Regionale Baukultur
Traditionelle Bauformen haben in der Architekturgeschichte viele Höhe- und Tiefpunkte erlebt. Sie reichen von der Mittelaltersehnsucht der Arts-and-Crafts-Bewegung bis zur Geschichtsvergessenheit der Frühmoderne, von der unheiligen Allianz zwischen Heimatstil und Faschismus der 1930er-Jahre bis zu den Regionalisierungsbestrebungen der 1970er-Jahre. Stand damals noch die formale Gegenreaktion gegen die überkommende Moderne im Mittelpunkt, sind wir heute einen Schritt weiter. Die Erkenntnis setzt sich durch, dass regionales Bauen auch klimagerechtes Bauen bedeutet und sich auf die vor Ort vorhandenen Materialien und Ressourcen stützen muss. Darauf spielt auch Christian Schittich in seinem Essay in dieser Ausgabe an, wenn er schreibt: „Regional zu bauen kann heutzutage nicht heißen, Formen der Vergangenheit einfach zu kopieren – das Ergebnis wäre nichts anderes als ein unreflektierter Heimatstil. Vielmehr muss es darum gehen, bewährte Strategien von früher in eine zeitgemäße Architektur zu übertragen.“
Wie das funktionieren kann, zeigen die Beispiele vorwiegend aus ländlichen Regionen Österreichs, der Schweiz, Frankreichs und Großbritanniens, die wir hier dokumentieren. Die Motivation zum Rückgriff auf tradierte Bauformen stammt dabei aus ganz unterschiedlichen Quellen: Teils gaben baurechtliche Vorschriften oder das denkmalgeschützte Umfeld den Ausschlag, teils entsprach die regionale Bauform der individuellen Überzeugung von Architekturbüro und Bauherr.
Auch in den Ausstellungen der Architekturbiennale in Venedig spielt die kollektive Intelligenz, die sich in jahrhundertelang überlieferten und verfeinerten Bauformen ausdrückt, eine Hauptrolle. Unter dem Motto „Intelligens. Natural. Artificial. Collective.“ begibt sich Biennale-Kurator Carlo Ratti auf die Suche nach Strategien, die unser Überleben auf einem heißer werdenden Planeten sichern. Er plädiert dabei für eine Suche ohne Scheuklappen und Disziplingrenzen. Diese schließt natürliche und künstliche Intelligenz gleichermaßen ein und traditionelle Baumaterialien ebenso wie Large-Language-Modelle und andere Formen des Data Mining. Mehr zu den diesjährigen Highlights der Biennale in Venedig, die noch bis zum 23. November läuft, lesen Sie in dieser Ausgabe. Jakob Schoof




Projekte in dieser Ausgabe
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Handwerkstradition fortgeführt
Museum Bezau von Innauer Matt
Im Museum des Bregenzerwälder Orts Bezau sind Alt- und Neubau zu einer abwechslungsreichen Raumfolge mit stark kontrastierenden Raumeindrücken und Lichtstimmungen verbunden.
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Hinter den Kulissen
V&A East Storehouse von Diller Scofidio + Renfro
In London haben Diller Scofidio + Renfro das East Storehouse des Victoria and Albert Museums als eindringliches räumliches Erlebnis inszeniert.
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Die Struktur bleibt
Wie ein Riegelhaus als Holzrahmen weiterlebt
Degelo Architekten interpretieren das historische Riegelhaus in Allschwil neu – als nachhaltigen Holzrahmenbau mit reduziertem Materialeinsatz und klarer Struktur.
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Vielzweckhof reloaded
Co-Living-Haus bei Frauenfeld von Bernath+Widmer
Bernath+Widmer ersetzten einen baufälligen Bauernhof bei Frauenfeld durch ein modernes Co-Living-Haus. Mit einer zeitgemäßen Holzbauweise und Sichtbeton interpretieren sie die traditionelle Hofstruktur neu.
Weitere Beiträge zum Thema
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Holzbau mit Bestand
Neue Ortsmitte Scheyern von Deppisch Architekten
Ein historischer Altbau war in Scheyern der Ausgangspunkt für den Entwurf einer neuen Ortsmitte, die Rathaus, Gemeindebücherei sowie Gastronomie vereint und dem Dorf den Rücken stärkt.
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Haus-im-Haus-Konstruktion
Umbau einer Scheune zum Wohn- und Werkstatthaus
Das Projekt Ruperti interpretiert ländliche Bautradition neu: Ein Heustadl von 1873 wird zum Wohn- und Arbeitsraum – mit zirkulären Materialien, regionalem Handwerk und Cradle-to-Cradle-Schaltern von Jung.
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Facelifting mit Tiefenwirkung
Einfamilienhaus in Ostflandern
Hinter den traditionellen Staffelgiebeln eines Einfamilienhaues nahe Gent gestalten Objekt Architecten ein helles, geräumiges und überraschend zeitgemäßes Interieur.
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Verknüpfung mit dem Ort
Doppelhaushälften in Katalonien von Taller Sau
In Vidrà, einem kleinen Dorf in den katalanischen Vorpyrenäen, haben Taller Sau zwei Doppelhaushälften mit regionalem Bezug entworfen, die eine hohe baukonstruktive Effizienz aufweisen.
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Umbau mit Geschichte
Hotel auf Menorca von Calderon-Folch Studio
Auf Menorca haben Calderon-Folch Studio ein Gebäude aus dem Jahr 1844 in ein Hotel transformiert, das die historischen Schichten aufgreift und regionale Bezüge in die Architektur integriert.
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Wohnen, erholen, musizieren
Haus LP im Bregenzerwald von Firm Architekten
Im Wintersportort Schoppernau realisierten Firm Architekten das Wohn- und Feriendomizil Haus LP. Der ortstypische Holzbau bietet außerdem Platz für einen Proberaum, in dem die Bauherrin Musikunterricht gibt.
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Refugium für die Familie
Ferienhaus in der Normandie von Studio Guma
In der 300-Einwohner Gemeinde Hécourt im Eure-Tal, 80 km westlich von Paris, hat Studio Guma ein Bauernhaus und seine zwei Nebengebäude mit minimalen Eingriffen zu einem Zweitwohnsitz umgebaut.
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Industriekultur in historischen Mauern
Vetrina dell’Ingegno in Udine von Alessandro Verona
Im norditalienischen Udine hat Alessandro Verona einen Wehrturm aus dem 13. Jahrhundert zum Museum für die regionale Industrie umgebaut.
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Neubau voller Erinnerungen
Zierhof in Südtirol von Naemas Architekturkonzepte
Zwei Häuser für zwei Generationen, erkennbar zusammengehörend und doch völlig unterschiedlich: Mit diesem Konzept schuf das Architekturbüro Naemas neuen Wohnraum für die Besitzer eines abgebrannten Bauernhofs.
Architekturbiennale 2025
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Architekturbiennale Venedig 2025
Die Biennale, eine Baustelle?
Hightech, Lowtech und KI: Die 19. Architekturbiennale ist zwar keine kollektive Verweigerung, Architektur auszustellen. Aber widmet sie sich wirklich den dringenden Themen ihrer Zielgruppe?
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Kinetisches Beschattungssystem
Sombra Pavillon in Venedig von MVRDV
MVRDV und Partner präsentieren den Sombra Pavillon – ein architektonisches Experiment zur dynamischen Steuerung von Licht, Wärme und Belüftung.
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Architekturbiennale 2025 in Venedig
Weltrettung aus dem 3D-Drucker?
Materialexperimente aus dem 3D-Drucker haben auf der diesjährigen Architekturbiennale Hochkonjunktur. Doch welche realen Probleme unserer Welt sollen damit gelöst werden – und bis wann?
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Ausstellung in Venedig
Fondazione Prada zeigt „Diagrams“ von AMO/OMA
Eine sehenswerte Ausstellung in Venedig befasst sich mit der Geschichte des Mediums Infografik. Ausgewählt haben die mehr als 300 Exponate Rem Koolhaas und sein Büro AMO/OMA.
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Architekturbiennale 2025 in Venedig
Was hilft gegen die Hitze in den Städten?
In den Städten der Welt wird die Erderwärmung am deutlichsten spürbar. Bei der diesjährigen Architekturbiennale befasst sich nicht nur der deutsche Pavillon mit urbanen Wärmeinseln. Die präsentierten Lösungsansätze reichen von Baumpflanzungen bis zu Kühldecken für urbane Freiflächen.
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Zukunft der Mobilität
Gateway to Venice‘s Waterway von Norman Foster und Porsche
„Gateway to Venice's Waterway“ ist ein gemeinsames Forschungsprojekt der Norman Foster Foundation und Porsche auf der Architekturbiennale 2025. Der Prototyp untersucht alternative urbane Mobilitätslösungen.
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Architektonische Intelligenzen
Vorschau auf die Architekturbiennale Venedig 2025
Während Vernunft und Weitblick im aktuellen Weltgeschehen an Einfluss verlieren, ist diese Architekturbiennale vielleicht genau die richtige Antwort. Biennale-Direktor Carlo Ratti bespielt mit seiner Ausstellung „Intelligens. Natural. Artificial. Collective.“ ab dem 10. Mai 2025 Giardini, Arsenale und viele weitere Orte in Venedig. Verspricht diese Architekturbiennale neue Perspektiven auf drängende Fragen unsere Zeit?
Vorherige Ausgaben
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Zirkuläres Bauen 6.2025
Nach dem Prinzip Cradle-to-Cradle finden Gebäude idealerweise nach der Nutzung in den Kreislauf der Natur zurück. Wie unterschiedlich die Ansätze und Hürden sind, erfahren Sie in DETAIL 6.2025.
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Fassaden 5.2025
Die Fassade ist das Aushängeschild eines Hauses und bestimmt die Außenwirkung eines Gebäudes. Wie unterschiedlich Architekturbüros mit der Kunst der Verkleidung umgehen, zeigen die Beispiele in diesem Heft.
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Massivbau 4.2025
Rund 75 % aller Wohngebäude in Deutschland werden aus Mauerwerk hergestellt. Ein Beleg für das gewachsene Vertrauen vieler Bauherren in den Massivbau – und für uns ein Anlass, ihm eine eigene Detail-Ausgabe zu widmen.
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Urbaner Wohnungsbau 3.2025
Baugrundstücke werden knapp, Wohnen wird teurer, Neubauten werden zunehmend kleiner. Standardisierung und industrielle Vorfertigung scheinen unerlässlich. Nicht mehr das Häuschen im Grünen ist das Leitbild, sondern urbanes Wohnen. Doch was bedeutet das?
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Digital und Nachhaltig 1-2.2025
Neben den ausgezeichneten Gewinnerprojekten des Detail Preises führt und unsere Dezember-Ausgabe zu Mauerwerksbauten nach Frankreich und Südengland und zur dänischen Ziegelbauweise.
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Mauerwerk 12.2024
Neben den ausgezeichneten Gewinnerprojekten des Detail Preises führt und unsere Dezember-Ausgabe zu Mauerwerksbauten nach Frankreich und Südengland und zur dänischen Ziegelbauweise.
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Holzbau + Vorfertigung 11.2024
Wohnsiedlungen und Bürogebäude, ein Aussichtsturm und ein Olympia-Rekord in Paris: In dieser Ausgabe zeigen wir die Vielfalt des Holzbaus in sieben ausgewählten Projekten.
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Gebäudehüllen 10.2024
Während neue Wohnbauten oft als gestaltlose Investorenprojekte mit Billigmaterialien realisiert werden, gibt es in Paris viele Meilensteine mit Naturbaustoffen. Diese Gebäudehüllen stellen wir Ihnen in dieser Ausgabe vor.
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New Work 9.2024
New Work ist ein viel zitiertes Idiom unserer Tage, doch was es genau bedeutet, ist oft unklar. Wir haben uns für diese Konzept-Ausgabe entschieden, statt einer Begriffsdefinition einzelne aktuelle Projekte für sich sprechen zu lassen.
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Bauen in den Bergen 7-8.2024
Von der Metropole in die Einsamkeit der Berge: In unserer Sommerausgabe bringen wir zwei Themen zusammen, die gegensätzlicher kaum sein könnten. Die Olympischen Spiele in Paris und Bauen in den Bergen.
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Klima und Ressourcen 6.2024
Nachhaltigkeit hat viele Facetten, die alle dem Ziel der Dekarbonisierung verpflichtet sind. Wir zeigen in unserer Juni-Ausgabe sechs Projekte, die dazu einen Beitrag leisten und recht unterschiedliche Wege gehen.
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Wohnen im Bestand 5.2024
Wohnungen müssen künftig in bestehenden Gebäuden und Siedlungsstrukturen entstehen – durch Umnutzungen, Aufstockungen, Anbauten und Nachverdichtungen. Wie das geht zeigt unsere aktuelle Ausgabe.
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Balkone, Loggien, Terrassen 4.2024
Hinaus ins Freie! Die April-Ausgabe geht der Konstruktion und Bauweise von Gebäuden mit Balkonen, Terrassen, Loggien und Laubengängen auf den Grund. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen.
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Schulen 3.2024
In kaum einer anderen öffentlichen Institution hat sich der Alltag so verändert wie in der Schule. Die Architektur reagiert und passt ihr Raumprogramm an digitale Lehrmethoden und pädagogische Konzepte an.
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Einfach + Kostengünstig 1+2.2024
Kosten reduzieren und Qualität steigern, geht das überhaupt gleichzeitig im Bauwesen? Wir starten mit einem schwierigen Thema ins neue Jahr, das uns noch länger beschäftigen wird.
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Nachverdichtung 12.2023
Dem Phänomen der Nachverdichtung widmen wir unsere Dezember-Ausgabe. Zwar verstehen alle, dass Nachverdichtung dringend notwendig ist. Doch den eigenen Hinterhof möchte niemand dafür opfern.
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Naturbaustoffe 11.2023
In rasantem Tempo hat der Holzbau in den letzten zehn Jahren das Bauwesen erobert. Unsere aktuelle Ausgabe dokumentiert vielschichtige Beispiele für die detaillierte Anwendung von Naturbaustoffen.
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Fenster und Fassaden 10.2023
Fassaden wird seit jeher viel abverlangt: Sie geben Gebäuden ein Gesicht, sind Klimahüllen und Bedeutungsträger. Zu welchen Ergebnissen das führen kann, zeigen die Beispiele in dieser Detail-Ausgabe.
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Mischnutzung 9.2023
Für die September-Ausgabe zu Konzepten des Mixed Use haben wir spannende Projekte ausgewählt, die Wohnen und Büros, Sporthallen und Gastronomie sowie vieles mehr in ihr komplexes Raumprogramm aufnehmen.
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Auf kleiner Fläche 7/8.2023
Für unsere Sommerausgabe haben wir uns mit der Ressource Fläche beschäftigt. Für die Dokumentationen haben wir spannende Projekte ausgewählt, die mit wenig Fläche auskommen und diese geschickt nutzen.
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Architektur und Klimaschutz 6.2023
Wer heute die unumgängliche Frage nach dem Klimaschutz in der Architektur stellt, erhält nicht eine, sondern viele Antworten.
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Dächer 5.2023
Heute ist die vertikale Aufsicht, also das Dach, oft der erste Eindruck, den wir von Gebäuden haben.
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Materialgerechtigkeit 4.2023
Wer die Debatten über Baustoffe in der Architektur verfolgt, begegnet unweigerlich dem Begriff „Materialgerechtigkeit“.
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Hotels, Hostels, Gästehäuser 3.2023
Nur wenige Wirtschaftszweige hat die Corona-Pandemie in den letzten Jahren derart gebeutelt wie die Hotelleriebranche.
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Bauen im Bestand 1/2.2023
Nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit gewinnt das Bauen im Bestand derzeit an Akzeptanz und Relevanz.



