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Wie ein gewandelter Markt das Architekten-Profil verändert

Was wandelt sich an der Arbeit von Architekten? Was wird bleiben wie es ist? Ist der Markt eine Gefahr oder birgt er Chancen beruflicher Emanzipation? Die folgenden Thesen sollen Kerngedanken für das Wechselverhältnis zwischen Markt, Architekten und ihrem Rollenverständnis definieren.
Der Architekt erfindet sich neu
Im Grunde kann man den interessantesten Trend der derzeit zu beobachtenden Veränderungen auf eine einfache Formel bringen: Sie lautet Architektur + X – der neue Architekt vernetzt seine planerische Kompetenz mit dem Input anderer Disziplinen und überträgt sie dadurch in einen erweiterten Kontext. Dabei bleibt seine Arbeit eine Leistung, die so nur ein Architekt und niemand sonst erbringen kann.
So ist es auch bei der Architektin, die eines Tages ihr erstes Gebäude für einen Winzer plante. Eigentlich ein ganz normaler Bauauftrag. Schließlich redete sie mit dem Winzer und seiner Frau bis tief in die Nacht – über Wein, über die Landschaft, die Tradition des Gutes, wie regional die Architektur sein darf und wie modern sie sein muss. Passen die alten Weinetiketten noch zum neuen Gebäude? Wie muss der Keller temperiert sein und was erwarten die Kunden des Winzers? Die Grenzen zwischen Bauen, Markenpflege, Corporate Architecture und Denkmalpflege geraten ins Fließen.
Sich auf ein neues Berufsbild einzulassen, ist nicht die Aufforderung, benachbarte Professionen zu imitieren. Es bedeutet vielmehr, das, was Architekten seit jeher gemacht haben, auf andere Weise zu tun. Der neue Architekt wird dadurch vom Glied am Ende der wirtschaftlichen Verwertungskette wieder zum Initiator und zum Motor von Entwicklungen.
Mut zur Interdisziplinarität
Abgesehen von der Sekretärin am Empfang, Bauzeichnern und vereinzelten Bauingenieuren sind auch in großen Büros nahezu alle Mitarbeiter ausgebildete Architekten. Selbst Tätigkeiten mit kaufmännischer Ausrichtung, im Marketing oder für die Öffentlichkeitsarbeit besetzen Architekten am liebsten mit Kollegen.
Modernes Generalistentum bedeutet, aufgabenabhängig zu entscheiden, welche Dinge die Kollegen aus dem Büro leisten können und für welche man fremde Hilfe in Anspruch nimmt oder jemanden vom Fach einstellt. Das Ziel sind funktionierende Schnittstellen zwischen fremden und eigenen Kompetenzen.
Handel mit Ideen
Faktisch ähnelt die Arbeit kleiner Architekturbüros immer mehr der anderer Kreativberufe. Laut Statistik ging der Anteil der HOAI-Leistungen an den gesamten Leistungen deutscher Architekturbüros seit 1990 von 89 % auf heute knapp 80 % zurück. Der Anteil nicht HOAI-geregelter, frei verhandelbarer Leistungen wächst also stetig. Damit werden für Architekten ganz ähnliche Wissensreservoirs, Netzwerk- und Überlebenskünste bedeutsam wie für Designer, Werber oder Autoren.
Unternehmerisches Selbstverständnis
Die Mehrheit der Architekten würde für sich selbst nur stirnrunzelnd die Bezeichnung „Unternehmer“ akzeptieren. Unternehmer? Das sind doch die anderen. Hier liegt der Kern eines allzu defensiven Selbstverständnisses: Man versteht sich nicht als Akteur, sondern arbeitet den Akteuren zu. Man denkt, man sei abhängig von ihnen. In Wirklichkeit ist doch der Architekt die Verkörperung des Unternehmers schlechthin: Er produziert fortwährend Ideen, sie sind sein wichtigstes Kapital. Er agiert souverän als Ein- und Verkäufer von Leistungen, er managt, und er geht mit jedem Projekt ein hohes wirtschaftliches Risiko ein.
Klein, aber kooperationsstark
Kleine Büros können unterschiedliche Wege einschlagen, um ihre Zukunft zu sichern: Neben der Positionierung in einem Spezialgebiet können sie eine Kooperation mit anderen Büros eingehen, um sich gemeinsam Zugang zu größeren Projekten zu verschaffen. Mit anderen Worten: Es macht für kleine Büros heute mehr Sinn, die Kollegen in ihrem Umfeld als Partner zu mobilisieren, als mit ihnen auf einer nachgeordneten Ebene des Marktes in einem Verdrängungswettbewerb zu stehen.
Besonders intensiv bekommen kleine Büros mit bis zu drei Partnern den Wettbewerbsdruck zu spüren, insbesondere junge Architekten und solche in den ostdeutschen Ländern. Insgesamt dominieren unternehmerische Mikrostrukturen die Branche: In 42 % der Büros ist ein Inhaber ohne Mitarbeiter tätig. In weiteren 4 % der Büros sind zwei bis drei Partner ohne Mitarbeiter tätig. Damit beschäftigen 46 % der Büros keine Angestellten.
Überlastete Strukturen
Die fragile Existenz kleiner Büros hat eine quantitative und eine qualitative Seite. Einzelkämpfern und kleinen Partnerschaften gelingt es selten, große Projekte an Land zu ziehen, weil sie bei Investoren und Wettbewerben gegenüber Großbüros einen schweren Stand haben. Notgedrungen teilen sie sich mit einer Schar an Konkurrenten den Markt kleiner Bauvorhaben, der von Privatleuten, Kommunen und kleinen Firmen bestimmt wird. Diese arbeitsintensiven Bauvorhaben werfen kaum Überschüsse ab, die aber wiederum eine Voraussetzung für Investitionen und für die Expansion eines Büros sind.
Die qualitativen Defizite resultieren vor allem aus der Struktur der Büros. Es handelt sich um „fortwährend überlastete Strukturen“, wie es Thomas Welter, Wirtschaftsexperte der Bundesarchitektenkammer ausdrückt. Man ist gezwungenermaßen Manager, Techniker, Akquisiteur, Buchhalter und Sekretär in Personalunion – was in Wahrheit niemand leisten kann.
Ressource Motivation
Selbst in Büros mit 100 Mitarbeitern führen die dezentrale, projektbezogene Arbeitsweise zu einer ungewöhnlich hohen Identifikation mit den Werten und Zielen des Büros; jeder ist „nah dran“. Folglich ist in Architekturbüros eine Motivation selbstverständlich, von der andere Branchen nur träumen können. Die Crux ist, dass dieses Potenzial häufig brach liegt oder, schlimmer noch, durch demotivierende Strukturen beschädigt wird. Die Demotivation der Mitarbeiter wird provoziert, weil Büroinhaber versäumen, ihrem Team Zeit zu widmen und solide Delegationsabläufe zu etablieren. Ab einer Größe von zehn Mitarbeitern sollten sich Büroinhaber mit diesem Thema beschäftigen, denn das Personal ist ihre teuerste – und wichtigste – Ressource.
Zaungast oder Mitspieler?
Zu Reichtum gekommene Maurermeister waren die Hauptprofiteure des gründerzeitlichen Baubooms Ende des 19. Jahrhunderts. Auf diese Weise entstand der gesamte Mietshausgürtel von Berlin: Ohne Architekt, ohne Detailpläne, die Grundrisse der entstehenden Gebäude steckte man am Bauplatz nur mit Schnüren im Sand ab. Dann gingen die Maurer an die Arbeit. Diese Maurermeister waren Handwerker, Bauunternehmer, Projektentwickler und Immobilienhändler in einem. Der „Baumeister“ alten Zuschnitts war eine in seinem Umfeld geachtete und bekannte Gestalt, – und zwar sowohl wegen dem, was er gebaut hatte, als auch wegen seines unternehmerischen Mutes und seines Wohlstands. Je mehr sich im 20. Jahrhundert der Architektenberuf als eine von kaufmännischen Aufgaben abgekoppelte Disziplin durchsetzte, desto mehr verschwand der Architekt auch aus dem öffentlichen Leben. Er wurde zum respektierten, aber isolierten Experten. Wenn Architekten sich wieder involvieren, sich als Unternehmer Gestaltungsaufgaben der menschlichen Umwelt widmen, dann wird die Öffentlichkeit sie auch wieder wahrnehmen.
Die Baugruppe, mit deren Kapital Architekten Bauprojekte initiieren, ist nur eine Gestalt, die der Baumeister im heute annehmen kann.
Einen anderen Weg schlagen Architekten in Österreich ein. Einige sind bei Großprojekten an der Schnittstelle zwischen planendem Architekten, Bauherren und Fachplanern als Bauherrenberater tätig. Andere beraten als „Architektur-Consultants“ Bürgermeister kleiner Gemeinden bei Bauentscheidungen. Die Kompetenz dieser ins Metier des Beraters gewechselten Architekten wird nachgefragt und respektiert.
Die Währung Aufmerksamkeit
Künstlerisch profilierte Architekten, die bis heute durch Wettbewerbe an die Mehrzahl ihrer Aufträge gelangen, sind mit ihrer Arbeit ein Teil der Kulturindustrie. Wenn man als Architekt in deren „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ (Georg Franck) Fuß fassen und seine Marktanteile ausbauen will, ist es nützlich, ihre Eigenheiten und Regeln zu kennen und zu nutzen. In der Konsequenz sind die Aufgaben der PR-Verantwortlichen eines bekannten Architekturbüros ganz ähnlich jenen, die die Sprecher eines Museums oder eines Kulturinstitutes zu leisten haben. Ohne PR und Imagearbeit geht es heute nicht mehr.
Architekten als Ratgeber und kritische Instanz in Gestaltungsfragen
Ausgebildet als Experte für die gebaute menschliche Umwelt bildet das Wissen des Architekten im Westen, noch mehr aber in den Entwicklungs- und Schwellenländern den Schlüssel zu einer menschlichen Entwicklung von Stadt und Wohnen.
Der Architekt ist bis heute, ganz im Sinne des Renaissancebegriffs, Lehrer und kulturelle Instanz. Architekten sollten nicht zögern, durch ein selbstbewusstes, den Menschen zugewandtes Auftreten ihren Teil dazu beizutragen, dass diese Autorität wieder die angemessene soziale Beachtung findet.
Gekürzte Fassung des Prologs aus der Detail-Publikation „Der neue Architekt“ von Frank Peter Jäger (Hg).