18.04.2019 Robert Mehl

Notre-Dame: Brandschutz im Mittelalter

Foto: Milliped (CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

Im Frühmittelalter hatten Kirchenbauten Gewölbe nur in ihren Chören und Seitenkapellen, nicht in ihren Langhäusern. Das Hauptschiff bedeckende Gewölbe setzte sich erst in der Romanik durch. Einer der Hauptgründe dafür war der vorbeugende Brandschutz. Feuer wurde damals als von oben kommend wahrgenommen. Exponierte Kirchenbauten wurden beispielsweise von Blitzschlägen getroffen. Stadtbrände hingegen betrafen die meist freistehenden Sakralbauten mit ihren überwohnhaushohen Fensterbrüstungen hingegen kaum. Der vor gut 800 Jahren geschaffene, bauliche Brandschutz kam bei Notre-Dame nun auch den Löscharbeiten des Großfeuers vom 15.April 2019 zugute.

Tatsächlich kann man hier von einem reinen Dachstuhlbrand sprechen, bei einer Langhauslänge von 130 m und einer Breite von 48 m allerdings in einem »biblischen« Ausmaß. Die Dachstuhlbauweise begünstigte die Ausbreitung des Feuers. Da das Dach über eine extrem schwere Eindeckung aus 250 t Blei verfügte, war eine besonders dicht angelegte Unterkonstruktion für die Lastabtragung erforderlich. Sie wurde bei Notre-Dame als Forêt (Wald) bezeichnet und bestand aus über 1.300 Eichenholzstämmen bzw. rund 500 t Holz. Dieses stammte teils aus der Zeit zwischen 1163 bis 1345, teils aus dem 19. Jahrhundert, als unter Eugène Viollet-le-Duc der im Zuge der französischen Revolution verfallene Sakralbau ab 1844 in 20 Jahren restauriert wurde. Aus dieser Zeit stammt auch der ehedem 96 m hohe, »La Flèche« genannte Vierungsturm, der dem Brand zum Opfer fiel und dessen Einsturz eines der Gewölbe durchschlug.

Rückblickend schätzt die französische Feuerwehr, dass der totale Kirchenkollaps wahrscheinlich eingetreten wäre, wenn die große Hitze des Dachbrandes eine weitere halbe Stunde lang angehalten hätte. So kollabierte neben dem der Vierung nur noch ein weiteres östliches Gewölbe. In den eigentlichen Kirchenraum griff der Brand, nicht zuletzt durch ein sofortiges Löschen der herabstürzenden Bauteile, nicht über, weshalb selbst das hölzerne Gestühl und auch die Rosettenfenster erhalten blieben. Noch während des Feuers warf US-Präsident Trump per Twitter die Frage auf, warum die Feuerwehr keine Löschflugzeuge einsetze. Rückblickend erwies sich deren Entscheidung als sehr weise. Ein derartiger Löschversuch hätte, gerade im fortgeschrittenen Zustand des Brandes, bedingt durch die enorme Last des herabstürzenden Wassers, sehr wahrscheinlich die hitzegeschwächten Gewölbe durchschlagen.

Wiederaufbau in fünf Jahren
Am Tag nach dem Brand verkündete der französische Ministerpräsiden Emmanuel Macron die Absicht, Notre-Dame innerhalb von fünf Jahren wiederherzustellen. Sein Kulturminister Franck Riester wies jedoch auf den Umstand hin, dass es schwer werde, das Kathedralendach 1:1 neu zu erschaffen, da es schlicht auf französischem Staatsgebiet keine Eichenstämme dieser Dimension mehr gäbe. Prof. Manfred Curbach von der TU Dresden, einst federführender Ingenieur beim Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche, stellt zudem fest, dass vordringlich untersucht werden muss, wie stark das Mauerwerk durch die Hitze beschädigt wurde. Günstig sei es, dass es sich beim Feuer in Notre-Dame nur um wenige Stunden handelte. Die Frauenkirche war nach dem verheerenden Bombenangriff im Februar 1945 über mehrere Tage hinweg förmlich ausgeglüht.

Dies alles berücksichtigend soll zeitnah ein internationaler Architekturwettbewerb ausgeschrieben werden, bei dem den Teilnehmern freigestellt wird, ob sie das verlorene Dach und den Vierungsturm detailgerecht rekonstruieren wollen, ein 3D-Aufmass vom Forêt liegt vor – oder ob sie dem Dach eine neuartige, zeitgemäße Anmutung geben wollen. Letzteres war das übliche Vorgehen in allen Stilepochen. Angesichts der Großspenden im Gesamtwert von derzeit rund 1 Mrd. Euro sollte jede Art der Lösung nicht am finanziellen Rahmen scheitern.

Beispiel Notre Dame nicht unmittelbar übertragbar
Wäre so eine Katastrophe auch bei hiesigen Baudenkmälern denkbar? Zugespitzt wurde diese Frage durch einen Fauxpaus der New York Times, die die Katastrophenmeldung von Notre-Dame irrtümlich mit einem Foto des Kölner Dom illustrierte. Die frühere Kölner Dombaumeisterin Dr. Barbara Schock-Werner stellt fest, dass die Situation auf den Kölner Dom so nicht übertragbar ist, da dieser im Zuge seiner Fertigstellung im Zeitalter der Industrialisierung einen Dachstuhl aus Stahl erhalten habe. Der Aachener Dombaumeister Helmut Maintz hält eine derartige Feuersbrunst bei seiner Kirche, der ersten deutschen Welterbestätte von 1978 ebenfalls für nur schwer denkbar: Deren Dachstuhl verfügt seit den 1920er Jahren über eine Sprinkleranlage. Es handelt sich um eine der weltweit Ersten überhaupt, die zwischenzeitlich mehrfach überholt wurde. Um eine Beschädigung der wertvollen Deckenfresken durch Löschwasser zu vermeiden, sind die gotischen Gewölbekappen auf ihrer Oberseite zudem mit einer Estrichschicht überzogen.

Foto: GodefroyParis (CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

Foto: Milliped (CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

Foto: Levrier Guillaume (CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

Notre-Dame Seitenansicht: die zerstörten Dachteile sind rot markiert. Foto: Umbricht. (CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

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