Nudging als Werkzeug der Stadtentwicklung

Nudging in der digitalen Stadt: Ein Emoticon konfrontiert Autofahrer mit ihrer tatsächlichen Fahrgeschwindigkeit (Fotos: Peter Jakubowski)

Zunächst eine Begriffsdefinition: Der Begriff des Nudging (engl. Schubser, leichter Stoß) stammt aus der Verhaltensökonomik und wurde durch den Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und den Rechtswissenschaftler Cass Sunstein geprägt. Beim Nudging geht es darum, das Verhalten von Menschen auf voraussehbare Weise positiv zu manipulieren. Denn Menschen treffen häufig falsche Entscheidungen, obwohl sie die Möglichkeit einer rationalen Wahl besitzen. Ein bekanntes Beispiel ist das gezielte Platzieren von Obst auf Augenhöhe an der Kantinenkasse, um dessen Konsum zu erhöhen, statt die Besucher zum ungesunden Schokoriegel greifen zu lassen. Es gelten dabei drei Grundregeln, die berücksichtigt werden sollen: Nudges müssen transparent sein. Man muss sich auch gegen einen Nudge auf einfache Art und Weise entscheiden können. Das Verhalten, das durch einen Nudge ausgelöst wird, sollte dem Wohlergehen der Gesellschaft dienen.

Nudging als Mittel der Stadtentwicklung
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat ein Heft zum Thema »Nudging in der digitalen Stadt« veröffentlicht und veranschaulicht anhand mehrerer Beispiele, welche Möglichkeiten mit dieser, sicherlich nicht jedem geläufigen, Methode in der nachhaltigen Stadtentwicklung realisierbar sind. Bislang fehlen dazu noch empirische Erhebungen, die nachweisen, dass Nudging in diesem Bereich tatsächlich funktioniert. Trotzdem lohnt eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Im Zuge des Klimawandels, der Zuwanderung und dem Mangel an Wohnraum steht unseren Städten ein Wandel bevor. Um diesen möglichst nachhaltig zu gestalten, bedarf es einer Mitwirkung der Gesellschaft. Es gibt eine Vielzahl an Akteuren, die sich für eine nachhaltige Stadtentwicklung engagieren, doch ist deren Anzahl für eine zügige Umsetzung noch nicht hoch genug. Wie kann man also Bürger motivieren, sich mehr für den Klimaschutz, die Integration und Nachbarschaftshilfe zu engagieren? An dieser Stelle stellt das BBSR die Frage, inwiefern man Nudging in der Stadtentwicklung hierfür nutzen könnte. Die Autoren sehen grundsätzlich eine potenzielle Möglichkeit unterschiedliche Anwendungsarten einzusetzen, um jedoch zu wissen, an welchen Punkten man mit Nudges arbeiten kann, bedarf es zunächst einer Analyse unseres Verhaltens. Im Zuge dessen wird die fortschreitende Digitalisierung relevant, denn die Daten, die wir jeden Tag in der Cloud hinterlassen, werden immer vielschichtiger. Nach einer Kategorisierung der erfassten Daten ließen sich somit Handlungen ableiten, die man dementsprechend für ein gezieltes Beeinflussen der Handlungsweisen im Stadtraum einsetzen könnte. Das Heft bespricht Ideen sowie Hintergründe und bereitet erste Anwendungsbeispiele in der Stadtentwicklung auf.

Nudging im öffentlichen Raum

Hierzu wurden bereits mehrere Versuche in unterschiedlichen Ländern durchgeführt. In Dänemark malte das Danish Nudging Network grüne Fußabdrücke auf Bürgersteige. Diese Abdrücke führten die Bürger zu Abfalleimern. Der Versuch scheint funktioniert zu haben: An diesen Orten wurde in der Umgebung weniger Müll gefunden. Insbesondere im Bereich der Mobilität scheint Nudging eine erfolgreiche Methode zu sein, die man mittlerweile selbst in Deutschland finden kann. Ein Beispiel hierfür sind die Emoticons, die am Fahrbahnrand mit einem Lächeln bzw. grimmigen Gesicht anzeigen, ob die Fahrgeschwindigkeit in Ordnung ist oder nicht. Selbstverständlich möchte man hier ein Lächeln erhalten und fährt daher langsamer. In einem weiteren Beispiel aus Chicago wurden vor Kurven weiße Streifen auf die Fahrbahn gemalt. Je mehr man sich der Kurve nähert, umso dichter liegen die Streifen beieinander. Der Fahrer nimmt dadurch an, dass die Geschwindigkeit seines Wagens zunimmt, sodass er den Wagen abbremst.

Nudging lässt sich auch im Bereich des Klimaschutzes anwenden. In Neuseeland setzte man beispielsweise auf die Gruppendynamik einer Nachbarschaft: Um den Energieverbrauch der einzelnen Haushalte zu senken, wurde in der Nachbarschaft transparent gemacht, wie viel Energie die Nachbarn verbrauchen. Diese Information spornte die anderen Nachbarn an, ihren Energieverbrauch ebenfalls zu senken.

Wenn Nudging zur Pflicht wird: Social Credit System
Eine eher fragwürdige Form des Nudging bildet sich aktuell in China. Dort wird seit 2014 ein online betriebenes social scoring eingeführt, das sich auf alle Lebensbereiche auswirken wird. Ziel ist, die chinesische Gesellschaft zu einem sozialeren Verhalten zu erziehen. Dabei erhalten alle Bürger zunächst eine bestimmte Anzahl an Punkten. Diese können bei positivem Verhalten zunehmen bzw. bei negativem Verhalten abgezogen werden. Bewertet wird u.a. die Kreditwürdigkeit, die Zahlungsfähigkeit, das Strafregister und das persönliche Verhalten und Umfeld. Verhält man sich positiv, so erhält man beispielsweise schnelleren Zugang zu Bankkrediten oder wird bei der Vergabe von Visa bevorzugt behandelt. Bei einem negativen Ranking kann die Geschwindigkeit des Internetanschlusses gedrosselt werden oder man muss höhere Steuern zahlen. Das klingt nach einer Orwellschen Dystopie. Doch das System wird bereits getestet und soll bis 2020 verpflichtend für jeden Bürger in China umgesetzt werden. Das Beispiel aus China zeigt, dass Nudging zu einem einflussreichen Instrument zur Steuerung unseres Verhaltens werden kann. Aus diesem Grund weisen die Autoren der BBSR-Studie darauf hin, nur Nudges anzuwenden, die ein strenges Prüfraster durchlaufen haben. Darüber hinaus müssten die umgesetzten beeinflussenden Maßnahmen regelmäßig evaluiert werden. Würde hier das Gutachten negativ bewertet werden, so müsste man das Nudge abschaffen.

Pioniersarbeit im Bereich der Stadtentwicklung
Auch wenn man in Deutschland Nudging in einigen Bereichen bereits eingeführt hat, so fehlen bisher empirische Erhebungen dazu, inwiefern diese Maßnahmen zielführend sind. Darüber hinaus fehlen Analysen darüber, welche Nudges geeignet sind, um eine nachhaltige Stadtentwicklung zu fördern. Die Forschung befindet sich mit dieser Methode noch am Anfang. Daher bedarf es eines Diskurses darüber, wie sinnvoll es ist, Nudging-Maßnahmen für eine nachhaltige Stadtentwicklung zu entwickeln und wie sich diese Methode erfolgreich einsetzen lässt.

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