Architekturbiennale Venedig 2025
Die Biennale, eine Baustelle?
Architekt Søren Pihlmann macht die Sanierung des dänischen Pavillons zum Experiment und untersucht jedes Detail. © Hampus Berndtson
Im Frühling 2025 präsentiert sich Venedig als große Baustelle. Kulissen bröckeln und Baukräne markieren die Renovierungen der Luxushotels. Auf dem Markusplatz, dem tiefsten Punkt der Stadt, kann man in kleine Baugruben schauen und sehen, wie das Wasser nur wenige Zentimeter unter dem Pflaster steht. Drainage im Sumpf. Die Hochwassersaison und der nicht zu bändigende Tourismus, die sich ihrerseits wie die Gezeiten abwechseln, haben bis in den Kern Venedigs harte Spuren hinterlassen.


Das Gerüst als Ausstellung: Den wegen Bauarbeiten geschlossenen französischen Pavillon bespielen Jakob+MacFarlane von außen. © Marco Zorzanello
Vorsicht Baustelle!
Eine Chance für die Architekturbiennale. Auch die Gebäude in den Giardini der Biennale sind von einer Sanierungswelle betroffen: Der zentrale Hauptpavillon bleibt wegen Bauarbeiten dieses Mal komplett verriegelt, für Frankreich präsentieren Jakob+Mac Farlane die Ausstellung „Living with/Vivre avec“ auf Baugerüsten vor dem geschlossenen Pavillon. Dänemark macht die Instandsetzung seines Biennale-Baus von Peter Koch zum Thema: „Build of Site“ nennt Søren Pihlmann seinen Beitrag, der den Zwischenstand der fortschreitenden Arbeiten begreifbar macht. Dass dabei 95 % des Materials aus dem ursprünglichen Bauwerk und Erdreich des Ortes selbst bestehen, versteht sich als vorbildliche Strategie ressourcenschonenden Bauens. Stille hingegen bei den Pavillons von Russland, Venezuela und Israel, die 2025 verschlossen bleiben. Womit sich zugleich die Frage nach dem Sinn einer Biennale aufdrängt, die in gewisser Weise den Anspruch hat, das Weltgeschehen zu spiegeln. Wie zeitgemäß sind eigentlich diese Nationen zugeordneten Ausstellungen heute noch?
Mega-Techno-Park trifft auf Naturbaustoffe
Während Carlo Ratti in den Arsenale-Hallen einen Mega-Techno-Park auf Lehm und Holz treffen lässt, kann das Publikum abseits der Hauptausstellung, wo es zwischen Holzschnitzarbeiten streichelnden Robotern von Bjarke Ingels, schwimmenden Wasserfahrrädern von Norman Foster und anderen visionären Ideen mäandert, woanders auch kuratierten Ausstellungen begegnen: zum Beispiel in der mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Installation „Heatwave“ vom Königreich Bahrain.


Die Installation „Heatwave“ vom Königreich Bahrain ist mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet worden. © Ishaq Madan
Territoriales Gleichgewicht
Relevanz beweist auch Spanien in den Giardini. Konsequent analytisch und ästhetisch anschaulich präsentiert der spanische Beitrag „Internalities: Architectures for Territorial Equilibrium“, wie Dekarbonisierung und Wirtschaftsbelebung sensibel in Einklang miteinander gebracht werden können. Also Bauen als Strategie, aber wie? Im zentralen Raum grüßt ein Standbild aus hängenden Modellen von 16 Projekten, die offensichtlich in Balance mit ihrer Umwelt stehen. Die klugen Konstruktionen sind je nach Regionen und ihren lokalen Materialquellen geordnet. „Jedes Mal, wenn wir einen Ort erbauen, dekonstruieren wir anderswo einen anderen“, betonen die Kuratoren Roi Salgueiro und Manuel Bouzas. Sie machen auf die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise der Ressourcenfrage aufmerksam, mit deren Herkunft und Abbau sich weder Architektur noch Bauwirtschaft gerne auseinandersetzen.


Roi Salgueiro (links) und Manuel Bouzas (rechts) thematisieren die Dekarbonisierung der Baubranche. Die Säulen zeigen Materialien und ihre Rückstände. © Luis Díaz Díaz
Technologischer Wandel im Bauwesen
Mit der Ausstellung „Master Builders“ legen die slowenischen Kuratorin Ana Kosi und ihr Büropartner Ognen Arsov vom Büro KIP aus Ljubljana im Arsenale den Finger in eine ganz andere Wunde: Wer errichtet heute die gebaute Welt und zu welchen Konditionen? Vier kunstvolle Totems, die je eine Familie von Meisterhandwerkern repräsentieren, machen auf das Paradoxon des technologischen Wandels im Bauen aufmerksam. Hat uns der Fortschritt bessere Gebäude gebracht? Wie beeinflusst Technologie Bauprozesse, Baustellen und Berufsfelder? Entscheidend ist für Ana Kosi und Ognen Arsov die Zusammenarbeit zwischen Architektur und Handwerk, um angemessene Ergebnisse mit angemessenen Mitteln und angemessener Bezahlung zu schaffen.


Master Builders: Mit skulpturalen Material-Totems würdigt der slowenische Beitrag das Verschwinden von Handwerk und qualifizierter Arbeit am Bau. © Andrea Avezzù
Idee versus Budget
Der polnische Biennale-Beitrag hinterfragt Baustandards – ähnlich, aber doch ganz anders als der Beitrag von Estland, der mit „Let me warm you“ von Keiti Lige, Elina Liiva und Helena Männa den Wahnsinn der wärmegedämmten Fassaden mit der Absurdität ihres in WDVS verpackten Eckhauses illustriert. „Lares and Penates“ reflektiert die Aspekte von Sicherheit in einem Gebäude. Das kuratorische Team aus Polen um Aleksandra Ke¸dziorek, Krzysztof Maniak, Katarzyna Przezwan´ska und Maciej Siuda stellt die Frage, was Sicherheit eigentlich wirklich ist und wie wir sie empfinden. Dazu werden die üblichen Produkte der Angstindustrie wie Überwachungskameras, Gitter und Zäune mystischen Sicherheitsbringern, Heiligenbildern, Kräutersträußen und anderen kulturellen Hoffnungsträgern gegenübergestellt. Das Konzept wirkt. Und ist vielleicht in diesem Jahr der stärkste Beweis für die Kraft der Idee versus Budget.


Der polnische Beitrag Lares and Penates hinterfragt Baustandards. © Jacopo Salvi, Zachęta archive
Japanischer Pavillon: Zwischenwelten und Wirklichkeiten
Jun Aoki hingegen verführt im und unter dem japanischen Pavillon das Biennale-Publikum in ein spannungsvolles Szenario aus Wirklichkeit und Zwischenwelten. Hier kommen die einzelnen Bauteile des japanischen Ausstellungshauses selbst zu Wort. Eine KI hat die Rollen der Bauteile gelernt und begibt sich mit ihnen in den Dialog mit dem Menschen. Folgt man dem Gespräch zwischen Fenstern, den vier Säulen und dem Loch im Boden, entwickeln sich heitere Szenen, die durch Perspektivwechsel ein neues Bewusstsein für Architektur skizzieren. Ein gelungener Anfang, eine Ausstellung als hybrides Format neu zu denken, KI und der Biennale etwas Erkenntnis abzuringen.
Ausstellung: 19. Biennale Architettura 2025
Ausstellungsort: Venedig (IT)
Ausstellungsdauer: 10. Mai bis 23. November 2025
Öffnungszeiten: Täglich außer Montag, 11-19 Uhr
Weitere Informationen: labiennale.org




























