Kraftakt in Sachen Holzbau
Universitätsgebäude in Arkansas von Grafton Architects und Modus Studio
Das gefaltete Dach des Gebäudes steigt von Süden nach Norden von einem auf vier Geschosse an. © Timothy Hursley
Der US-Bundesstaat Arkansas entspricht so gar nicht dem landläufigen Bild des Mittleren Westens mit seinen endlosen Prärien und Maisfeldern: Bis auf 800 m Meereshöhe steigen die Mittelgebirge an, auf 60 % seiner Fläche wachsen Eichen-, Kiefern- und Hickorywälder. Eigentlich eine Traumregion für den Holzbau. Die University of Arkansas in Fayetteville, einer 100 000-Einwohner-Stadt ganz im Nordwesten des Bundesstaats, setzt schon länger darauf, diesen natürlichen Schatz zu heben und in die Lehre einfließen zu lassen. Der treibende Motor ist Peter MacKeith, seit 2014 Dekan der Architektur- und Designfakultät, der sein Handwerk unter anderem im Holzbau-Mekka Finnland lernte.


Längsschnitt des Anthony Timberlands Center, Grafik © Grafton Architects/Modus Studio
Gesammelte Holzbau-Prominenz
Unter der Ägide von MacKeith lobte die Universität 2020 einen ambitionierten Architekturwettbewerb für den Neubau eines Forschungs- und Lehrgebäudes aus. 69 Büros aus 10 Ländern nahmen daran teil. Allein die Liste der Teilnehmer in der Finalrunde liest sich wie ein Who is Who des internationalen Holzbaus: Shigeru Ban, Dorte Mandrup und Lever Architecture. Den Sieg trugen jedoch Grafton Architects aus Dublin davon – nur eine Woche, bevor deren Gründerinnen Shelley McNamara und Yvonne Farrell mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurden.


Blick in die Werkstatt im Erdgeschoss. Der verglaste Hörsaal hängt im ersten Obergeschoss an der Dachkonstruktion. © Timothy Hursley
Im Bildungsbau haben Grafton Architects reichlich Erfahrungen gesammelt, schon bevor sie mit dem Bau der Università Luigi Bocconi in Mailand 2008 international bekannt wurden. Bisher waren sie jedoch eher dafür bekannt, die skulpturalen Qualitäten des Sichtbetons auszuloten. Ein viergeschossiger Holzbau mit Werkstätten, Hörsaal und Seminarräumen ist neu in ihrem Portfolio. Für die Realisierung stand Grafton Architects ein einheimisches Planerteam unter Leitung von Modus Studio zur Seite. Das Büro wurde vor einigen Jahren von drei Absolventen der University of Arkansas gegründet.


Die viergeschossige Nordfassade an der Straße ist vollständig verglast. © Timothy Hursley
Holzbaubetrieb als Hauptsponsor
Wie so häufig, ist das Anthony Timberlands Center nach seinen Hauptsponsoren bekannt, den Erben des gleichnamigen Familienbetriebs und größten privaten Holzverarbeiters in Arkansas. Für Grafton Architects ist der Neubau in Fayetteville der erste in den USA. Er ist Bestandteil einer Campus-Erweiterung im Süden der Stadt. Inmitten von Gewerbebauten und Einfamilienhäusern ist neben dem Timberlands Center bereits ein viergeschossiger Bau mit Werkstätten und Seminarräumen für die Kunstfakultät entstanden. Als dritter Baustein des „Design District“ wird derzeit noch ein Neubau mit Galerieräumen und einem Maker Space errichtet.


Im Süden öffnet sich die Werkstatt mit einem großen Schwingtor aus Polycarbonat zum Anlieferungshof. © Timothy Hursley
Alle Gebäudefunktionen unter einem Dach
Das auffälligste Merkmal des Neubaus ist zweifellos das Dach, das sich von Süden nach Norden von einem auf vier Geschosse emporfaltet. Seine Gestalt ist dem regenreichen Klima von Arkansas ebenso geschuldet wie der Ambition der Architektinnen, alle Gebäudefunktionen unter einem Dach zu vereinen. Im Timberlands Center kommen auf 4000 m2 Fläche alle Graduierten-Studiengänge der University of Arkansas zusammen, die sich mit dem Holzbau und der Holzverarbeitung beschäftigen. Außerdem soll im Haus ein neues Forschungszentrum zum bezahlbaren Wohnungsbau etabliert werden.


Die Treppenhäuser sind in den beiden Nebenraumflügeln im Westen und Osten untergebracht. © Timothy Hursley


Es war ein erheblicher statischer Kraftakt erforderlich, um die drei Obergeschosse stützenfrei über der Werkstatt schweben zu lassen. © Timothy Hursley
Werkstatt im Zentrum des Hauses
Dreh- und Angelpunkt des Raumprogramms ist die rund 1000 m2 große Werkstatt im Zentrum des Erdgeschosses. Der stützenfreie Raum nimmt die gesamte Gebäudelänge ein. Auf der Südseite können durch ein großes Schwingtor aus Polycarbonatstegplatten selbst größte Bauteile angeliefert werden. Im Norden erlaubt eine Glasfront Einblicke von der Straße aus. Die Stützen und Träger, die den Raum begrenzen, wirken auf den ersten Blick überdimensioniert – doch sie müssen nicht nur das Dach und die Obergeschosse tragen, sondern auch einen Portalkran, mit dem die Werkstücke in der Halle bewegt werden können.


Hinter der Nordfassade tragen meterdicke Stützen die Last der Geschossdecken und des Dachs. © Timothy Hursley
Skulpturale Gestaltung
Auch in den Obergeschossen kommt das skulpturale Potenzial des Holzbaus voll zur Geltung – zwangsweise, könnte man sagen, angesichts der großen Spannweiten, die es zu überbrücken galt. Der beidseitig verglaste Hörsaal im ersten Obergeschoss ist als Hängekonstruktion an den Dachbindern befestigt. Auch in den Seminar- und Studioräumen im zweiten und dritten Geschoss mussten die Lasten teils abenteuerlich „um die Ecke“ geführt werden. Der Lohn der Mühen waren offene Sichtverbindungen über alle Ebenen hinweg und weitgehend stützenfreie Räume – außer hinter der auskragenden Fassade in den beiden obersten Geschossen.


Im obersten Geschoss öffnen sich die Räume zu zwei überdachten Terrassen, die mit robustem Robinienholz belegt sind. © Timothy Hursley
Bilderbuch des Holzbaus mit österreichischer Expertise
Yvonne Farrell, Mitbegründerin von Grafton Architects, vergleicht ihren Entwurf mit einem Bilderbuch, das Holz in allen Spielarten und Einsatzformen zeigt – als Tragkonstruktion und Fassadenverkleidung, gefügt, gefräst, grob behauen oder laminiert. Die Brettsperrholzplatten in der Dachkonstruktion wurden von Betrieben aus Arkansas aus einheimischem Kiefernholz hergestellt. Auf den Freiterrassen in der vierten Etage liegt langlebiges Hirnholzpflaster aus Robinie. Die Arbeitstische in den Räumen haben die Studierenden in einem Workshop selbst entworfen und gebaut. Doch der Neubau zeigt auch die derzeitigen Grenzen der Holzbauindustrie in Arkansas auf. Weil der einzige Leimholzhersteller im Bundesstaat vor einigen Jahren pleite ging, musste der größte Teil der Tragkonstruktion in Österreich hergestellt und über den Atlantik antransportiert werden.
Architektur: Grafton Architects, Modus Studio
Bauherr: University of Arkansas
Standort: 639 Martin Luther King Jr Blvd, Fayetteville, AR 72701 (US)
Tragwerksplanung: Tatum Smith Welcher Structural Engineers, Robbins Engineering Consultants, Whitby Wood
Landschaftsarchitektur: Ground Control
Lichtplanung: TM Light
Nachhaltigkeitsberatung: Atelier Ten
TGA-Planung, Brandschutz: Affiliated Engineers
Bauunternehmen: Nabholz Construction




























