeinschaft von Scheyern ein Gewinn ist, lässt sich beim sommerlichen Besuch vor Ort deutlich erleben: Vor dem Anbau wartet eine Hochzeitsgesellschaft auf ein Brautpaar, auf der Terrasse vor der Gastronomie findet ein Klassentreffen statt. Die Angestellten der Gemeinde schätzen ihren Arbeitsplatz ganz offensichtlich und die Büchereileiterin ist begeistert von den neuen, großzügigen Räumen: Zuvor sei die Bücherei in den Arkaden des Klosters untergebracht gewesen. Durch die Einbindung in das Ensemble mit Café und Spielplatz hätten sich die Ausleihzahlen innerhalb kürzester Zeit verdoppelt.